
Römer 1, 1-7
Liebe Gemeinde,
(1) zu Weihnachten gehören Grüße. So wie
der Tannenbaum, die Weihnachtskrippe und die Weihnachtsmusik zum Fest
gehören, so sind auch Grüße an Weihnachten unverzichtbar.
Zu Weihnachten verschickt man Grußkarten und Briefe an die, die
man liebt oder schätzt, – und wohl auch an die, die es von einem
erwarten. An Weihnachten telefoniert man mit der Familie, man grüßt
einander und wünscht sich gegenseitig ein frohes Fest. Zu Weihnachten
grüßt auch der Bundespräsident und spricht uns und der
Gesellschaft insgesamt Mut zu. Brauchen kann man den ja in diesen Tagen.
Auch der Papst lässt es sich nicht nehmen und grüßt die
Gläubigen, die ihn für zuständig halten, in 76 oder noch
mehr Sprachen, urbi et orbi, wenn es seine Gesundheit denn zulässt.
Selbst der Händler, der mir zu Weihnachten in Kooperation mit meiner
Frau einen neuen Computer beschert, grüßt per E-Mail zum Fest
und wünscht auf einem adretten Foto seiner heiter illuminierten
Firmenzentrale: Frohe Weihnachten und ein erfolgreiches neues Jahr!
Das Grüßen in den verschiedensten Formen und
Weisen gehört zum Weihnachtsfest elementar dazu. Und in diese Folge
von Grüßen und Wünschen reiht sich heute auch unser Predigttext
ein. Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom und beginnt seinen
Brief mit folgendem Gruß: Gnade sei mit euch und Friede von Gott,
unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
(2) Ein apostolischer Gruß zur Weihnacht am Heiligen Abend ja
passt das denn überhaupt? Am Heiligen Abend da geht es doch um das
Kind im Stall, um Maria und Josef, um Ochs und Esel, um Hirten, Könige
und Engel. Im Vergleich dazu fällt der apostolische Gruß des
Paulus doch ein wenig ab. In emotionaler Hinsicht jedenfalls kann er
mit den vertrauten Bildern und Themen der Weihnacht kaum mithalten. Der
Gruß ist wirkt etwas sachlich im Verhältnis zu dem, was wir
am Heiligen Abend erwarten.
Drehen wir die Sache daher ein wenig anders. Betrachten wir den Gruß des
Paulus einmal nicht als Gruß an uns oder an die ursprünglich
gemeinte Gemeinde in Rom. Betrachten wir den Gruß des Apostels
einmal als Deutung und Interpretation des Weihnachtsgeschehens. Weihnachten,
so könnte man dann sagen, Weihnachten selbst ist ein Gruß,
ein göttlicher Gruß an uns Menschen. Die Geburt des Kindes
im Stall von Bethlehem wäre dann der eigentliche Gruß und
die Worte des Apostels würden uns nur erläutern, wie der göttliche
Gruß zu verstehen ist, nämlich als Zeichen der Gnade und des
Friedens von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
(3) Können wir Weihnachten verstehen als göttlichen Gruß an
uns Menschen? Vielleicht schon. Die Weihnachtsgeschichte selbst steckt
jedenfalls voller Grüße: Der Engel, der Maria die Geburt Jesu
ankündigt, eröffnet ihr die Botschaft mit einem Gruß: Sei
gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Maria ist über
diesen Gruß zunächst allerdings gar nicht erbaut. Vielmehr
erschrickt sie und fragt sich: Welch ein Gruß ist das? Der Engel
muss ein zweites Mal ansetzen, um sie zu beruhigen: Fürchte dich
nicht, Maria, sagt er, du hast Gnade bei Gott gefunden. Und wieder
taucht hier in diesem Gruß des Engels an Maria das Stichwort Gnade auf,
das wir schon aus dem Gruß des Apostels kennen. Die Hinweise verdichten
sich: Weihnachten, das ist ein Zeichen der göttlichen Gnade, ein
göttlicher Gnadengruß gleichsam.
Bei Maria scheint der göttliche Gnadengruß aber noch nicht
gleich so richtig angekommen zu sein. Die Botschaft schwanger zu sein,
obwohl sie nicht verheiratet ist, wird sie zunächst kaum als Zeichen
einer besonderen Gnade verstanden haben. Für Maria dürfte ihre
Schwangerschaft mit Jesus vielmehr zunächst eine elementare Bedrohung
gewesen sein. Bis heute hat man es als allein erziehende Mutter nicht
leicht. Wie viel schwieriger dürfte das damals gewesen sein, zumal
bei den rigiden Sittenregeln des Orients. Weil sie an der Tatsache der
Schwangerschaft wiederum auch nichts ändern kann, fügt sich
Maria in ihr Schicksal und entlässt den Engel mit der lapidaren
Feststellung: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe wie du gesagt
hast. Auch diese Antwort hat etwas Sachlich-Nüchternes an sich.
