
Johannes 1,1–14
2. Weihnachtstag | 26. Dezember 2002 | Johannes 1,1–14 | Erik Høeg-Andersen |
Unten im Sünden, wo es wärmer ist als hier, in
Ephesus in Kleinasien, saß einmal vor vielen Jahren ein alter Mann.
Er war so alt, daß man ihn einen Greis nennen konnte. Und er redete
und sprach auch so wie nur alte Menschen das können. In seinen Worten
war Tiefe. Die Erfahrung eines langen Lebens lag in ihnen. Und dann redete
er in einer merkwürdig rollenden Art, wo ein Wort oder ein Bild immer
mehr bedeutete, während sich ein Gedanke zum anderen fügte.
Um den Alten, der nun schon fast neunzig Jahre alt war, saßen
junge Leute. Sie hörten ihn erzählen, schrieben auf, was sie
hören, und fragten ihn aus. Sie waren Christen, diese jungen Leute,
sie kannten einander gut. Und der alte Mann, ja er hieß Johannes
und war in seiner Jugend einem Mann begegnet, der alles veränderte.
Johannes war einer der Jünger Jesu gewesen, und davon erzählte
er nun, was all das zu bedeuten hatte.
Ja, wie hatte den alles im Grunde angefangen, fragte einer der jungen
Leute. Wie es anfing? Das hatten sie natürlich gelesen bei Markus
und Matthäus und Lukas und wie sie alle heißen, alle die, die
die Geschichte niedergeschrieben haben. Sie hatten gehört von Kaiser
Augustus und der Volkszählung und vom Kind, das aus dem Hause Davids
war und in einem Stall geboren wurde. Und sie hatten von den Hirten auf
dem Felde gehört und vom Gesang der Engel. Aber nun saßen sie
also hier mit einem Jünger des Herren selbst. Sie wollten lieber
aus seinem eigenen Munde hören als von Leuten lesen, die sie nicht
kannten.
Wie es begann? Johannes greift die Frage auf, wartet etwas und beginnt,
langsam und würdig, wie zu erwarten: „Im Anfang …, das war,
glaube ich, draußen am Jordan, wo Johannes der Täufer die Leute
zur Taufe rief. Da kam eines Tages jemand, den wir nicht kannten, und
er … Nein, das war nicht der Anfang!“ Johannes hält ein. Seine
Gedanken gehen weiter zurück. Zum Täufer selbst, und weiter
zu den Propheten, die schon damals von dem Christus sprachen, der kommen
sollte … Aber das war auch nicht der Anfang.
Johannes hat längst alle Propheten und Geburtslegenden und -erzählungen
von Bethlehem und Nazareth übersprungen, als er wieder das Wort ergreift:
„Ja, seht Ihr“, sagt er, „im Anfang war das Wort“
…., so lange ist das her, vor der Schöpfung, beim ewigen und unsichtbaren
Gott. Und Johannes fährt nun fort in seinem rollenden, stets weiter
bauenden Stil: „Und das Wort war bei Gott. Und das Wort war Gott.
Dieses war im Anfang bei Gott“.
Die nun bekannten Worte erklingen eines nach dem anderen – in einer
Bewegung, die aus der Ferne, aus der Ewigkeit Gottes hin zu dieser Welt
geht.
Und er erzählt nun von der Finsternis in der Welt und dem Licht
des Wortes Gottes, und die Finsternis will es ergreifen, wo es leuchtet,
aber sie kann das Licht nicht ergreifen.
So war es, denkt Johannes, und kommt nun zum nächsten Anfang, damals,
als der Täufer auftrat. Der Täufer war ein Mensch, von Gott
gesandt, um vom Licht zu zeugen, auch wenn er nicht selbst das Licht war.
Und Johannes spricht weiter vom Licht, langsam und mit seiner eigenen
inneren Begeisterung, wie er es liebt, von dem wahren Licht, das nun alle
Menschen erleuchtet. Er spricht von dem Wort. Und schließlich kommt
er in einer Art Triumph zu dem, worum alles geht: „Und das Wort ward
Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit…“.
Das war es nämlich, was Johannes und die anderen Jünger gesehen
hatten, als sie mit Jesus auf Erden wandelten.
Das war das Entscheidende, was er in seinem Alter zu erzählen hatte.
Daß er die Herrlichkeit Gottes gesehen hatte, voll von Gnade und
Wahrheit. Er hatte in Christus all das gesehen, was bei Gott von Ewigkeit
an gewesen war. Er hatte das Licht kommen sehen, das Licht vom Morgen
der Schöpfung. Er hatte in die Ewigkeit selbst hineingesehen.
Wie hat es eigentlich angefangen? Das war es, was die Jungen den alten
Johannes gefragt hatten. Und sie hatten wohl damit gerechnet, daß
er ihnen Geschichten und Anekdoten aus den Tagen der Jugend erzählte.
Aber eine solche Antwort erhielten sie nicht. Sie erhielten eine Antwort,
die weit, weit über das hinausging, was sie sich in irgendeiner Weise
vorgestellt hatten. Er hatte ihnen von einem Anfang erzählt, der
größer war, als sie je gedacht hatten.
