Psalm 126

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Wider den November-Blues | Ewigkeitssonntag | 24. 11. 2024 | Ps 126 | Fritz Neubacher |

Zu den ersten österreichischen Heimkehrern aus der Sowjetunion im Juni 1945 – als der 2. Weltkrieg zu Ende war – zählten jene, die verwundet, zu schwach oder zu krank waren, um für den Arbeitseinsatz in den sowjetischen Lagern in Frage zu kommen.

Im Zeitraum zwischen September 1947 und März 1948 kam es im Rahmen von insgesamt 39 großen, organisierten Kriegsgefangenentransporten des österreichischen Innenministeriums zur Heimkehr des größten Teils an österreichischen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion. Die meisten dieser Transporte wurden über Wiener Neustadt, der „Heimkehrerstadt“ geführt, von wo aus sie in ihre Heimatorte weiterreisten.

Empfangen wurden die Heimkehrer von einer jubelnden Menge und von Politikern ihres „Vaterlandes“, das nun einen anderen Namen trug. Sie erhielten etwas Geld, eine warme Mahlzeit und eine Packung Zigaretten.

Berührende Szenen spielten sich ab: Viele wartende Frauen, Mütter und Kinder standen am Bahnhof, weil sie ihren Mann, ihren Sohn oder ihren Vater in der Menge der Heimkehrer wiederzufinden hofften.

In der Hoffnung auf Auskünfte über das Schicksal ihrer Familienangehörigen hatten sie Fotos in Händen, die sie den Heimkehrern entgegenstreckten.

Und wenn sie sich gefunden hatten, dann fielen sie einander um den Hals, glücklich und dankbar: „Jetzt wird alles gut!“

Es war wie im Traum…

Das Volk Israel hatte ebenfalls einen Krieg verloren, damals im Jahr 587 vor Christus. Die Babylonier waren zu der Zeit die Herren der Welt – und sie haben sich Israel einfach einverleibt. Wie das Aggressoren halt machen. Viele Israeliten wurden gefangen genommen und deportiert.

Jahrzehnte vergingen. Das Land Judäa lag in Trümmern, die einstigen Bewohner hatten ihre Heimat im Herzen, aber waren 1000 km weit weg, verschleppt und entwurzelt.

Doch dann änderten sich die Zeiten wieder: Ein neues Volk schickte sich an, die Weltherrschaft für sich zu beanspruchen: die Perser. Schließlich, im Jahr 539 vor Christus eroberte der persische König Kyros Babylon. Eine seiner ersten Amtshandlungen war: Er erließ ein Edikt, das den Juden die Heimkehr erlaubte. Sie sollten nach Jerusalem ziehen, und den Tempel wiederaufbauen. Die Kosten dafür übernahm der persische Staat!

Und jetzt stellt euch bitte vor: Die Juden damals in Babylon kommen zum Synagogengottesdienst zusammen – und der Rabbi verkündet diese Neuigkeiten…

Ich denke, ihnen blieb der Mund offen. „Das ist unglaublich“, werden viele gedacht haben. Wie ein Traum: Heimkehr aus der Gefangenschaft!

Damals haben sogar die umliegenden Völker anerkennend sagen müssen: Gott, der Herr hat Großes an ihnen getan!

Eine 3. Rückkehrer-Geschichte: Denkt an die Jünger, die sich nach Karfreitag selbst eingesperrt hatten, weil sie Angst gehabt haben, auch gefangen und verurteilt und hingerichtet zu werden, wie Jesus….

Und wie sie dann gestaunt haben, als er plötzlich in ihrer Mitte erschienen ist. Als Lebender!

Es war wie im Traum!

Wir kennen vielleicht auch solche Glücksmomente in unserem Leben, wo wir im Rückblick darauf sagen: Der Herr hat Großes an uns getan!

