
Römer 8,31-39
Lätare | 30.03.2025 | Röm 8,31-39 | Peter Skov-Jakobsen |
Predigt zum Gedenkgottesdienst an die irrtümliche Bombardierung der Jeanne d’Arc-Schule am 21. März 1945
„Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja mehr noch, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.« Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ (Römer 8,31-39).
Das Schweigen ist eine furchtbare Verschlossenheit. Finsternis und Dunkelheit. Das Schweigen ist eine Schlangengrube, wo ein Albtraum nach den anderen den Wachen und den Schlafenden quält. Das Schweigen kann so manifest sein, dass man nicht weiß, ob man etwas Bestimmtes erlebt hat oder ob es nur ein böser Traum ist, der einen verfolgt.
In meinen Vorbereitungen zu diesem Tag war es herzzerreißend, von all diesen Kindern und jungen Menschen zu lesen, die mit furchtbaren Ereignissen aufgewachsen sind, die in ihnen rumorten, die aber keine Worte, Handlungen, Ausdrücke finden konnten. Die Ereignisse brannten in ihnen und lagen oft auf der Zunge; aber wenn man dann versuchte, es in Worte zu fassen, wurde man wieder in das Schweigen eingeschlossen.
Das war kein böser Wille. Man glaubte es wirklich. Man glaubte, dass Kinder vergessen! Man wusste es nicht besser.
Sie hatten die Grauen des Krieges aus nächster Nähe erlebt. Sie hörten Schreien, Jammern, schreckliche Stimmen für den Rest ihrer Tage. Einige mussten nach Worten ringen, denn plötzlich konnten sie nicht reden. Hört, was Schwester Emma Martensen viele Jahre später schrieb. „Ich mochte nicht im fünften Stock sein – auch nicht im Keller oder eingeschlossen sein. Aber so war es nicht immer gewesen. Ich hatte noch immer Angst vor Feuer, aber das lag an dem Bombardement und anderen Erlebnissen aus meinem späteren Leben“.[1]
Bei den meisten aber war es so, dass sie wieder frei atmen konnten, als sie endlich das Schweigen durchbrachen. Als das Schweigen endlich zu einem Lied wurde, war das eine Erleichterung. Als man endlich von dem schlechten Gewissen reden konnte, das viele mit sich herumgeschleppt hatten, darüber dass man überlebt hatte – ganz wie die Überlebenden der Todeslager – die Finsternis wurde aufgebrochen und Licht fiel ein in das Leben.
Schwester Emma schreibt: „Was vor allem in meinem Gedächtnis und meinem Herzen haften blieb, ist dies, dass Krieg unter allen Umständen grausam ist, denn der zerstört Leben und trifft blind und richtet großen Schaden an und unheilbares Leid“ (S. 97f.).
Vielleicht war da ein anderer Grund dafür, dass es nicht leicht war, über die irrtümliche Bombardierung der Jeanne d’Arc-Schule zu sprechen. Die Operation Karthago, der Angriff auf das Schell-Haus, in dem die Führung der dänischen Widerstandsbewegung gefangen gehalten war und wo die Gestapo ihr Archiv über die Widerstandsbewegung aufbewahrt hatte, sollte das Hauptziel des Bombardements sein. Es war ein furchtbarer Irrtum, dass eines der Flugzeuge gegen einen Mast flog und hier in Frederiksberg abstürzte und dies dazu führte, die die zweite Welle der Bomber glaubte, dass der Rauch der Maschine vom Schellhaus stammte, und deshalb warfen sie ihre Bomben über der Schule ab.
Air Vise Marshall Embry, RAF, war sehr im Zweifel gewesen über diese Operation. Er befürchtete zivile Opfer in der Stadt und natürlich auch die Fehler, die leicht passieren konnten, wenn man schnelle Entschlüsse fällen musste als Pilot, der sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 400 Stundenkilometern dicht über der Erde bewegte. Die Freude in London war groß, als man erfuhr, dass die Bombardierung des Hauptquartiers der Gestapo gelungen war; aber als man wenige Minuten später von der furchtbaren Fehlbombardierung der Jeanne d’Arc-Schule erfuhr, war der Raum voll von Trauer und Entsetzen. Das Entsetzliche, das man befürchtete, war in einem Umfang geschehen, der einen verzagen ließ.
Das Tor zur Freiheit war im Frühjahr 1945 kurz vor der Öffnung, und dann geschah dies, was damals wie heute nach einem Warum schreit. Die Schrecken des Krieges zeigen in solchen Augenblicken ihr hässliches Gesicht.
„Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn,“ schrieb Paulus an die Römer und die Nachwelt, so als wisse er, dass die Welt voller Dilemmas ist und in einem furchtbaren Widerspruch lebt, wo man z.B. entweder zu den Waffen greifen muss, um die Freiheit und Gerechtigkeit zu verteidigen. Paulus verweist auf die Geschichte von Ostern.
Wir haben eben vor dem Gedenkstein an der Frederiksberg Allee gestanden und das Kreuz gesehen, das an der Tracht des Josef-Schwestern hängt. Dieses merkwürdige Zeichen, das Tod und Leben bedeutet – Grab und Ewigkeit – Finsternis und Licht.
Es gibt einige christliche Traditionen, die so tun, als sei alles Leiden im Kreuz Jesu enthalten, und die sein Leiden so verabsolutieren, dass alles andere Leid aufgehoben oder relativiert wird. Ich denke, das ist ein furchtbares Missverständnis. Die norwegische Dichterin Inger Hagerup schreibt in ihrem Gedicht „Der Gekreuzigte sagt“:
„Nehmt mich ab! Es ist an der Zeit./ Glaubte ich, ich mochte das Leiden/ was Millionen litten?/Dachau, Buchenwald und Belsen,/ wo war ich und wo unser Heil? Nehmt mich ab.
Nehmt mich ab, ich war nicht da /das Entsetzen im Kinderblick,/das Weinen der Mutter ging an mir vorbei./Zerbrich mein Kreuz, das nicht vermochte,/die zu retten, die zugrunde gingen./ Nehmt mich ab. Befreit die Welt.“
An einem Tag wie diesem glaube ich die Verzweiflung Inger Hagerups zu verstehen, und doch kann ich nicht umhin, die Worte des Paulus im Ohr zu haben. Ich kann nicht davon ablassen, in eine Welt hineinzusehen, wo Widersprüche vor meinem Augen zusammenstoßen, und ich sehe das Schellhaus auf der einen Seite und die Jeanne d’Arc-Schule auf der anderen Seite, und wenn ich die Zeitung aufschlage, sehe ich das wieder und frage: Warum?
Wenn Jesus zu seinen Nachfolgern sagt, dass wir unser Kreuz auf uns nehmen und ihm folgen sollen, so ist das die Weise, in der er das Schweigen bricht. Gott sitzt nicht auf einem Thron weit weg von der Welt, sondern er ist im Leiden gegenwärtig. Gott ist mitten unter uns. Es ist nicht merkwürdig in solchen Situationen, dass man fragt: Wo ist Gott? So wie es auch nicht merkwürdig ist zu fragen: Wo ist der Mensch? Der Gekreuzigte lässt uns nach den Gekreuzigten fragen. „Das Kreuz ist ein radikaler Stein des Anstoßes, der uns an der Brutalität des Daseins festhält“ (Thelle[2]). Wenn wir vom Kreuz reden, reden wir also wirklich von der Wirklichkeit, und wir sollen auch von der Sehnsucht reden, die das Leiden hervorruft. Unsere Sehnsucht ist die Liebe, die täglich Leben auf der Erde schafft, wenn Menschen Hoffnung zum Ausdruck bringen. Paulus formuliert eine Hoffnung, die von der Wirklichkeit ausgeht, dass die Finsternis vom Licht durchbrochen wird, dass Vertrautheit bei Gott ist und Nähe, die bedeuten, dass autoritären Kräften widersprochen wird und dass wir Verantwortung übernehmen, uns im Dasein mit Barmherzigkeit gebärden; aber vor allem sind wir die, die daran glauben, dass das Geheimnis darin besteht, sich darauf zu verlassen, dass wir dazu berufen sind, Widerstand zu leisten gegen das Absurde und das Böse und nach besten Kräften die Gnade umsetzen, die uns in einer Gesellschaft widerfährt, wo wir einander nicht mit Schweigen einschließen. Freiheit, Glaube und Vertrauen erfordern zuweilen Stille, die kreativ und heilend ist. Das Schweigen singen wir weg! Amen.
Bischof Peter Skov-Jakobsen
Nørregade 11, DK-1165 København K
Email: pesj(at)km.dk
[1] S . 97 in dem Buch Tavsheden blev min sang (Stummheit wurde mein Lied).
[2] Mikkel Thelle, dänischer Autor.