Predigt zu Luthers 4. Invokavit-Predigt

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Vorbemerkung:

Die Predigt ist für eine der Göttinger Innenstadtkirchen gedacht.
Es gibt dort sowohl ein starkes kulturelles als auch ein starkes soziales
Engagement. Es wird mit großem Erfolg für die Finanzierung
eines neuen Kirchenfensters von Schreiter gesammelt. Darin liegt eine
Aktualität des u.g. zweiten Beispiels.

Über die 4. der Invokavitpredigten allein läßt sich
m.E. schlecht reden. Deswegen habe ich den Kontext, d.h. die Predigten
1-3 mit einbezogen.

Die Lutherzitate sind kursiv gesetzt. Am Anfang der Predigt steht keine
weitere Anrede.

Predigt:

Was ist evangelische Freiheit? Über diese Frage möchte ich
heute predigen. Und als Grundtext dieser Predigt soll mir ausnahmsweise
kein bestimmter biblischer Text dienen, sondern wiederum eine Predigt – eine
Predigt, die schon einmal gehalten wurde. Genau genommen wurde sie am
12.März 1522 gehalten, also vor 482 Jahren. Es ist die 4. der berühmten
Invokavitpredigten Luthers.

Natürlich ist Luther nicht die Bibel – keiner hat das besser gewußt,
als Luther selbst. Aber seine Theologie ist so kraftvoll, daß sie
bisweilen auch uns noch zur Sprache verhelfen kann. Sie lebt aus dem
Ursprung des christlichen Glaubens, leidenschaftlich und klar.

Im Spätwinter 1522 war Luther noch in Schutzhaft auf der Wartburg
und übersetzte das Neue Testament. In dieser Zeit kam es in Wittenberg
zu gewalttätigen Unruhen. Heiligenbilder wurden von den Altären
gerissen und zerstört. Mit der Brechstange wurden unter Führung
des Fanatikers Karlstadt Gottesdienstreformen durchgesetzt, die gewohnte
Liturgie abgeschafft. Die Partei der kirchlichen Reform war zutiefst
gespalten. Es gab einige atemlose Fanatiker und viele, die einfach bodenlos
verunsichert waren. Immer gehäßiger wurde der Streit um die
Kirche.

In dieser Situation kam der Wunsch auf, Luther möge zurückkehren
und für Klarheit sorgen. Und in der Tat sah Luther sich verantwortlich,
nicht zuletzt als berufener Pfarrer der Wittenberger Stadtkirche. Obwohl
der Kurfürst dagegen war, kehrte Luther am 6.März nach Wittenberg
zurück, in eine aufgeheizte, gärende, aggressive Stimmung.
Und was tat er? Er predigte, jeden Tag. Er tat nichts, als zu predigen.
Und das wirkte. Keine Gewalt! Kein reformatorischer Hochmut. Nur mit
dem Wort sind die Menschen zu überzeugen. Nur, was wir zu sagen
haben, macht frei. –

Wo liegen Sinn und Grenze evangelischer Liberalität? Was ist evangelische
Freiheit?

Beliebigkeit ist es nicht. Es ist nicht die laue Gleichgültigkeit
aller Inhalte. Der ohnmächtige Verzicht auf alle Verbindlichkeit
des Glaubens – das ist es nicht. Es heißt nicht, daß jeder
Esel glauben soll, was ihm gerade einfällt. Wir müssen wissen,
was es mit Gott ist, um alles in der Welt. Es hängt doch das Leben
dran, der Sinn! „ Wir sind alle zum Tode gefordert, und wird keiner
für den Andern sterben, sondern ein jeglicher in eigener Person
für sich mit dem Tod kämpfen.
[…] Ich werde dann
nicht bei dir sein noch du bei mir. Derhalben muß ein jedermann
selbst die Hauptstücke, so einen Christen belangen, wohl wissen,
dadurch er in diesen ernsten Kampf gerüstet komme.
“ Diesen
Kampf kämpfen wir doch jetzt schon. Um Klarheit. Um Gewißheit.
Da darf es keine Beliebigkeit geben. (Und wenn es sie gibt, leiden wir.)
Evangelisch ist hier nur die Freiheit, die aus der Wahrheit kommt. Die
Gott schenkt, weil er bei dir ist. 1.Hauptstück: die Unfreiheit
kennen. „ daß wir alle Kinder des Zorns sind und alle unsere
Werk, gedanken und Sinne sündlich und nichts sind vor Gott
.“ Vielleicht
ist Gott immer bei uns, und wir wissen es garnicht. Vielleicht ist er
in jedem Atemzug, in jeder Schneeflocke, in jedem Lichtstrahl bei uns.
Und wir selbst sind schuld, daß wir ihn nicht kennen. Die Spiegelwelt
im Kopf. Die Lust, selbst wie Gott zu sein. Die Angst. Der Zweifel des
einsamen Menschen in einer gottlosen Welt. Wo ist Gott? Wir sind gefangen
in uns selbst. 2.Hauptstück: „ daß uns Gott […] seinen
eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat
[…] Wer an ihn
glaubt, soll der Sünde frei sein und ein Kind Gottes
“. Daß er
ein Mensch geworden ist wie wir. Daß er an Jesus uns sein ewiges
Leben offenbart hat, und daß wir bestimmt sind, dazuzugehören.
Daß unser Glauben nur dies sein kann, daß seine Liebe uns
ergreift.

