Offenbarung 12

· by predigten · in 27) Offenbarung / Revelations, 9. So. n. Trinitatis, Aktuelle (de), Beitragende, Berthold Haerter, Bibel, Deutsch, Kapitel 12 / Chapter 12, Kasus, Neues Testament, Predigten / Sermons

Bedrängt und doch gerettet | 9. Sonntag nach Trinitatis | 28.07.2024 | Offb 12 | Berthold W. Haerter |

Vorbemerkungen:

Dies ist ein Sommergottesdienst zusammen mit der katholischen Gemeinde.

Die Predigt wird im Zusammenhang mit einer Predigtreihe (lectio continua) zur Offenbarung gehalten. Ich bin von der Gemeinde gebeten worden, eine Predigtreihe zur Offenbarung zu machen, «da Pfarrerinnen und Pfarrer über alles predigen, aber nicht über die Offenbarung.»

Zwei Bilder von Albrecht Dürer unterstützen diese Predigt.

Die Sonnenfrau und der Drache.

https://www.johannesoffenbarung.ch/bilderzyklen/duerer.php

Erzengel Michael bekämpft den Drachen

https://www.johannesoffenbarung.ch/bilderzyklen/duerer.php

Der Bibeltext wird in drei Abschnitten als Lesungen gelesen: Offenbarung 12,1-6, 7-12, 13-17

Liebe Gemeinde

  1. Das ist mir eine Offenbarung

«Jetzt habe ich es verstanden.»

«Jetzt isch d’ Zwanzger abbe.»

So sagen wir, wenn wir etwas verstehen, was wir vorher einfach nicht kapiert haben.

Die Offenbarung will etwas Ähnliches.

Sie versucht den Hintergrund von dem zu erklären, was wir gerade auf der Welt erleben.

Sie begründet alles, man muss sagen «schreckliches Geschehen der Welt», mit Gottes Willen.

Es ist ein Kampf zwischen Gut und Böse, aber mit der Gewissheit, das Gute wird gewinnen.

Gott und Jesus Christus wissen um unser Erleben des Bösen.

Aber Gott lässt das Böse quasi «am langen Arm verhungern.»

Aus diesem Vertrauen heraus sollen wir Christinnen und Christen leben und wirken.

  1. Kleinstgemeinden, die wirken

Johannes, der Schreiber der Offenbarung, kennt keine Megakirchen, in denen sich hunderte von Christinnen und Christen treffen, wie es sie in den USA, Australien und wohl auch in China gibt.

Auch kennt er keine weltweite Christengemeinschaft, zu der Milliarden von Menschen gehören.

Johannes kennt nur kleine Gemeinden, damals am Beginn der Christenheit um das Jahr 100 n.Chr.

Sie sind durch verschiedene gesellschaftliche Umstände gefährdet.

Keiner weiss, ob diese Kleinstgemeinden in wenigen Jahren noch existieren werden.

Unsere Realität ist die, die Johannes damals mit den Christen in seiner Zeit erlebte.

Trotz 5000 Dorfbewohner ist das Interesse an beiden Kirchgemeinden gering.

Man geht kaum hin, allenfalls zu Taufen, Erstkommunion, Konfirmation, Firmung, …

Der Glaube hat für viele im Alltag keine Bedeutung mehr.

Wir werden nicht verfolgt, aber belächelt.

Und indirekt auch für überflüssig angesehen, ausser wenn wir mit Fischbeiz, Konzerten und Freitags-Apéros etwas für die Gesellschaft leisten, und, ja – mit und für die Älteren etwas machen.

«Ü 60» meinte diese Woche jemand im Gespräch zu mir, «die können in der Kirche aktiv werden».

Aber wir sind da! Hier! In der Kirche am Sonntagmorgen!

Wir fragen nach dem Sinn des Lebens.

Wir fragen, ob da noch mehr ist als nur der ewige Kampf zwischen Gut und Böse.

Wir interessieren uns für einen möglichen Trost, für etwas Grösseres, als wir es sind.

Dessen Spuren haben wir in unserem Leben immer wieder entdeckt.

Gott.

Die Liebe, das uns Beschützende, uns Bewahrende.

Und wir als Kirchen haben eine Aufgabe.

Für andere müssen wir da sein.

Für die, die schnell übersehen werden.

Kirchen müssen auch immer wieder kritisieren, und Lebensstile wie politische Entscheide im Namen von Jesus Christus anzweifeln, auch wenn man es oft nicht gern hört.

Es bleibt die Frage: Existieren wir ein paar Jahrzehnten noch?

  1. Johannes Visionen

Johannes hat sich zurückgezogen.

Er gerät in eine Art Trance.

Der Himmel öffnet sich.

Er versteht selbst nicht, was er sieht.

