Micha 4,1-5

· by predigten · in 33) Micha / Micah, Aktuelle (de), Altes Testament, Beitragende, Bibel, Deutsch, Drittl.S.d.Kj., Eberhard Busch, Kapitel 04 / Chapter 04, Kasus, Predigten / Sermons

Zeitenwende | Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres | 10. November 2024 | Micha 4,1-5 | Eberhard Busch |

Das wird geschehen in den letzten Tagen: da wird der Berg mit dem Haus des Herrn festgegründet stehen an der Spitze der Berge und die Hügel überragen und Völker werden zu ihm hinströmen. Und viele Nationen werden sich aufmachen und sprechen: „Kommt, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Haus des Gottes Jakobs, dass er uns seine Wege lehre und wir wandeln seine Pfade; denn von Zion wird Weisung ausgehen und das Wort des Herrn von Jerusalem. Und er wird Recht sprechen zwischen vielen Völkern und Weisung geben starken Nationen bis in die Ferne; und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Spieße zu Rebmessern. Kein Volk wird wider das andre das Schwert erheben und sie werden Krieg nicht mehr lernen. Sie werden ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, ohne dass einer sie aufschreckt. Denn der Mund des Herrn der Heerscharen hat es gesagt. (Zürcher Bibel)

Von einer Zeitenwende hat der deutsche Bundeskanzler im Februar 2022 im Bundestag zu Berlin gesprochen. Er meinte damit den Übergang von einer friedfertigen Zeit in eine Kriegsbereitschaft des Landes. Er sprach geradezu von einer historischen Zäsur: „Die Welt ist danach nicht mehr dieselbe wie die Welt zuvor.“ Und haben die Abgeordneten dazu nicht geklatscht? Aber ist die „Welt“ neuerdings tatsächlich anders, als sie schon seit alters war?

Von einer Zeitenwende in umgekehrter Richtung redet der verlesene Bibeltext. Sie ist der ersten genau entgegengesetzt. Es geht in ihr um die Abwendung von einer kriegerischen Welt und um die Hinwendung zu einer Welt, in der alle miteinander in Eintracht verkehren. Hin zu einer Welt, in der buchstäblich Waffen-Stillstand herrscht. Hin zu einer, in der das Kriegshandwerk ausgedient hat, geradezu vergessen ist. Hin zu einer Welt, in der alle friedlich unter ihrem Weinstock sitzen, ohne Angst vor den andren. Denn die Angst ist die Wurzel des Bösen. „Angst macht aggressiv“ (Johannes Berthold). Wo diese Wurzel beseitigt ist, wo die Liebe sich als stärker erweist, da kann man erst recht sagen: Die Welt ist danach nicht mehr dieselbe, wie die Welt zuvor!

Das hat uns ein Prophet Micha verkündet. Er verlautete das im 8. Jahrhundert vor Christi Geburt. Etwa in den Jahren, in denen in Israel auch der Prophet Jesaja sich an sein Volk wandte. Seltsam ist, dass sich bei ihm dieselbe Aussage über die Wende vom Krieg zum Frieden findet (Jes 2,4) wie bei Micha. Aus zweier Zeugen Mund wird uns die Aussicht auf solche Zeitenwende nahegelegt (vgl. 5Mose 19,15). Hat der eine dies vom anderen abgeschrieben? Nun, man schreibe das ruhig voneinander ab! Wichtig genug ist es ja: „Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden.“ Wie einen Kommentar dazu liest man im 2. Samuelbuch (2,26): „Soll denn das Schwert ohne Ende fressen? Weißt du nicht, dass daraus am Ende nur Jammer kommen wird?“

Wann ist diese Hoffnung besserer Zeiten erfüllt? Wann kommt es dazu? Der Prophet weist uns wie mit dem Zeigefinger hin auf das Morgenrot eines neuen Tages. Und der wird anbrechen dann, wenn Gott es für gut befindet. Und der wird Platz nehmen an dem Ort, an dem es Gott wohlgefällt. Juden kennen diesen Ort. Gott hat sie dorthin gewiesen. Selbst wenn sie Gott untreu sind, Gott ist treu. Es bleibt dabei: Unter ihnen will und wird Gott wohnen. Nicht in dem Plätzlein Nirgendwo, nicht dort, wie die Berliner sagen: „Jóttwedé“, das heißt: weit abgelegen in einem Abseits. Gott ist dann vielmehr anzutreffen ganz in der Nähe, grad um die Ecke herum, an einem Ort, an dem er sich zeigt als der niedergelassene Gott: im „Haus des Herrn“, sagt der Prophet und denkt an Jerusalem. Unter dieser Adresse liest man seinen Namen. Dort wohnt er. Und es wird allerdings die Sonne an den Tag bringen: dort ist er nicht wie ein Ladenhüter weggesteckt. Dort ist er ansprechbar, zugänglich, für jeden und jede. Jenes „Haus“ ist nicht länger zu übersehen. Es wird alle Wipfel überragen. Dorthin richten mit den Juden jetzt auch wir Christen unsre Blicke. Dort werden ihn zahllos Weitere aufsuchen, auch bedrängte Palästinenser.