Da ist Einer, der unter einer Sehstörung leidet. Das wird immer schlimmer, und das Leben fühlt sich an wie ein enger werdendes Gefängnis. Doch dann kann ein Arzt durch einen einfachen Eingriff das Problem lösen. Ein Traum, wieder sehen zu können! „Ich wollte den Arzt am Liebsten auf der Stelle umarmen!“, erzählt der Genesene. „Der Herr hat Großes an mir getan!“

Oder da ist die junge Frau, die einem Burschen tief in die Augen schaut, den sie eigentlich schon lange kennt, und in diesem Moment weiß (was er vielleicht schon lange weiß): Wir zwei, wir gehören zusammen! Was für ein Glücksgefühl durchströmt sie…

Oder da ist der Hotelier, der endlich mit seinem Betrieb aus den roten Zahlen herauskommt;

Oder der erste Schwumm nach langem Winter im Attersee, oder, oder.

Ihr habt solche Momente der Freude, des Glücks, des Erlöst-Seins im Kopf – ja?

Ich denke gerne an die ersten Jahre zurück, als Gabi, eure Pfarrerin und ich zu euch nach Attersee gekommen sind: da war gleich einmal die 200-Jahr-Feier, der erste KOMM-Gottesdienst, der erste Emmaus-Kurs, dann all die Aktivitäten rund um 500 Jahre Reformation – alles beglückende und erfüllende Erlebnisse im Leben der Pfarrgemeinde!

Wie im Traum. Der Herr hat – definitiv – Großes an uns getan.

Ja?

Leider kann man all das Schöne nicht auf Dauer stellen! Leider sind diese Momente vergänglich:

Die Heimkehrer kommen heim, aber kommen daheim mit ihrer neuen Situation nicht zurecht. Es gibt eine Menge an Filmen, die sich mit dieser Problematik beschäftigen: Ein Soldat kommt aus dem Krieg nach Hause, und wird mit seiner Vergangenheit nicht fertig, und in seinem neuen Umfeld macht er nur Mist.

Nach der einen überstandenen Erkrankung kommt die Nächste;

Nach dem Verliebt Sein kommt bekanntlich die Ehe;

Nach den beruflichen Erfolgen kommen auch wieder magere Jahre;

Und nach dem Sommer kommt – auch am Attersee – der frostige November.

Was tun in so einer Zeit des Blues? Was tun, wenn die Tage kürzer und dunkler werden, wenn die Liebe erkaltet, der Geldstrom versiegt und die Kräfte schwinden? Was tun, wenn sich unser Leben anfühlt wie Ende November?

Unser Psalm hilft uns, und zwar Dreifach!

Psalm 126 sagt uns

(1) Schau zurück!

Hast du nicht schon Großartiges mit Gott erlebt? Erinnere dich der großen Momente des Glücks und der Erfahrungen des Heils!

Ich habe dafür zwei Inspirationsquellen, die ich gerne weiterempfehle:

Ich schreibe seit vielen Jahren Tagebuch.

Nicht täglich, und seit ich in Pension bin, habe ich fast gar keine Zeit mehr dafür, aber: ich schreibe auf, was so mit mir geschieht. Das sind Problemgeschichten, und Glücksmomente. Und manchmal, viel zu selten, lese ich in meinen Tagebüchern – und beim Lesen wird mir warm ums Herz! Wärmendes Feuer im November! Es stimmt: Der Herr hat Großes an mir, an uns getan! Das macht mich fröhlich!

Das andere ist:

Ich mache seit vielen Jahren ein Fotojahrbuch für die Familie. Das ist mein Weihnachtsgeschenk für die Familienmitglieder, und ja – es ist einfallslos, weil es immer das gleiche Geschenk ist, aber: Es ist auch sehr beliebt, weil es alle wichtigen Stationen des Jahres abbildet. Ich arbeite grade an dem Jahrbuch für 2024 – und was passiert? Beim Betrachten und Auswählen der Fotos, die ins Buch kommen, werde ich dankbar. Es macht mich glücklich, mich all dessen zu erinnern, was wir erlebt haben. Am Ende des Buches steht jedes Jahr ein Dankgebet im Sinn von: Herr, du hast Großes an uns getan! Was für eine Freude und Fülle!

