Offenbarung 7,1-12; Matthäus 5,1-12

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20.Sonntag nach Trinitatis | 02.11.25 | Offenbarung 7,1-12; Matthäus 5,1-12 (dänische Perikopenordnung)[1] | Von Margrethe Dahlerup Koch

Gott macht alles neu

Da sind so viele Namen für Allerheiligen. Nicht nur die Namen der 12 Stammväter, die wir gerade gehört haben in der ersten Lesung vom Altar – Juda, Ruben, Gad usw. Und auch nicht nur die Namen, die in diesem Gottesdienst noch verlesen werden – die Namen derer aus der Gemeinde, die seit dem letzten Allerheiligen verstorben sind. Aber auch die Namen der vielen anderen, die wir jeder für sich vermissen, an die wir uns erinnern und über die wir uns freuen, dass wir sie in unserem Leben gehabt haben. Die uns das Radfahren beigebracht haben, starken Käse zu essen und in Brüchen zu rechnen. Die wir geliebt haben und mit denen wir alt geworden sind. Deren Eltern wir waren, deren Kinder und Freunde. Und die, die uns gelehrt haben aufzugehen und loszulassen. Die Schwierigen und anstrengenden, die uns lehrten, dass es Grenzen gibt für das, was ein Mensch können soll und ertragen kann. An die denken wir heute auch. An die, mit denen wir gestritten haben, und an die, denen wir nicht helfen konnten. Das gehört mit zu unserem Leben, und sie haben uns vielleicht das Wichtigste gelehrt. Dass da Kräfte sind, die nur Gott hat und die nur Gott geben kann. Dass da Schleifen sind, die wir nicht fein säuberlich binden können, und da sind ungelöste Konflikte, die wir in die klugen und starken Hände Gottes legen müssen, denn wir weder konnten noch vermochten hier etwas ausrichten.

    Und so sitzen wir hier mit all den verschiedenen Namen, an die wir denken. So unterschiedliche Leben, und so verschiedene Tode. So verschiedene Erfahrungen und Erinnerungen. Wir sitzen jeweils mit den unsrigen. Aber wir sitzen zusammen. Nicht allein. Wir sitzen hier zusammen um zu gedenken und uns zu erinnern. Ja wir, aber vor allem um zu hören und zu singen und zu glauben, dass an uns gedacht ist. Von Gott.

Allerheiligen leuchtet mitten im Dunkel des Novembers mit seiner Botschaft, dass wir in der Welt nie ohne Gott sind. An uns wird gedacht. Von Gott. Auch wenn sich der Missmut wie eine schwere, dunkle Hand über alles legt. Auch wenn Leib und Seele beherrscht sind von der Furcht, wie man durch die Nacht und die Finsternis und den morgigen Tag kommt. Es ist nicht sicher, dass wir selbst erfahren haben oder glauben können, dass Gott in diesen Situationen gegenwärtig ist. Deshalb müssen wir auf andere hören, die uns das erzählen.

   Wie dies z.B. der alte Johannes tut. Die gewaltigen Visionen, die wir in der Lesung vom Altar gehört haben, mit Engeln und weißgekleideten Scharen – das ist nur ein kleiner Teil vom großen Traum und der Predigt des Johannes, die er einmal zwischen den Jahren 90 und 100 hält. Die Tradition erzählt, dass er sitzt, der uralte Mann, auf der Insel Patmos, vor der heutigen türkischen Küste. Dorthin ist er verwiesen aus Ephesus, zusammen mit allen anderen Christen aus dieser Stadt. Denn der Kaiser in Rom duldet die Christen nicht mehr. Er ist von Größenwahnsinn befallen. Er will wie Gott angebetet und angeredet werden. Und das verweigern die Christen. Deshalb sind sie nun nach Patmos verwiesen – und damit zum Tode verurteilt. Denn auf Patmos befinden sich Arbeitslager von der Art, wie sie Diktatoren auch seitdem in der Geschichte gebraucht haben und noch immer gebrauchen. Arbeitslager, deren einziger Zweck darin besteht, dass sich die Leute zu Tode schuften sollen.

   Da sitzt Johannes nun zusammen mit all den anderen, die nur Aussicht auf Leiden und Tod haben. Und das Vergessen. Das Vergessen, das das Ziel des Kaisers mit all dem ist. Das Vergessen soll sowohl die Gefangenen als auch ihren Glauben auffressen. Und gerade hier – mit der Aussicht auf die Vernichtung – erblickt Johannes an einem Sonntag etwas anderes. Die Offenbarung des Johannes – seine großen Visionen. Die eigenartigen und wilden Visionen, deren innerster Sinn ist: „Gott erinnert sich“. Das Projekt des Kaisers ist zum Tode verurteilt – nicht ihr seid es – predigt Johannes. Ihr seid nicht dem Vergessen anheimgegeben, sondern Gott, dem Gott, dem Johannes ganz am Ende seiner Vision sagen hört: „Siehe, ich mache alles neu“.