Von weihnachtlichem Jubel ist da zunächst keine Spur.
Es bedarf eines zweiten Grußes, damit Maria sich über die
Schwangerschaft mit Jesus wirklich freuen kann. Erst als Maria ihre gleichfalls
schwangere Kusine Elisabeth besucht, wird ihr klar, dass der Gnadengruß des
Engels vielleicht doch nicht so verfehlt war. Maria jedenfalls macht
sich auf ins Gebirge Juda, um einen Verwandtschaftsbesuch abzustatten.
Wir notieren: Verwandtschaftsbesuche zu Weihnachten haben eine lange
Tradition. Bei ihrer Kusine angekommen grüßt Maria Elisabeth.
Das ist aber noch nicht der spektakuläre Gruß. Der eigentliche
Gruß findet im Verborgenen statt. Es ist Elisabeth, die mit Johannes,
dem späteren Täufer schwanger ist, die den verborgenen Gruß wahrnimmt: Und
es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte
das Kind in ihrem Leibe. Und hellsichtig wie Elisabeth ist, weiß sie
den Gruß des einen Ungeborenen an den anderen Ungeborenen zu deuten.
Elisabeth erwidert den Gruß Marias mit einem jubelnden Gruß,
wie ihn noch keine Frau zuvor gehört hat: Gepriesen bist du unter
den Frauen, ruft Elisabeth und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! Elisabeth
ist durch das Hüpfen in ihrem Bauch ganz außer sich. Sie merkt,
dass das Hüpfen ein Zeichen der Gnade auch für sie selbst ist. Und
wie geschieht mir das, fährt sie fort, dass die Mutter meines
Herrn zu mir kommt. Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes
hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe.
Jetzt erst, auf den jubelnden Gruß Elisabeths hin, versteht Maria,
dass ihr in der Tat Gnade und nicht Unheil zuteil wurde. Und auch Maria
beginnt zu jubeln und singt ein Lied über die Gnade und Barmherzigkeit
Gottes. Maria stimmt jenes Magnifikat an, das wir vorhin im Wechsel gemeinsam
gesprochen haben. Auf den Gruß Elisabeths hin begreift sie, dass
das Kind in ihrem Bauch zugleich der Herr der Welt, der Sohn des himmlischen
Vaters ist. Und obwohl sie ahnt, dass die Aufgabe, dieses Kind auszutragen
und bei seinem Auftrag zu begleiten, ihre Kräfte über die Maßen
fordern werden, weiß sie nun, dass in allem, was geschieht, Gottes
Gnade mit ihr sein wird. Der jubelnde Gruß Elisabeths macht für
Maria aus der bedrohlichen Situation einer ungewollten Schwangerschaft
ein Zeichen der göttlichen Gnade und Zuwendung. Weihnachten ist
für sie nun keine Bedrohung mehr, sondern tatsächlich ein göttlicher
Gnadengruß an sie und an die Menschen: Gnade sei mit euch und
Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
(4) Die Worte des Apostels lehren uns, Weihnachten als göttlichen
Gruß zu verstehen. Und Grüße, das müssen wir bedenken,
Grüße sind nichts Beiläufiges und Unwichtiges. Grüße
geben kund, wie eine Beziehung eigentlich gemeint ist. Im Gruß,
den wir einander bei einer Begegnung geben, stellen wir klar, dass wir
mit friedlichen Absichten kommen und dem anderen unser Wohlwollen gilt:
Beim Grüßen wünschen wir dem anderen einen guten Tag,
wir sagen Grüß Gott und wünschen dem Gegenüber
damit den göttlichen Segen. Ein Gruß kann kenntlich machen,
wes Geistes Kind man ist: statt im Namen Gottes zu grüßen
und einen guten Tag zu wünschen haben viele in diesem Land – es
ist noch keine sechzig Jahre her – einander im Namen eines Massenmörders
Heil gewünscht. So verräterisch können Grüße
sein. Grüße sind keinesfalls harmlos und unbedeutend.
Beim Grüßen geben wir kund, wie wir es miteinander meinen.
