Predigt

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Liebe Gemeinde!

Worauf Warten Sie eigentlich?
– auf ein Päckchen
– auf die S-Bahn
– auf den nächsten Urlaub
– auf einen neuen Himmel und eine neue Erde?

Worauf warten Sie eigentlich? (Plakat aufdecken)
So könnte die Frage lauten auf einem neuen Plakat der EKD-Werbekampagne.
Wieder hat es einen blauen Hintergrund, der die Assoziation „Himmel“
zulässt.
Vielleicht haben viele von Ihnen diese Plakate gar nicht bemerkt. Jetzt
haben Sie eines vor Augen! Extra für Sie. Denn diese November-Plakat
ist meine Erfindung für diesen Gottesdienst. Worauf warten Sie? Oder
vielmehr, warten Sie überhaupt gerne? Oder sind Sie eher der ungeduldige
Typ? Wer wartet denn heutzutage noch wirklich auf etwas, so wie Kinder
auf Weihnachten? Dreimal werden wir noch wach, heißa… Von wegen.
Schnell soll es gehen. Am besten mit 24-Stunden Lieferservice. Warten
kostet Zeit – und die haben wir nicht.

Wenn das Warten nicht mehr zeitgemäß zu sein scheint, dann
warten wir erst recht nicht auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Sie etwa? Wenn ich ehrlich bin, ich auch nicht. Umfragen haben ergeben,
dass die Erwartung, die Welt werde vernichtet und danach neu geschaffen,
heute so gut wie keine Rolle mehr spielt. Der ´Tag des Herrn`, an
dem Christus, der Weltenrichter, wiederkommt, scheint kein wichtiges Datum
mehr in unserer Lebensplanung zu sein. Zwar beten wir im Vaterunser: Dein
Reich komme. Aber wenn es sich morgen plötzlich erfüllen würde,
das neue Reich, dann wären wir doch alle höchst überrascht.
„Jetzt passt es mir aber gerade gar nicht. Ich habe heute Abend noch
was vor. Geht’s nicht morgen, bitteschön“. Und warum auch nicht
überrascht sein? Das Bedürfnis, im Jetzt leben zu wollen und
nicht ans Hinterher zu denken, ist durchaus berechtigt. Finde ich.

Allein die Naturkatastrophen, die wir zur Zeit erleben, lassen vielleicht
doch wieder mehr an einen Weltuntergang denken. Für viele Fischer
im Nordwesten Spaniens hat ihr Weltuntergang einen Namen „Prestige“.
Der untergegangene Öltanker. Und viele Menschen in den Überschwemmungsgebieten
Deutschlands kämpfen noch immer mit den Folgen des Hochwassers. Zu
denken gibt auch die Krisenstimmung an den Börsen, wo Tausende Kleinanleger
ihre Rente verloren haben.

Und wie steht es mit der nüchternen naturwissenschaftlichen Erkenntnis,
dass die Erde sowieso ihrem Untergang zusteuert? Die lässt kaum jemanden
warten. Wieso auch? Dauert ja noch ein paar hundert Millionen Jahre.

Sind wir aber mit diesem Denken moderne Spötter, die nicht mehr
daran glauben, dass der Tag Gottes jederzeit kommen könnte; die keine
Hoffnung mehr haben auf bessere Zeiten, auf einen neuen Himmel und eine
neue Erde? (Antwort: ja, aber eigentlich doch „Nein“, wir hoffen
doch.)

Zweifel am Tag des Herrn gab es schon immer. Sie wurden noch gefördert,
nachdem die ersten Christen die Wiederkunft des Herrn nicht erlebt hatten.
Sie waren verunsichert und ließen sich verunsichern durch sog. Spötter,
die in ihren Gemeinden waren.
Der Verfasser des 2. Petrusbriefes wendet sich genau gegen solche Spötter
und Irrlehrer und will seine Gemeinde motivieren – zum Warten. So schreibt
er im 3. Kapitel:

PREDIGTTEXT

Der Briefschreiber ist gegen jede andere Meinung davon überzeugt,
dass es sich lohnt zu warten, wenn wir dabei fromm sind. Dabei zeichnet
er ein Weltuntergangsszenario nach, dass mir Angst und Bange wird, und
fragt dann: „Wenn nun alles so vergehen wird, wie müßt
ihr dann dastehen in heiligem Wandel und Frömmigkeit?“ Es scheint
mir nicht mehr sehr zeitgemäß zu sein, mit Gerichtsandrohung
und Strafe zu einen heiligen Lebenswandel zu motivieren.

