Römer 2,1-11
„Anklage, die mit Vergebung abschließt“ | Buss- und Bettag | Römer 2,1-11 | 19.11.25 | Markus Kreis |
Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. Sieh an – der Jakob! Verkrachte Existenz und ziemlich kleinlaut. Kleinlaut und still könnte er auch sein, weil er ziemlich helle im Kopf ist. Er macht sich nämlich seine Gedanken über die Welt. Und manche mit viel Scharfsinn, die behält er für sich, wenn er einen Vorteil draus zu ziehen weiß. So wie bei der Sache mit dem Erbe. Da hat er seinen Bruder Esau in einem guten Moment abgepasst und ihm einen Vertrag aufgeschwatzt. Der Inhalt hob sich von dem ab, was damals üblich und gängig war, so neu war die Geschäftsidee. Und damit das in aller Neuheit tatsächlich erfüllt wird, hat Jakob seinen Vater Isaak getäuscht. Das Ganze hat auch zunächst geklappt. Als der Betrug dann doch aufflog, ist er geflohen, um der Rache des Bruders zu entgehen. Im Ausland hat er dann Karriere gemacht, ist dank seiner Schläue trotz einigen Widerstands und geschickter Heirat sehr reich geworden. So sehr, dass er beschloss, in seine alte Heimat zu gehen und seinen Bruder Esau um Vergebung zu bitten. Vorsichtig wie er war, schickte er zwei, drei große Trupps an Tieren und Treibern vor sich her, als der Bruder ihm signalisierte: Ich komme Dir entgegen, und zwar mit 400 Leuten. Vielleicht wollte Esau auch nur zeigen, dass er seit damals trotz allem zu etwas gekommen ist. Vielleicht wollte der sich aber auch rächen und ihn massakrieren. Man kann ja nie wissen. Wenn Esau einen der Vortrupps überfiel und er davon zu hören kriegte, konnte er immer noch ausweichen und abhauen. Falls Esau guter Dinge war, konnte er die Aufteilung anders erklären: Ein Geschenk nach dem anderen abliefern, um bei Esau die Vorfreude wachsen zu lassen.
Die zwei Lager auf Wanderschaft kamen sich immer näher, schließlich war beim Fluss Jabbok klar, dass man sich am nächsten Tag begegnen würde. Kurz vor der Dunkelheit brachte Jakob alles über die Furt des Flusses, seine Ehefrauen und Kinder, Mägde und Knechte, Treib- und Reittiere. Er selbst ging unter einem Vorwand noch einmal zurück ans andere Ufer. Sicher ist sicher! Vielleicht hatte Esau die gleiche Idee wie er gehabt und Spähtrupps entsendet. Du alter Drecksack, du lässt Deine Familie im Stich! Jakob schämte sich und spürte sein kaltes Herz. Wer den Bruder überlistet, dem fällt es leicht, die eigene Gattin samt Kindern zu verraten. Aber er sah auch seine hart erkämpften Felle davon schwimmen. Und statt dass es ihm sein Bruder über die Ohren zieht, wollte er das Seine unbedingt behalten. Für diesen Fall der Fälle: Er kann ja einfach abhauen, einen anderen Namen annehmen und woanders wieder anfangen. So geschickt wie er sich immer anstellt. Ist Versöhnung das Risiko wert, das alles zu verlieren? Und wer weiß, ob es eine Vergebung zweiter Klasse wird? Wenn sein Bruder also seiner Bitte nachkommt, aber auf großen Macker macht. Oder ihn dann doch immer wieder erpresst mit dem alten Zeugs? So ging es die ganze Nacht, schlaflos wälzte er sich hin und her, Angstschweiß, Zittern und ein flauer Magen kurz vorm Erbrechen, sehr übel das. Ihm wurde schwindelig, alles drehte sich, er verlor das Gleichgewicht, kam ins Rutschen stürzte am Ufer bäuchlings auf einen fetten Stein der Furt. Eine Hüftseite tat ihm sehr weh, als er wieder aufwachte. Wenn er Glück hatte, war sie nur geprellt. Ansonsten: Ein hinkender Hirte, der seiner riesigen Herde hinterher stolpert. Voll Sorge patschte er dann im Morgenrot über den Fluss. Und Esau freute sich echt, ihn zu sehen. Was für eine Frage, vergeben? Klar doch! Wir sind doch eine Familie! Jakob blieb misstrauisch und vorsichtig. Die Gefühle Esaus waren ohne jeden Zweifel echt. Aber wer weiß wie lange? Wenn er an Esaus Stelle gewesen wäre, wüsste er kaum, ob er seinem Bruder so eine Missetat vergeben könnte. Als Esau ihm seinen Beistand und seine Leute kostenlos andiente, gab er sich bescheiden und lehnte ab. Kleinlaut verschloss er in seinem Herzen, dass er sich so die Gefahr vom Hals hielte – falls Esaus Gesinnung ins Gegenteil kippen sollte. So tief sitzt sein Misstrauen, auch wenn ein anderer echt großzügig ist. So scharf war er darauf, seine Macht zu wahren. Was Jakobs Herz angeht, ist Gott wirklich gütig, geduldig und langmütig gewesen. Um Vergebung bitten, und wenn man sich dabei auf die Lippen beißt und die Zähne kaum auseinanderkriegt, das reicht. Ich vertraue, hilf meinem Misstrauen! Ich bin nicht würdig, dass Du eintrittst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, und mein geknechtetes Leben wird wieder geheilt.