Das Erlebte versucht er in Worte zu fassen.

Er schreibt das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung.

Johannes kennt antike Sagen von Göttern und ihren Kämpfen gegeneinander, immer das Gute gegen das Böse.

Noch besser weiss Johannes im Alten Testament Bescheid.

All dieses Wissen ist in die Offenbarung mit eingearbeitet.

  1. Der Sieg im Himmel und der Kampf auf Erden mit Unterstützung durch Albrecht Dürer

Das Gehörte und Gesehene ist ein Hin und Her zwischen Himmel und Erde.

Zunächst wird von einer besonderen schwangeren Frau erzählt, die ein Kind gebären soll.

Wir sind auf der Erde.

Wir sehen es im ersten Dürer-Bild.

Auch ist da von einem Drachen die Rede, der das Kind umbringen will.

Ich glaube, sie hören da schon die Weihnachtsgeschichte hindurch.

Maria und das Jesuskind, welches der «Drache» Herodes umbringen will.

Jesu Lebensgeschichte wird nicht erzählt, aber, dass er zu Gott kommt.

Dürer malt es mit dem Kind unter der segnenden Hand Gottes.

Dann kippt das Bild.

Jetzt spielt alles im Himmel.

Es ist auf dem anderen Bild von Albrecht Dürer zu sehen.

Wir erleben einen Götterkampf zwischen guten und bösen Mächten.

Der böse Drache wird aus dem Himmel geworfen.

Interessant ist, dass nun Johannes gleich vier Namen für „das Böse“ auf der Erde gebraucht:

«der grosse Drache, die alte Schlange, genannt der Teufel und der Satan»…

Das deckt sich mit unseren Erfahrungen.

Man kann nicht eindeutig sagen, was hier in der Welt das Böse ist.

Was für den einen der Teufel ist, muss es für den anderen nicht sein.

Der Alkohol, den die meisten von uns trinken, kann für manchen das Böse sein, der in die Sucht treibt.

Für andere ganz und gar nicht.

In einem Lied meiner Jugendzeit hieß es: „Das Böse ist immer und überall.“

Um das Böse zu umschreiben, können wir das Wort „versuchen“ gebrauchen.

Ich werde versucht, etwas zu tun, bei dem ich ahne, dass es falsch für mich ist.

Nochmals verändert sich das Bild bei Johannes.

Wir sind auf der Erde.

Die Frau ist nun nicht mehr Jesu Mutter Maria, sondern die christliche Gemeinde.

Und der Drache ist das Böse schlechthin.

Setze ich die Wörter «Gemeinde» für «Frau» und «Böse» für «Drache» ein, so heißt der Vers 17 aus der Offenbarung 12 jetzt:

«Und das Böse ergrimmte über die christliche Gemeinde und ging hin, Krieg zu führen mit den übrigen ihrer Nachkommenschaft, die die Gebote Gottes befolgen und das Zeugnis über Jesus festhalten.»

Die Frau, die Gemeinde, damit sind auch wir gemeint!

Wir, heute!

Wir, so sagt es Johannes, stehen im Kampf gegen das Böse.

Für mich stecken drei wichtige Aussagen im Text:

  1. Das Böse ist auf der Erde nicht definierbar.
  2. Das Böse plagt uns hier auf der Welt, bis heute. Aber nur in einer begrenzten, von Gott festgesetzten Zeit.
  3. Im Himmel, bei Gott, gibt es nichts Böses mehr.

  1. Das Böse in der Welt gegen die Gemeinde Jesu

Es ist nachgewiesen, dass Dietrich Bonhoeffer in seiner Gefängniszelle im Strafgefängnis Berlin-Tegel, das eine Bild von Michaels Kampf gegen den Drachen von Albrecht Dürer aufgehängt hatte.

Das, was Sie vor sich haben.

Charles Marsh schreibt:

„An die Wand seiner Zelle hängte er einen Druck von Dürer (s apokalyptischen Reitern, – das ist inhaltlich falsch, aber das Bild stimmt – Bemerkung B. Haerter) der die Offenbarung 12,7 abbildete, den Kampf zwischen Gut und Böse, wo Sankt Michael die Engel im Kampf gegen den Drachen anführt. (Charles Marsh, Dietrich Bonhoeffer – Der verklärte Fremde, Gütersloh 2015, p 436f)

Schauen wir nochmals dieses Bild an.

Wir sehen Michael mit seinen Begleitern (übersetzt heisst Michael „Wer ist Gott?“), die den Drachen Richtung Erde hinab werfen.

Unten sehen wir eine schöne Landschaft, ein Dorf mit Kirche am See, im Hintergrund die Berge, es könnte unser Dorf am Zürichsee sein. (Dürer kannte es natürlich nicht.)