Und der Gruß des Apostels macht deutlich, wie Gott es mit uns Menschen
meint: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem
Herrn Jesus Christus! Gnade und Frieden das will Gott für die
Welt und für uns Menschen. Und dass gerade Weihnachten ein Zeichen
für Gottes Gnaden- und Friedenswillen ist, das macht ein weiterer
Gruß in der Weihnachtsgeschichte deutlich: der Gruß des Engels
an die Hirten auf dem Feld bei Bethlehem.
(5) Wie Maria so sind auch die Hirten zunächst keineswegs erbaut über
das plötzliche Auftauchen eines Engels. Das strahlende Licht der
göttlichen Herrlichkeit löst bei ihnen Erschrecken und Entsetzen
aus. Der Engel sieht sich daher genötigt, die Hirten erst einmal
zu beruhigen: Fürchtet euch nicht! sagt er zu ihnen. Ob die Hirten
diese Beschwichtigung schon wirklich beruhigt hat?
Doch der Engel hat noch mehr zu sagen. Auch er hat eine Grußbotschaft.
Er überbringt die eigentliche, die öffentliche Grußbotschaft
Gottes zu Weihnachten: Fürchtet Euch nicht! sagt der Engel und
dann fährt er fort: Siehe, ich verkündige euch große
Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland
geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das
habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und
in einer Krippe liegen.
Der Engel überbringt den Hirten und mit ihnen uns die Botschaft
und den Gnadengruß Gottes: In alle Finsternis und Traurigkeit
der Welt sende ich meinen Heiland, den Retter, das Kind, das die Welt
neu macht und verwandelt. Geht hin in den Stall, geht hin zu dem Kind,
das in Windeln gewickelt in der Krippe liegt: Hier an diesem erbärmlichen
Ort, hier, wo die Dynamik und Schönheit, hier, wo aber auch die
Zartheit und Gefährdung des Lebens so unmittelbar zu spüren
ist, hier mache ich alles neu. Hier bricht es an, das Reich Gottes, die
Welt, wie ich sie gewollt habe. Hier im Stall von Bethlehem komme ich
euch ganz nahe. Ich kenne eure Traurigkeit. Ich nehme Teil an Eurem Leiden.
Ich nehme selbst Schmerz und Ablehnung auf mich, weil ich euch nahe bin
und euch liebe. Hier beim Kind in der Krippe seht ihr meine Macht, die
Macht des Schöpfers der Welt, hier seht ihr meine Liebe zu den Menschen,
meinen Willen zum Leben, meine Kraft der Neuschöpfung. Das ist
der göttliche Gruß an Weihnachten, das ist die Botschaft des
Kindes, das in Windeln gewickelt in der Krippe liegt. In dieser Weise
gibt sich Gott in seinem Weihnachtsgruß kund.
(6) Der Engel überbringt den Hirten in Bethlehem und mit ihnen
auch uns die Nachricht von der Geburt des göttlichen Kindes, des
Heilands der Welt. Und weil diese Botschaft für uns Irdische den
Himmel öffnet, erscheint den Hirten und mit ihnen uns das ganze
Engelsheer. Aus dem einen Engel wird die Menge der himmlischen
Heerscharen, die Gott loben und das Kommen des göttlichen Friedens
bejubeln: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den
Menschen seines Wohlgefallens.
Dieser Jubel der Engel ist Gottes Gruß an alle, die Angst haben
und verzweifelt sind, er ist Gottes Gruß an alle Wehmütigen
und Verdrossenen, der Gruß an jene, die gerne wüssten, wo
es lang geht, und die unsicher sind und nach dem richtigen Weg suchen.
Der Gruß Gottes an Weihnachten ist ein Gruß des Friedens
an jene, die streiten und kämpfen, er ist ein Zeichen der Sanftmut
gegen allen Ärger und Hass in unseren Herzen. Der Gruß Gottes
ist ein Zeichen der Gnade, der Zuwendung und der Liebe. Im Kind in der
Krippe kommt Gott uns ganz nahe und verspricht uns: Ich bin bei euch.
Ich schenke euch meine Gnade und meinen Frieden. Und an diesen Gruß Gottes
zur Weihnacht schließt sich der Apostel Paulus an. Sein apostolischer
Gruß zu Weihnachten gilt auch uns: Gnade sei mit euch und Friede
von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen.
Predigtlied : EG 36, 1-3+6, Fröhlich soll mein Herze
springen
Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer, Privatdozent
Gänsheidestraße 29
70184 Stuttgart
christoph.dinkel@arcor.de