Gleichzeitig redet er aber auch von Geduld: „Gott hat Geduld und
Nachsicht mit euch. Er will nicht, dass jemand verloren werde.“ Gott
wartet, dass alle umkehren und Buße tun. Das klingt viel beruhigender.
Gott weiß, worauf er wartet! Und er wartet absichtlich, denn er
hat Zeit. Und er hat eine andere Zeitvorstellung als wir. Für ihn
sind 1000 Jahre wie 1 Tag. Es ist nicht so, dass er unzuverlässig
wäre oder seine Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen
Erde nicht einhalten würde. Er hat Geduld. Er wartet absichtlich.

Und wir? Warten wir vielleicht doch insgeheim? Auf Dinge, die wir nicht
in der Hand haben? Wenn die Antworten auf dem Plakat lauten würden:
Auf Frieden, Gesundheit, Gerechtigkeit, auf Spuren Gottes in unserem Leben,
dann könnten viele von uns zustimmen. Vielleicht drücken wir
es eben anders aus, das, worauf wir warten! Vielleicht wollen wir nicht
erst auf das Jenseits vertröstet werden, sondern haben Hoffnung,
dass auch in diesem Leben etwas neu wird, dass sich der neue Himmel und
die neue Erde jetzt schon zeigen!
Wäre es nicht schön, wenn es keinen Hunger mehr gäbe?
Wäre es nicht schön, wenn nach einem persönlichen Weltuntergang,
sich neue Perspektiven auftun, der Himmel wieder blau aussieht?
Wäre es nicht schön, wenn man immer mal wieder etwas von diesem
neuen Himmel und der neuen Erde spüren könnte und in ihnen einen
Augenblick lang verweilen könnte? Nur einen Augenblick!
Wenn ich den neuen Himmel und die neue Erde schon jetzt erleben kann –
und nicht erst im Jenseits oder in der Zukunft -, wenn ich unter dem Begriff
„neuer Himmel und neue Erde“ etwas anders verstehe, als dass
die Welt tatsächlich neu geschöpft wird nachdem sie vorher mit
Getöse untergegangen ist, dann warte ich doch und frage mich, wie
sich das Warten gestalten läßt? Wie müssen wir dann dastehen
in heiligen Wandel und Frömmigkeit?

Ich meine, es bedeutet nicht, Spinnweben anzusetzen, oder im Wartehäuschen
einzuschlafen. In freier Interpretation des Satzes: „Ein Tag vor
dem Herrn ist wie 1000 Jahre“ liegt für mich die Bedeutung des
Wartens: Wir sollen so warten und so leben, dass schon 1 Tag vor und mit
Gott so erfüllt ist wie 1000 Jahre. Das könnte also heißen:
Lebe so, dass du einen Tag als dein ganzes Leben betrachtest. So erfüllt
soll er sein.

Erfüllt leben, darum geht es. Und darum geht es auch beim Warten,
das für mich Ausdruck des heiligen Wandels und der Frömmigkeit
ist. Das Warten gehört zum heiligen Wandel, weil beim Warten das
Heilige, das Ewige, das Göttliche hereinbrechen kann. Gerade weil
ich beim Warten offen werde für heiligen Momente und mich von ihnen
anstecken lasse, darum wird mein Leben erfüllt. Aufmerksam werden
für die kleinen Lichtblicke und friedvollen Augenblicke, die vom
neuen Himmel und der neuen Erde erzählen. Dazu gehört auch,
zu erkennen, dass es uns gut geht. Dass wir keine Tankerkatastrophe vor
der Haustür haben. Dass unsere Häuser nicht weggespült
wurden. In unserem Alltag wertzuschätzen, was wir haben. Das entspricht
nicht nur dem Bedürfnis, das Leben jetzt bewußt leben zu wollen,
sondern baut darauf.
Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit nicht nur auf eine ferne bessere
Zukunft, sondern auch auf die Gegenwart und ihre mögliche Erneuerung.

So verstanden ist Warten also nichts passives, sondern etwas ganz und
gar aktives.