Äusserlich ist auf der Erde alles schön, geradezu idyllisch, so, wie Deutschland im Sommer 1943 noch war.

Aber es herrschte ein Kampf.

Die Bekennende Kirche von Christinnen und Christen kämpft gegen Hitler, der Jüdinnen und Juden verfolgte und «unwertes Leben» töten liess.

Sie kämpfte im Auftrag Jesu, quasi mit der Bibel in der Hand, oft sehr vorsichtig.

Bonhoeffer war beteiligt daran.

Bonhoeffer ahnte offensichtlich, dass noch Schlimmeres auf die Welt, seine Heimat, die Kirchen zukommt.

Er hatte recht.

Ähnlich sah Johannes Schlimmes bevorstehen, für die Gemeinden, die er damals kannte.

Wie geht es uns bei diesem Bild?

Steht uns Schlimmeres bevor?

Es geht uns noch wirtschaftlich gut.

Auch werden wir noch akzeptiert.

Der Welt geht es politisch, ökologisch, auch teilweise wirtschaftlich schon jetzt schlecht, so schlecht, wie lange nicht mehr.

Es droht Schlimmeres, wir können es nur erahnen, aber hoffen, es wird wieder besser.

Und wie ergeht es uns Christinnen und Christen darin?

Wir verschwinden mit unserer Meinung aus der Öffentlichkeit.

Das ist eine typische Minderheitssituation, was auch nicht schlecht sein muss.

Aber wir spüren auch Gegenwind.

Wenn Kirchen etwas «falsch» machen, oder Vertretende von ihnen, dann werden sie gern an den Pranger gestellt.

Auch wird schnell tendenziell gegen die Kirchen in den Medien berichtet.

Nehmen wir das Beispiel der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in den beiden Kirchen.

Lautstark wurde in den Zeitungen und in den Massenmedien geschrieben:

«Stopp für Missbrauchsstudie bei reformierter Kirche» (srf)

Die Tatsache ist aber eine andere und ein demokratischer Entscheid hat dazu geführt.

Man hatte die Idee eine «Dunkelfeldstudie für die gesamte Gesellschaft der Schweiz über sexuellen Missbrauch und Grenzverletzung» zu machen.

Die Studie hätte Strukturen aufgedeckt, die in unserem Land in allen Bereichen zu Missbrauch führen kann, in allen Gemeinschaften, Vereinen, Firmen, etc.

Das Ganze hätte gut 1,6 Millionen reformierte Steuergelder gekostet.

Die einzelnen Landeskirchen wehrten sich, da dies eine Dienstleistung an der gesamten Gesellschaft ist.

Die ist Aufgabe des Bundes (Landesregierung).

Aber man sucht in beiden Kirchen nach Tätern in den eigenen Reihen.

Man will Opfern helfen und arbeitet daran, dass Grenzverletzungen nicht mehr vorkommen können, man sensibilisiert.

Man bildet den Mitarbeitenden und Freiwillige weiter.

Beide Kirchen arbeiten so sehr wohl daran, sexuellen Missbrauch aufzuarbeiten.

Wir hören davon zu wenig.

Es ist nicht Massenwirksam.

Wir merken, wir werden nicht verfolgt.

Aber angegriffen werden wir gern, und die Wahrheit wird zu unseren Ungunsten dargestellt.

Was kommt noch?

  1. Das Leiden ist begrenzt: Der segnende und bewahrende Gott nach Albrecht Dürer

Sollen wir nun wütend reagieren.

Oder sollen wir es einfach ertragen?

Sollen wir uns zurückziehen?

Bonhoeffer hat gekämpft, aber auch akzeptiert.

Die Offenbarung und das Bild von Dürer halfen ihm:

Gott steht über allem.

Das Wirken des Bösen in der Welt ist zeitlich begrenzt.

Bonhoeffer vertraute aber auch dem, was Dürer auf dem anderen Bild mit der Frau zeigte, die Frau, die die christlichen Gemeinden darstellt.

Da ist der segnende Gott, der die Gemeinden, die Nachkommen des Kindes (Jesus Christus), bewahrt.

Jetzt sötti d’ Zwanzger abbe cho sie.

Da ist die Sicherheit, dass im Himmel nichts Böses, kein Verleumder und kein Ankläger auf mich wartet.

Aus dieser Sicherheit heraus kann ich in dieser Welt wirken und mich als Christin und Christ aktiv einbringen.

Denn da ist das Wissen: Gott weiss um mich, schon jetzt.

AMEN

Berthold W. Haerter

Oberrieden am Zürichsee

Berthold.haerter@bluewin.ch

Geb. 1963

Pfarrer der Ev.-ref. Landeskirche Zürich seit 1993