Aber eben: das wird sich zeigen erst „in den letzten Tagen“, sagt der Prophet Micha. Dann, wenn es so nicht mehr weitergeht wie bislang. Am Rand unserer Sehkraft wird das offensichtlich. Die Zeitenwende vom Dunkel zum Licht, die vom Stahlhelm zur Friedenstaube ist noch nicht am Tage. Noch ist so Vieles verborgen. Wir sind in den Wartestand versetzt. Wird uns da das Warten zu lang? Kann man sich auf den „Mund des Herrn“ verlassen, der das gesagt hat? Soll man‘s da nicht lieber mit denen halten, die sagen, es ist kein Gott, „lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ (1Kor 15,32), lasst uns die Zeit vertreiben, auch wenn der Planet hopps geht? Aber nein, so geht es gar nicht. Denn noch ist um uns und in uns allzu viel unklar. Wir leben hinter der Schranke eines „Noch nicht!“. Sind gefangen hinter den Gittern unsrer Ansichten und Absichten. Wann wird der Mensch endlich vernünftig sein? Wann ist die Hoffnung des Micha erfüllt? Wann ist das Seufzen der Bitten im Unser-Vater-Gebet erhört? „O Stunde, die wir meinen, wann endlich dämmerst du?“ Am schlimmsten sind die Vergessenen dran, die Übersehenen, die Übergangenen.

Aber hören wir gut zu! Trotz dem haben wir und haben zuerst die Verkrümmten guten Grund, auf die Erhörung solchen Bittens zu hoffen. Solche Hoffnung steht quer zu einem Sich-Abfinden mit dem Gegebenen, wo man sagt: Es war schon immer so. Und solche Hoffnung steht ebenso quer zu einer Hoffnung, der Mensch könne schon noch eines Tages sich allein an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Von solcher Art Hoffnung gilt: „Hoffen und Harren / macht manche zu Narren.“ Tragfähige Hoffnung gründet darauf, dass nicht irgendeine der „Nationen“, dass vielmehr Gott für Recht sorgt zwischen ihnen. Tragfähige Hoffnung vertraut darauf, dass sich dies beizeiten zeigen wird. Sie setzt darauf, dass dies eines guten Tages wahrhaftig ans Licht kommt. Unterdes sind seine Anhänger nicht müßig. Rechte Hoffnung liegt Gott nicht faul auf der Tasche. Sie schlägt beharrlich auf die Blechtrommel. Sie hat Fragen an die geltende Gewalt-Ordnung. Sie nickt nicht mit dem Kopf zum Gesetz „Zahn um Zahn, Auge um Auge.“

So geht sie der Zeit entgegen, in der Mitleid an die Stelle von Hass tritt, eine Zeit, in der eben Schwerter zu Pflugscharen werden und Panzerfäuste sich wandeln in offene Hände für Bedürftige und aus Ruinen neues Leben erwächst. Hoffnung blickt aus nach der Zukunft, in der das tödliche Gegeneinander ein menschen-freundliches Miteinander wird. Und sie erwartet ein Dasein, in dem Juden und Christen sich darin einig sind, dass die Wahrheit über die Lügen und Scheinwahrheiten siegen wird. In seiner letzten Lebenszeit schrieb der Basler Theologe Karl Barth: „Unruhiger als die Unruhigsten, dringlicher als die eifrigsten Stürmer in seiner nahen und fernen Umgebung fragt er (der Hoffende): ‚Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?‘ – darum unruhiger und eifriger, weil er der durch ihn gefüllten Zukunft bewusst entgegensieht und entgegengeht.“

Derselbe hat ein anderes Mal bemerkt: „Wo die große Hoffnung ist, da entstehen für die nächste Zukunft notwendig kleine Hoffnungen“. In der Tat befinden wir uns in unserem Unterwegs nicht auf einer endlosen Durststrecke, auf der wir zuletzt umkommen. Gottlob, gibt es Ankündigungen des Kommenden. Wir pilgern noch, aber nicht mit leeren Taschen. Es gibt Vorauferstehungen, hat der Reformator Calvin gesagt. Und wir verstehen, was damit gemeint ist: Wir sind noch nicht am Ziel, aber auf unserem Weg erfahren wir Ermutigungen. So dass wir nicht schlapp machen. Sie stärken uns fortzufahren. Dabei malen sie uns vor Augen, worauf es zugeht und worauf wir hoffen dürfen – definitiv und universell dies: dem ewig gültigen Frieden auf Erden.

Der kürzlich verstorbene Friedrich Schorlemmer hat uns dazu etwas zu sagen. Er hat zu DDR-Zeiten der Gewaltherrschaft widerstanden, und zwar so, dass er dabei war, als sie dann stürzte. Aber wie war er dabei? Nicht mit Gewalt, sondern ausdrücklich unter dem Zeichen, das der Prophet Micha einst formuliert hat:  „Schwerter zu Pflugscharen“. Davor begannen die Schwertträger sich zurückzuziehen. „Schwerter zu Pflugscharen“ – dieser Ruf wurde damals wohl nur vorübergehend zum Motto eines Aufstands. Aber er stiftet uns noch heute dazu an, dass wir mit dem Propheten Micha den Gott des Friedens darum bitten, „dass er uns seine Wege lehre, und wir wandeln seine Pfade.“ Amen

Eberhard Busch