Es ist aber nicht so, dass ich das Warten nur selbst in der Hand hätte
/ dass ich mir aussuchen könnte, wie ich warte. Es ist mir auch von
Gott vorgegeben. „Gott will, dass jedermann zur Buße finde.“
Unter Buße verstehe ich, dass ich umkehre. Wenn ich mich umdrehe,
dann habe ich eine neue Perspektive, mein Blick sieht etwas Neues. Es
verwandelt sich etwas bei mir. Nicht umsonst bedeutet Buße auf Griechisch
metanoia. In dem noia steckt das Wort nouV und das ist der Verstand oder
die Erkenntnis, die ich brauche, um den neuen Blickwinkel einzunehmen.
Der wird mir aber von Gott geschenkt. Gott ist es, der meinen Blick auf
den neuen Himmel richtet. Er, in seiner Geduld und Gnade. Die Buße
gehört zum Warten dazu, weil sie uns eine neue Perspektive eröffnet:
den neuen Himmel, den Blick auf das Ewige, das schon da ist.

Man kann zwar nicht sagen, wie der neue Himmel genau aussieht. Da hat
jeder andere Vorstellungen. Aber oft ist es das, was unserem Leben einen
tieferen Sinn gibt. Oder es ist das, was fehlt, um unserem Leben Sinn
zu geben. Vielleicht kann man von dieser Ewigkeit, von diesem Neuen, auch
hören. Wenn ich z.B. Glockenläuten höre, dann scheint es
mir oft, als ob die Ewigkeit für einen Moment erfahrbar ist. Es scheint
für Augenblicke so friedlich und so feierlich. Festhalten kann ich
sie nicht, aber ich kann innehalten, meine Ohren öffnen und den Anzeichen
von diesem neuen Himmel und der neuen Erde lauschen.

Gewissermaßen könnte man die Kirche als ein Wartehäuschen
bezeichnen, als ein Wartehäuschen neben vielen anderen. Nicht dass
dort die Ewigkeit „irgendwie“ schneller ankommt. Nicht, dass
sie dort schon ganz verwirklicht wäre. Nein, aber das Wartehäuschen
Kirche neben anderen bietet Raum zum Warten, zum Offen werden. Das Wartehäuschen
Kirche läd ein zum Perspektivenwechsel und zu einer Sicht auf das
Neue, Göttliche.

Wie gestalte ich also mein Leben, dass ich die Ewigkeit bemerke, die
schon jetzt angefangen hat? Wie lebe ich in der Hoffnung, dass immer wieder
etwas neu wird?
Diese ist die zentrale Frage beim aktiven Warten!

Die scheinbar banalen Antworten auf die Frage des Plakates markieren
eine Steigerung für das aktive Warten:
Þ Wenn Sie auf ein Päckchen warten, dann können Sie nur
zu Hause zu bleiben, damit sie den Postboten nicht verpassen.
Þ Wenn Sie auf die S-Bahn warten, können Sie sich entweder
beeilen – falls sie mal pünktlich ist – damit Sie nicht zu spät
kommen. Oder Sie üben sich in Geduld und passen auf, dass sie beim
Warten nicht einschlafen. Da bleibt vielleicht auch ein Moment Zeit, zu
schauen, was gerade wirklich wichtig ist. Da bleibt vielleicht ein Moment
Zeit, sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen.
Þ Wenn Sie auf den nächsten Urlaub warten, können Sie
immerhin schon in Vorfreude planen. Und das Besondere am Urlaub: Die Vorfreude
wirkt sich oft positiv auf die Stimmung vorher aus. Der Stress vorher
erscheint in einem anderen Licht.
Þ Wenn Sie auf den neuen Himmel und die neue Erde warten, können
Sie sehr aktiv sein: Wachsamsein, Umkehren und umdenken, neue Perspektiven
für ihr Leben gewinnen und eine Aufmerksamkeit entwickeln für
die „magic moments“ der Ewigkeit.

Also: Worauf warten Sie eigentlich noch?

„Und eins sei euch dabei nicht verborgen, Ihr Lieben“: Auch
Er wartet. Er, der da war, und der da ist und der da kommt. Denn Er hat
Geduld mit euch. AMEN

 

Doris Teicher
doris.teicher@gmx.de