Römer 1, 1-7

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Liebe Gemeinde,

wir beginnen das Weihnachtsfest, das Fest der Geburt Christi, am Heiligen
Abend. Was feiern wir da? Einen historischen Gedenktag? Wir in St. Petersburg
haben in diesem Jahr zurückgeblickt auf dreihundert Jahre der Geschichte
unserer Stadt. 1703 hatte Peter der Große sie gegründet. Wir
erinnern uns, weil es unsere Stadt ist. Mit der Geburt Jesu Christi ist
das etwas anderes. Wir kennen das historische Datum gar nicht. Vor allem
geht es nicht allein um ein Geschehen das 2000 Jahre zurückliegt
und das wir durch unser Erinnern in die Gegenwart holen.

Der große schlesische Mystiker Johann Scheffler, genannt Angelus
Silesius, der schlesische Engel, hat im 17. Jahrhundert einmal geschrieben: „Wär
Christus hundertmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, so wärst
Du doch verloren“. Der Apostel Paulus gebraucht eine andere Sprache.
Er stellt die Geburt Christi in die Geschichte, die er als ganze „das
Evangelium Gottes“ nennt. Sie beginnt schon mit den Propheten, zu diesem
Evangelium gehört der Weg von der Geburt zur Auferstehung, von Weihnachten
bis Ostern, und sie schließt den apostolischen Auftrag ein, die
Botschaft vom Sohne Gottes weiter zu tragen. Die Brücke von der
Vergangenheit zur Gegenwart ist die Verkündigung, das Amt des Apostels.
Sein Ziel ist es, den „Gehorsam des Glaubens“ aufzurichten, unter allen
Heiden. Damals schrieb er an die Römer, an alle Heiden, das schließt
auch uns in St. Petersburg oder auch Christen in aller Welt mit ein.
Damit rückt Weihnachten, die Geburt dessen, der nach seiner natürlichen
Abstammung aus der Königsfamilie Davids kam, in die Mitte der Geschichte.
Wir zählen ja auch die Jahre nach Weihnachten also vor Christi Geburt
und nach Christi Geburt. Und weil diese Geburt in die Geschichte gehört,
deshalb kann man von ihr durch Geschichten erzählen, wie es unter
den Evangelisten vor allem Lukas getan hat.

In allen diesen Geschichten geht es aber darum, daß sie das Evangelium
Gottes erzählen, in dessen Mitte eben Jesus Christus, Gottes- und
Marienssohn steht. Es ist die Geschichte vom Sinn und Ziel unseres Lebens.
Um das deutlich zu machen, müssen wir noch weiter ausholen, als
es der Apostel am Anfang seines Briefes an die Römer tut. Das Evangelium
Gottes gilt allen Menschen, den Nachkommen Abrahams, zu denen auch König
David gehört, also den Juden und allen anderen Völkern, der
Heiden, weil wir alle davon gezeichnet sind, daß wir nicht nach
dem ursprünglichen Willen Gottes, unseres Schöpfers, leben.
Wir sind gezeichnet davon, daß wir Gott vergessen haben, wir sind
gezeichnet von der Sünde und deshalb vom Tod. Die Heilige Schrift
sagt, wir sind Adams Kinder. Das Evangelium Gottes ist sein Weg, uns
zurückzuholen in die Gemeinschaft mit ihm. Gott liebt uns und deshalb
läßt er seinen Sohn als Kind in der Krippe zu uns kommen,
erweckt den Gekreuzigten aus dem Tod und lädt ein zum Glauben an
ihn und damit an Jesus Christus als Gabe des Heiligen Geistes. Das wissen
wir nicht aus uns selbst. Das muß uns gesagt werden.

Der Apostel Paulus stellt sich am Anfang dieses Briefes der Gemeinde
in Rom vor. Er beruft sich deshalb auf Gewißheiten, die er auch
bei seinen Adressaten voraussetzen kann. Daß Jesus Christus, Gottes
Sohn, als Kind in unsere Welt kam, das gehört zum Kern des Christenglaubens.
Die meisten Weihnachtsgeschichten enden damit, daß die Menschen,
die damals dabei waren, es weitererzählten. Auch Paulus schreibt
als Apostel, wenn er die römische Gemeinde daran erinnert, was Grundlage
des gemeinsamen Glaubens ist.

Zu diesen Grundlagen gehört nun auch, daß diese Geburt tief
in der Geschichte verankert ist. „Geboren aus dem Geschlecht Davids“.
Da treten doch die Geschichten dieser Familie in unser Gedächtnis.
Etwa die Erzählung von der Moabiterin Ruth, die als Witwe mit ihrer
Schwiegermutter nach Bethlehem, in das Land Juda kommt und daß Fremde
doch einen Anverwandte ihres verstorbenen Mannes für sich gewinnt
und so zu einer der Stammmütter Davids wird. Oder die Geschichten
der Frauen dieses Königs und der späteren Mutter Salomos – auch
sie gehört zu den Ahnfrauen Jesu. Nicht irgendein Kind, nein, der
Erbe einer sehr besonderen Geschichte wird Mariens Sohn und sein Leben
wird von Geschichten gezeichnet und begleitet sein, das erzählen
uns die Evangelien. Natürlich wollen sie uns damit erinnern was
geschah. Aber er selbst, Jesus Christus, ist eben nicht nur eine Gestalt
der Vergangenheit, sondern ist „Gottes Sohn in Kraft“, wie der Apostel
schreibt und damit wohl eine den Römern bekannte kathechetische
Formel zitiert. Er ist der gegenwärtige Herr. An ihn zu erinnern
heißt nicht nur in die Vergangenheit zu schauen, sondern nach oben,
zu Gott, seinem Vater und um uns, wo er als unser Herr wirkt und nach
vorn zu sehen. Denn der, der als Kind, verborgen von der Öffentlichkeit
kam, wird seine Herrschaft sichtbar machen. Das sprechen wir in jedem
Gottesdienst aus, wenn wir das Glaubensbekenntnis zitieren. Weihnachten
weist auch auf Karfreitag und auf Ostern voraus. Alle diese Taten Gottes
können wir nur in Geschichten erzählen und wir müssen
sie weitererzählen, weil an ihnen unser Glaube und damit das gelingende
Leben hängt.

Der Evangelist Lukas berichtet, daß Jesus in der Stadt seines
Ahnherrn Davids, in Bethlehem geboren wurde. Dort ist heute nicht der
Friede, den die Engel in der Nacht der Geburt verheißen haben.
Aber die Christen feiern dennoch Weihnachten. Sie tun das aber – wie
wir in Rußland – an verschiedenen Tagen. Die Christen abendländischer
Tradition am 25. Dezember, ebenso eigentlich die Christen orthodoxer
Tradition, aber wenn sie noch dem alten julianischen Kalender folgen,
dann ist das eben nach dem neuen Stil der 7. Januar. Die Armenier feiern
Weihnachten am 6. Januar, das ist der 19. Januar des gregorianischen
Kalenders. Drei Daten sind dies und doch ein Weihnachtsfest, weil wir
alle zu denen gehören, die – wie der Apostel schreibt – von Jesus
Chrstus berufen sind. Viele Geschichten und ein Herr. Er möge und
allen ein gesegnetes Weihnachtsfest schenken. Amen.

D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS (Ev.-luth. Kirche in Rußland, der Ukraine, in Kasachstan
und Mittelasien)
St. Petersburg
E-Mail: kanzlei@elkras.org