Römer 2,1-11
1Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. 2Wir wissen aber, dass Gottes Urteil zu Recht über die ergeht, die solches tun. 3Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? 4Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? 5Du aber, mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen, häufst dir selbst Zorn an für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, 6der einem jeden geben wird nach seinen Werken: 7ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; 8Zorn und Grimm aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; 9Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die das Böse tun, zuerst der Juden und auch der Griechen; 10Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die das Gute tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen. 11Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott.
Hiob, das reimt sich fast auf Jakob. Wie Jakob war auch er ein helles Köpfchen. Machte sich wie der seinen Reim auf die Welt und war darüber sehr erfolgreich und begütert geworden. Und das alles auf rechtem Wege, ohne die Leute übers Ohr zu hauen. Recht zu tun und gerecht zu sein, das lag ihm am Herzen. Er hatte sogar vor Gott jede Menge Ansehen. Und doch fiel das Leben hinterrücks über ihn her. Er verlor alles, Familie, Tiere, Waren, Landbesitz und seine Gesundheit. So ging es nun eine geraume Zeit. Ein Abstieg, Wahnsinn. Vom Großhirten zum Herdentier geworden. Und dann noch den Anschluss an die Herde verloren. Zwar diskutierte er ab und an mit alten Freunden über sein Ergehen. Aber die hatten nur Standardkram parat, so à la: Du warst vielleicht doch nur nach außen gerecht. Und tief in deiner Seele ein Drecksack, ohne es selbst zu bemerken. Und das ist jetzt die Rechnung dafür. Oder: Wo bleibt dein positives Denken? Sag doch mal was Nettes oder Schönes! Oder: Sei still und füge Dich, irgendwann, das wird schon wieder! Wie kannst Du nur Gott dafür verantwortlich machen? Letztlich hatten die Freunde genug von seinen Klagen. Besonders, dass er auf seiner Unschuld bestand. Anklagen war aber sein einziges Ventil, um sich wenigstens ein klein wenig zu entlasten. Sonst fühlte er sich vollständig zur Passivität verdammt. So viel Energie steckte trotz allem Elend und Siechtum noch in ihm drin. Inzwischen war das seinen Freunden alles zu viel. Wie sie damit umgingen, führte ihm nur noch mehr vor Augen: Ich bin im Grunde einsam und verlassen in der Welt. Niemand kann und will meine Klagen mehr hören. Die Nächte quälten ihn noch mehr, schlaflos wälzte er sich und seine Gedanken hin und her. Angstschweiß, Zittern, flau der Magen und übel vor Hunger, Würgen und leeres Erbrechen. Ihm wurde schwindelig, alles drehte sich, er verlor sein inneres Gleichgewicht. Das ist mega ungerecht, obwohl er doch immer gerecht gewesen ist. Und wo bleibt Gott? Was macht er dagegen? Was macht er für mich? Statt dass er wenigstens einen einzigen Finger rührt! Absolut Nichts ohne einen Hauch. Gott? Den kannst du vergessen! Hiob lachte bitter. Oder vielleicht hält Gott gerade seinen Sabbat! Ganz nach dem dritten Gebot. Ja, das wird es wohl sein! Hiob verzog seine Miene zu einer Grinsefratze. Da kam ihm eine gute Idee. Vielleicht schaffe ich es auf diesem Weg, Gott in die Gänge zu kriegen! Hey Gott, Du da oben, wenn Du Dir eine Auszeit gönnst – dann kannst Du doch auch mir eine gönnen! Klagen ist schließlich auch eine Art von Arbeit, von der es Erholung braucht. Kostet jede Menge Kraft. Und der Lohn ist, dass Dir dafür kein Mensch etwas gibt – außer einem Tritt in den Hintern. Dann gib Du Gott mir wenigstens etwas dafür! Eine Auszeit! Göttlich! Eine Pause vom Leiden und Anklagen. Himmlische Ruhe in meinem Herzen. Aus mit dem Gelärm von Vergehen und Enden. Vielleicht halten es dann auch die Mitmenschen wieder besser mit mir aus. Das wäre doch schon mal was, oder? Hast Du gehört?