Und beim Durchblättern des fertigen Buches geschieht genau das: Dankbarkeit steigt auf in den Betrachtenden. Die Erinnerung an Glücksmomente macht – glücklich.

So. Es hilft natürlich euch nichts, wenn ihr meine Tagebücher lest und meine Fotobücher anschaut – da müsst ihr schon selber eure hernehmen. Oder ihr macht es ganz anders. Mein Impuls ist: Legt eine große Schatzkiste eurer guten Erinnerungen an! Und schaut zurück, erinnert euch der großen Taten Gottes in eurem Leben!

(2) Schau dich um!

Der Psalmbeter führt 2 Beispiele aus dem Alltag an, 2 jährlich wiederkehrende Abläufe.

Er weist auf die ausgetrockneten Bäche hin, die nach einem Regenguss plötzlich wieder Wasser führen. Und er weist auf die Mühen der Aussaat hin, den Schweiß, der beim Pflügen und Streuen fließt – und auf die Freude bei der Ernte!

Und er meint: nach der Trockenheit kommt wieder Regen, und nach den Anstrengungen der Saat kommt die Ernte! Das ist der Lauf des Lebens – und: so wird es auch sein, wenn dein Leben im Moment auf ‚November‘ gebürstet ist: Es kommt ein neuer Frühling, freu dich drauf!

Ich habe überlegt, ob es in unserem Umfeld ebenfalls solche Rhythmen gibt, aus denen wir ableiten dürfen, dass nach frostigen Zeiten auch wieder schöne Tage kommen.

Der Wechsel von Tag und Nacht drängt sich mir auf: Das ist doch etwas Tröstliches und in einem tiefen Sinn Schönes: Wir kriechen müde und vielleicht frustriert ins Bett, und am nächsten Morgen kräht der Hahn, Vögel zwitschern, der Nachbar startet das Auto und fährt in die Arbeit, das Müsli wartet darauf, zubereitet zu werden… das Geschenk des neuen Tages!

Schaut euch um – heißt: Findet selber Rhythmen und Abläufe, die euch daran erinnern, dass nach Regentagen wieder die Sonne scheinen wird.

(3) Schau nach vorne!

In der Mitte des Psalms, zwischen dem dankbaren Blick zurück, und dem Um-sich-Schauen steht ein Gebet: „HERR, wende auch jetzt wieder unser Geschick zum Guten!“

Um nach vorne zu blicken, braucht es Mut! Beziehungen werden nicht von selber heil, Krankheiten heilen meist auch nicht von allein, Firmenbilanzen auch nicht. Für all das braucht es Menschen, die mutig aufstehen, und nach vorne schauen.

Und die Frage ist: Woher kommt dieser Mut?

Mut kommt aus Vertrauen. Aus Selbstvertrauen, und aus Gottvertrauen! Der Ausdruck des Gottvertrauens ist – das Gebet: „Herr, wende unser Geschick wieder zum Guten!“

Ich lade euch ein, Gott dieses Vertrauen entgegenzubringen! Er hat Großes an uns getan – und er wird es wieder tun! Schau nach vorne!

Ganz vorne ist die Ewigkeit.

Heute ist Ewigkeitssonntag. Ewigkeitssonntag bedeutet, dass der Kreislauf von Schlafengehen und Erwachen, von Trockenheit und Nässe, von guten Zeiten und schlechten Zeiten, von Kranksein und Gesundsein einmal aufhören wird.

Ewigkeitssonntag bedeutet,

dass die Heimkehr eine Endgültige sein wird,

dass das Glück tatsächlich auf Dauer gestellt sein wird,

dass der Traum für immer wahr geworden sein wird,

und dass die Liebe siegt.

Super, gell?

Amen.

Rektor i.R. Fritz Neubacher

St. Georgen im Attergau, Ö

Email: Fritz.neubacher@aon.at

Fritz Neubacher, Jahrgang 1958, Pfarrer der Evang. Kirche A. B. i. Ö.; bis 8/23 Rektor des Werks für Evangelisation und Gemeindeaufbau, seither im Ruhestand.