„Alles wird neu“. Das ist es, was so schwierig ist und so schwer, wenn man einen Verlust erlitten hat. Das ist es ja, worüber die Trauer weint: Dass nichts mehr ist, wie es einmal war, und dass es nie wieder so wird. Alles ist neu. Und was die Namen angeht: Selbst einen neuen Namen hat man bekommen. Man ist eine Witwe geworden, ein Witwer oder jemand von den Hinterbliebenen. Und der Namen, den man trug, bei dem nennt einen nun niemand mehr. Da ist niemand mehr, der einen Ehemann oder Ehefrau nennt, Kind, Mutter, Geliebte.

  Man hat neue wichtige Dokumente: Todesurkunde, Bescheinigung für das Grab. Man muss wohl zu einer Zeit ein neues Türschild anschaffen. Oder man hat einen „Generationswechsel“ erlebt. Früher war man Kind eines Erwachsenen oder Kind von Geschwistern. Nun ist man zur ältesten Generation der Familie geworden. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Deshalb ist es bescheuert, den Leuten einzubilden, dass sie weiterkommen müssen. Das sagt man ja, wenn man trauert: Man ist weitergekommen, man ist an eine ganz neue Stelle gekommen, wo man noch nicht gewesen ist. Es sind alle anderen, die nicht weitergekommen sind und die noch immer glauben, dass die Welt wie früher ist. Und es wäre schön, wenn sie das einsähen und respektierten, wie hart es sein kann, in all dem Neuen zu sein, und vielleicht zu wagen, stattdessen darauf einzugehen und bei dem Trauernden in dem Neuen zu sein.

Das tut unser Herr. „Siehe ich mache alles neu“, sagt er in der großen Traumvision des Johannes. Gott macht alles neu. Das ist die Antwort von Allerheiligen an uns, wenn wir meinen, dass das Beste das ist, was wir verloren haben, dass Freuden etwas sind, was wir erlebt haben, und das das Leben das ist, was hinter uns liegt. Nein, verspricht uns Gott. Das Beste, die größte Freude, die steht euch noch immer bevor.

   Gott ist es, der alles neu macht. Den Trost, die Freude, die neue Sicht und die neuen Aufgaben sollen wir nicht selbst aus der Erde stampfen und herbeizwingen. Wir dürfen traurig sein – auch länger und anders als andere das vielleicht angebracht finden. Wir können der Trauer Raum geben im Leben in der Gewissheit, dass Gott es gewiss ertragen wird, all das zu hören, das andere leidhaben oder worüber sie erschrecken, wenn sie es hören. Wir können trauern in der Gewissheit, dass Gott jede Träne trocknen wird, wenn wir die Zeit geweint haben, die geweint werden muss. Und wir können trauern in der Gewissheit, dass der Platz, den die Trauer eingenommen hat, einmal von der Freude übernommen wird.

Das war die Hoffnung, die Johannes auf Patmos für die zu Tode verurteilten verkündigte. Und das ist dieselbe trotzige Hoffnung, die uns dazu veranlasst, Kerzen und Blumen auf die Gräber zu stellen mitten im Dunkel und der Kälte des Novembers.

  Vor 50 Jahren fand man in Vedbæk hier in Dänemark einiger Gräber aus der Jägersteinzeit bzw. Altsteinzeit. In einem der Gräber fand man eine junge Frau, die mit ihrem kleinem zu früh geborenem Kind begraben wurde. Das Kind wurde auf einen Schwanenflügel begraben. Vor 7000 Jahren hat man für ein kleines totes Kind gesorgt. Man hat für den kleinen Jungen gesorgt, wie es aussieht. Kann man den Schwanenflügel deuten als ein Zeugnis dafür, dass man auch für seine Toten hoffte? Die Hoffnung, dass sie im Gedächtnis blieben, die Hoffnung, dass es die Lebenden waren, die für eine Zeit die Hinterbliebenen waren, während die toten auf dem Weg in ein neues Dasein waren? Auf dem Schwanenflügel der Hoffnung?

   Wir wissen nicht, was sie damals vor 7000 Jahren gedacht haben. Aber wir wissen, dass 5000 Jahre nachdem der kleine Junge auf den Schwanenflügel gelegt wurde, ein kleiner Junge in Bethlehem geboren wurde, der sein ganzes Leben darauf verwandte zu sagen und zu zeigen, dass die Hoffnung darauf wahr ist, dass Gott an jeden Menschen denkt. Er, Jesus, lebte sein ganzes Leben mit der Hoffnung. Und er gab das hoffnungsvolle Leben weiter und gab es fort, bis da nichts mehr zu geben war und er starb. Aber sein Leben verschwand nicht. Er stand auf von den Toten. Und nun ist sein Leben, das hoffnungsvolle Leben, das der Tod nicht umbringen konnte, nun ist dieses Leben hier bei uns, für die es gegeben wurde.

  Deshalb können wir hier sitzen, jeder mit unseren neuen und alten Namen, mit all unseren Erfahrungen und Gedanken. Und wir sitzen hier zusammen. Wir singen und hören und glauben zusammen, dass Gott an uns denkt, zu uns kommt und zu allen unseren Toten.

Um alles neu zu machen und voll von Freude. Amen.

Pröpstin  Margrethe Dahlerup Koch

DK 6950 Ringkøbing

Email: mdk(at)km.dk

[1] In Dänemark wird dieser Sonntag als Totensonntag (Allerheiligen) begangen.