Und die jungen Leute, die sich Christen nannten, vielleicht haben sie
ja, jedenfalls besser als vorher, verstanden, worauf sie sich in Wirklichkeit
eingelassen hatten. Sie waren nämlich nicht nur eine Schar von Jesus-Anhängern,
die sich um das versammelten, was ein Mann vor einigen Jahrzehnten gesagt
und getan hatte. Sie waren nicht nur ein mehr oder weniger zufälliger
Verein oder eine Sekte oder eine Partei. Nein, sie waren an etwas beteiligt,
das schon weit zurück in der Ewigkeit bei Gott begonnen hatte, bevor
die Menschen und diese Welt entstanden waren. Sie waren an etwas beteiligt,
das nicht nur für einige wenige Bedeutung hatte, sondern für
die ganze Welt. Ja, sie trugen das Licht in sich, das wahre Licht, das
im Anfang bei Gott war, und dies Licht sollten sie nun tragen hinaus in
eine Welt, die ungastlich und finster war.
Wie alles anfing? Es begann vor aller Zeit, und es begann jetzt wieder.
Es war in der Welt, es war in ihnen.
Wieviel die jungen Freude und Nachfolger des Johannes verstanden, wenn
er erzählte, können wir natürlich nicht wissen. Aber so
hat er also erzählt, der alte Mann in Ephesus, vom Anfang damals
und vom Anfang jetzt.
Und wir hören nun die Worte wieder, hier mitten in der allerdunkelsten
Zeit, wo wir Weihnachten feiern. Das macht guten Sinn. Denn gerade Weihnachten
ist ja, solange wie wir überhaupt dieses Fest kennen, das Fest des
neuen Anfangs gewesen. Eine Somnnenwendfeier, bei der man die Wiederkehr
des Lichtes feierte. Die Tage wurden länger von da an. Das Jahr war
wieder auf dem Wege zum Frühjahr und Sommer. Und um gleichsam das
Licht hervorzulocken, zündeten die Alten Wikinger Feuer an auf den
Hügeln – die Macht der Finsternis sollte ein Ende haben.
Drinnen trank man zu diesem Fest, ein festliches „Prost“ für
das Jahr und den Frieden wurde ausgerufen, alle Männer tranken aus
dem Horn und erhielten so neue Kraft. Dann erzählte man von der Entstehung
der Welt, vom ersten Anfang. Das wurde in dramatischer Form dargestellt.
Und als das Fest vorbei war, wußte man, daß nun ein neuer
Anfang gemacht war. Nun rührten sich die Kräfte der Schöpfung
wieder.
Das Licht in der Finsternis, das die Welt nicht ergreifen kann, der
neue Anfang, das ist in einer Weise das, was dieses Fest im alten Norden
wie unser christliches Weihnachtsfest bedeutet.
Man darf aber natürlich nicht vergessen, daß Johannes von
etwas weit Größerem und ganz anderem spricht als das, woran
unsere Vorväter dachten. Johannes spricht nicht vom Sonnenlicht oder
dem Mondlicht oder dem Licht der Sterne. Er spricht von dem Licht, das
über uns strahlt von der Ewigkeit Gottes, dem Licht, das jeden Menschen
erleuchtet, der lebt. Er spricht von dem wahren Licht, dem Licht der Liebe,
das so vollständig hervorbrach, als Christus hier auf unserer Erde
wandelte, das Licht, das wir nun in uns tragen als Kinder des Lichts.
In ihm beginnt unser Leben, im Licht von Christus sollen wir lernen, Gott
zu sehen wie am ersten Tag der Schöpfung.
Auch wenn die Finsternis noch immer da ist: Die Finsternis mit ihrer
Falschheit, Verlogenheit, Niedrigkeit, Blindheit drängt sich in vieler
Weise unserem Leben auf. Das weiß Johannes wie sonst nur jemand,
und seine Erzählung von Jesus entwickelt sich deshalb auch zu einem
Drama, wo Licht und Finsternis und Leben und Tod sich in einem ständigen
Kampf miteinander befinden. Ja, die Finsternis wird allmählich mit
dem Fortschreiten der Handlung mächtiger und gewaltiger, bis das
Licht schließlich hervorbricht in der Sonne der Auferstehung am
Ostertage.
So werden auch sie die Macht der Finsternis erfahren. Aber trotz Finsternis
und allem, was sie mit sich bringt, so scheint das Licht durch den Gekreuzigten
und Auferstandenen, Jesus von Nazareth, und keine Finsternis kann das
Licht, was von ihm strahlt ergreifen und auslöschen. In dieses Licht
sollen wir blicken, das Licht, das Liebe und Wahrheit zugleich ist, und
in dem Licht sollen wir unser Leben leben.
Die Finsternis mit ihrer Härte und Unbarmherzigkeit und ihrem Zynismus
gibt es zwar noch immer, in uns und zwischen uns, in den großen
Zusammenhängen und im Kleinen, aber wir sollen im Lichte leben und
wachsen und zu den Menschen werden, als die uns Gott von Anfang an gesehen
hat.
Und Weihnachten ist er erste Anfang, an dem wirt erneut das Licht der
Ewigkeit in dem neugeborenen Kinde sehen. Und mit dem Herzen des Kindes,
das in uns schlägt, und dem Licht in uns, sollen wir durch die Finsternis
des Winters gehen. Zum Ostermorgen. Und zur Wärme von Pfingsten und
dem sommerhellen Tag. Ja, einmal wir die Finsternis vergehen, und wir
werden in Klarheit sehen, von Angesicht zu Angesicht im Lichte der Gnade
und der Wahrheit.
Das hat einmal begonnen, in der Ewigkeit bei Gott. Das vollendet sich
schließlich wieder in der Ewigkeit Gottes. Aber das beginnt immer
wieder in dir und in mir.
Denn wir tragen das Wort in uns und das Licht und das Leben, das von
Gott kommt.
Und dann möchte ich sagen: Ein guten Anfang und frohe Weihnachten.
Amen
(Die einleitende Erzählung vom alten Johannes in Ephesus ist angeregt
von einem Artikel von Niels Thomsen)
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