Nur darin werden wir frei. Zerbrochen der Spiegel, in dem wir nur uns
und die Welt sehen, wie wir sie uns zurecht machen. Frei von der Angst.
Frei zu leben.

Sicher – wir kämpfen um Klarheit. Wir ringen immer wieder darum,
es zu verstehen. Die Sprache der Wunder ist uns fremd geworden. Das leere
Grab? Der Verstand macht uns oft sprachlos. Die Schwachen versinken in
Gleichgültigkeit. Atheismus der Gleichgültigkeit. Einige erstarren
in christlichem Fundamentalismus. Die Starken aber leiden an der Sprachlosigkeit
und beten um die neue Sprache. Das war zu Luthers Zeit nicht so, diese
Sprachlosigkeit. Vielleicht war es so, bevor Luther kam. Aber das ist
dann auch evangelische Freiheit: die Erfahrung, daß kein kirchliches
Gesetz uns Glauben vorschreiben kann. Kein Papst kann uns vorschreiben,
was zu glauben ist. Von Amts wegen Dogmen festlegen – das ist absurd.
Niemand kann zum Glauben zwingen, weder andere, noch sich selbst – und
wenn, dann wärs ein Selbstbetrug. Das wußte Luther. „ predigen
will ichs, sagen will ichs, schreiben will ichs, aber zwingen und dringen
mit Gewalt will ich niemand, den der Glaub will willig und ungenötigt
sein und ohne Zwang angenommen werden
“. Glauben heißt, ergriffen
werden. Wollt Gott, wir finden die Predigt, die uns ergreift. Wollt Gott,
sein Geist nimmt uns mit.

Vor der Freiheit steht das Eingeständnis der Unfreiheit. Vielleicht
sind es nicht mehr die Gesetze, die Gebote, die Normen, die uns gefangen
halten, und an denen wir verzweifeln. Das ist anders als zur Zeit Luthers.
Ob es besser ist? Ich weiß es nicht. Fest steht: Wie ehedem sind
wir gefangen in uns selbst, immer wieder. Wir sind gefangen im Gewebe
der Lebenslügen, die die Angst verdrängen, immer wieder. ‚All
unsere Werke und Gedanken sind nichts vor Gott.‘ Frei aber bin ich, wenn
ich weiß, daß Gott Mensch wurde und ich deswegen zu ihm gehöre.
Wenn ich weiß, daß diese Welt kein sinnloser Zufall ist,
sondern daß Gott die Welt liebt, die er schuf. Daß er gekommen
ist. Wo ist Gott? Gott ist überall. Gott ist die Liebe. Gott ist
der Grund. Gott ist die Zukunft. Er ist gekommen. Dann habe ich vor nichts
in der Welt Angst. Nichts kann mich zwingen, kein Mensch und keine Macht.
Keine Lebensform, kein Moralgesetz, keine Meinung der Anderen kann mich
innerlich verpflichten. Mein Grund steht tiefer. Ich bin frei, offen
für ein neues Leben, das jetzt erst beginnt.

Aber für welches Leben? Das war die Frage in Wittenberg im Jahr
1522. –

Eure Freiheit ist lieblos, sagt Luther. Gut, vielleicht seid ihr frei.
Vielleicht seit ihr so frei, daß alle bloße Tradition, alle äußere,
kirchliche Form für euch unwichtig geworden sind. Aber diese Freiheit
kann doch nicht leer sein. Wenn es wirklich Gott ist, der euch befreit,
dann seit ihr zur Liebe befreit. Das ist doch die Freiheit: daß die
Liebe Gottes, die stärker ist als der Tod, in euch ist. So ist es
doch? Was also sollen eure Feindbilder? Was soll dieser Hochmut gegenüber
den Unfreien? Unser nächster Feind, „ der uns am aller schädlichsten
ist
“, sind immer noch wir selbst, sagt Luther. Schau in den Spiegel.
Das Ich, das allein bleibt, ist der Tod. Und wenn du nicht zur Liebe
befreit bist, dann wirds mit deiner Freiheit überhaupt nicht weit
her sein. Dann ist deine evangelische Freiheit ein schöner Schein.
Der Teufel „ will auch gerne schöne sein, wenn er auf die Kirchmesse
geladen wird.
“