Viel später geht die Geschichte gut aus. Hiob bekommt seine Auszeit. Nachdem er ausnehmend böse von Gott behandelt worden ist, schenkt dieser ihm genauso ausnehmend Gutes. Unversehens tritt eine Änderung ein, Vergebung. Wenn aus heiterem Himmel eine böse Überraschung für einen Gerechten kommen kann, dann genauso gut aus finsterem Himmel eine gute Überraschung. Auch für einen, der der Welt anrüchig vorkommt, vor Gott aber immer noch als gerecht dasteht. Gott befreit Hiob nicht nur vom Anklagen, sondern von Leid und Elend überhaupt. Gott richtet es ein und Hiob wird voll hergestellt. Er kriegt sogar doppelt so viel als zuvor. Erfreut sich am Leben seiner Enkel und Enkelenkel. Was Hiobs Gemüt angeht, ist Gott auf die harte Art gütig, geduldig und langmütig gewesen. Gerade dann, wenn viele denken, dass es zwischen den zweien da längst aus und vorbei ist. Gerade dann, wenn ein Mensch so über Gott denkt und bei sich spricht: Ich klage Dich an, schön zu reden und böse zu tun. Zeig mir und der Welt, dass ich mit diesem Vorwurf Unrecht habe! Ich bin würdig, dass Du eintrittst unter mein Dach, und sprich nur ein Wort, und mein geknechtetes Leben wird wieder gesund. Hiob hatte das reine Anklagen also mit einer Bitte verbunden. Und damit drückte sein Gesicht und seine Gestik schon mehr aus, als ewig nur Gott und alle Welt zu verklagen, sich nur als wehrloses Opfer zu fühlen. Damit hat er sich dieses Status entledigt, der ja die Mitmenschen entweder sprachlos oder aggressiv macht oder sie vor ihm abhauen lässt. Viele Menschen beschäftigen sich ja heute noch gerne aus der Ferne mit seinem Ergehen. Und übrigens: Für viele reicht heute ein Schicksalsschlag in einem einzigen Bereich des Lebens, der dann auf ihr ganzes Leben abstrahlt und alles darin zur Hölle werden lässt.
Anklage, die mit Vergebung abschließt. Also Abschließen entweder im Sinne von Vergebung als letztes Wort. Oder Abschließen im Sinne von Versperren, Vergebung ausschließen. Jakob und Hiob, zwei Grenzfälle, zugegeben. Zwei Menschen, bei denen wir davon absehen sollen, mit dem Finger auf sie zu zeigen! Bei Hiob sieht es im Vordergrund so aus: 8Zorn und Grimm aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit. Doch seine grimmige Anklage und Streitsucht ist berechtigt und packt Gott bei der Wahrheit seiner Worte. Wer auf Hiob mit dem Finger zeigt, der bekommt dann vielleicht stattdessen Gottes Zorn und Grimm ab. Und verliert damit die Zuhörer, die sich wirklich für ein übles Schicksal interessieren statt zu fliehen oder aggressiv zu werden.
Und das hört sich nach dem inneren Hin und Her von Jakob dem Berechner am Jabbok an: 9Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die das Böse tun, zuerst der Juden und auch der Griechen; Aber seine Macht zu wahren, das schließt ein, andere um Vergebung zu bitten, statt es auszuschließen. Wer auf Jakob mit dem Finger zeigt, bei dem taucht der ganze Jammer auf, der hinter einem Macher ohne Makel stecken kann. Drohung, Vergeltung und Verrat wittern, wo es nur geht. Was leicht in Trübsal und Angst umschlägt, wenn Mensch erkennt, dass jeder Täter da auch schnell zum Opfer wird.
Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. Anklage, die ausnehmend gut mit Vergebung abschließt. Amen.
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