Zwei Beispiele, schon bei Luther aktuell: Das eine: Kirchenreform. Vielleicht
sind wir ja frei von dem ganzen Plunder: Talar, Bäffchen, Kanzel.
Wir können doch auch so sagen, was not tut. Vielleicht brauchen
wir ja auch die alte Liturgie nicht, die Formen, sie sowieso so vielen
fremd sind, die alten Lieder, die alten Bilder, die alten Mauern. – Stimmt.
Am Ende wird’s darauf wohl nicht ankommen. Gott kennen, überall.
Gottesliebe. Das ist entscheidend. Daß er für uns da ist.
Aber: die alten Formen, die alten Lieder, die alten Mauern – ist das
nicht auch Gestalt gewordene Liebe? Sind das nicht die Formen der Gemeinschaft,
zu der wir gehören? Gehören sie nicht zur Sprache, in der wir
leben? Und wenn du das schon nicht so empfindest, wenn du das alles nicht
brauchst, dann hüte dich wenigstens vor dem Hochmut gegenüber
denen, die nicht so frei sind. – Brauchen wir mehr Mut, die Dinge zu ändern?
Oder brauchen wir mehr Rücksicht auf die Tradition und die, denen
sie gut tut? Was meinen sie? Evangelische Freiheit.

Das zweite Beispiel: der Streit zwischen Kirchenkultur und sozialer
Aufgabe. Was ist mit den Bildern? Ist es nicht besser, einer, der in
der Kirche Bilder stiften will, „ gebe je lieber einem armen Menschen
ein Gulden oder zweene denn daß er fünfzig, sechzig, hundert
Gulden und noch mehr auf ein unnütz Ding wende
“? Das gab „ Rumor
und Aufruhr
“ in Wittenberg, Bildersturm, Brandgeruch – was heute
in Göttingen gottlob nicht zu befürchten ist. Der Grund für
den Aufruhr war aber nicht einfach nur der Widerspruch, goldene Bilder
in die Kirche zu stellen, während draußen echter Hunger herrscht.
Luther sah tiefer. Der eigentlich entscheidende Punkt war der „ Mißbrauch “ der
Bilder, d.h. die Meinung des Stifters, „ er tue Gott einen Dienst
und Wohlgefallen dran und habe ein gut Werk getan, damit er etwas von
Gott wolle verdienen, welches denn rechte Abgötterei ist
“.
Ich weiß nicht, ob es das heute noch gibt: daß jemand für
Kirchenkunst spendet, um Gott näher zu sein. Um ein Opfer zu bringen,
das Gott belohnt. Um das Heilige ins eigene Werk zu bannen. Das wäre
wirklich Mißbrauch. Das muß klar sein. Erst wenn das klar
ist, kann die Entscheidung in evangelischer Freiheit getroffen werden.
Dann aber gilt mit Luther: Macht kein neues Gesetz aus der Frage. Wenn
etwas mißbraucht wird, ist es deswegen nicht selbst schlecht. „ Der
Wein und die Weiber bringen manchen in Jammer und Herzeleid, machen viel
zu Narren und wahnsinnige Leute, wollen wir drumb den Wein wegschütten
und die Weiber umbringen?
“ Wohl nicht.

Und was die Bilder angeht: Auch Kunst gehört zur Sprache der Wahrheit
und der Liebe. In der Kirche gehört sie uns allen. Die Kirche ist
doch unser gemeinsames Haus. (Deswegen freue ich mich auch über
jede Spende, die für unser neues Fenster eingeht.)

Kurz: in evangelischer Freiheit und Menschenliebe kannst du enscheiden:
Sozialsack oder Kulturbeutel. Mach kein neues Gesetz draus. – – –

Es ist gut, daß wir evangelisch sind. Es ist gut, daß wir
frei sind. Was ist evangelische Freiheit? Beliebigkeit ist es nicht.
Frei sind wir nur, wenn der Tod und die Angst besiegt sind. Frei sind
wir nur, wenn die Wahrheit die Lüge besiegt. Frei sind wir nur,
wenn unser Leben gerechtfertigt ist. Frei sind wir nur, wenn wir frei
zur Liebe sind.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

PD Dr. Tom Kleffmann, Göttingen
tom.kleffmann@theologie.uni-goettingen.de