
Römer 9,14-24
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Septuagesimae (3. Sonntag vor der Passionszeit), 27. Januar 2002
Predigt über Römer 9,14-24, verfaßt von Paul Kluge |
Begrüßung „Wir liegen vor dir mit unserem Gebet“ – so beginnt der Wochenspruch (Daniel 9, 18). In der hebräischen Urfassung heißt es: „Wir treten vor dich mit unserem Gebet.“ Und weiter: „Wir vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“ Wer auf Gottes Barmherzigkeit vertraut, der darf mit aufrechtem Gang vor ihn treten, braucht sich nicht um Gnade winselnd zu Boden zu werfen. Wer allerdings seiner eigenen Gerechtigkeit vertraut, macht sich selber platt.Predigt Liebe Geschwister, Titius Justus hatte vor längerer Zeit seinen Eltern in Rom einen Brief geschrieben, hatte ihnen seine Taufe mitgeteilt, auch, daß der bekannte Paulus bei ihm wohne und demnächst nach Rom reisen wolle. Nun hatten seine Eltern geantwortet, und zu seiner Überraschung las Titius, daß auch sie sich hatten taufen lassen. Ausführlich berichteten sie aus der Gemeinde, und Titius gab Paulus zur Reisevorbereitung den Brief zu lesen. So saß Paulus eines Nachmittags in seinem Zimmer, es war noch früh im Jahr, der Tag war ungemütlich grau und kalt. Paulus fror ein wenig, zog seine Toga enger um seine Schultern und begann zu lesen. Die Gemeinde in Rom war recht groß und bestand zu etwa gleichen Teilen aus getauften Juden und getauften Heiden. Diese kamen aus verschiedensten Gegenden des Römischen Reiches, Gallier gab es und Germanen, aber auch Ägypter und Äthiopier. „Diese bunte Menschenmischung wird helfen, daß alle auf einen Nenner kommen,“ dachte Paulus, doch der Brief belehrte ihn bald eines anderen: Unter den Christen in Rom gab es zwei Richtungen, erfuhr Paulus, und die waren heftig zerstritten. Dabei ging es um Äußerlichkeiten. Die getauften Juden wollten an ihren gewohnten Sitten und Gebräuchen festhalten – das schien ihm ja noch verständlich. Aber sie wollten sie auch für die getauften Heiden verbindlich machen. Denn, so argumentierten sie, unter Schwestern und Brüdern soll gleiches Recht für alle gelten. Genau das meinten die getauften Heiden auch, und darum wollten sie ihre Sitten und Gebräuche beibehalten. „Die spinnen, die Römer,“ dachte Paulus kopfschüttelnd und las weiter: „Dahinter liegt ein tiefer Konflikt, den allerdings niemand offen anspricht. Denn dann wäre eine Spaltung wohl unausweichlich. Die Traditionalisten halten sich für die besseren Christen, manchmal auch für die besseren Menschen. Sie bringen von Haus aus etwas mit, was wir anderen nie erreichen können: Sie haben schon immer zu denen gehört, die an den einen wahren Gott glauben, auch vor Christus schon. Sie sind mit ihrer Taufe nur eine Stufe höher gekommen, während wir ganz unten stehen und stehenbleiben sollen. Das finden wir ungerecht, und dagegen wehren wir uns. Wir sind doch nicht Christen zweiter Klasse, nur weil wir eine andere Vergangenheit haben!“ Paulus machte eine Pause. Ihm war nicht mehr kalt, heißer Zorn war in ihm aufgestiegen, und dann – er kannte das – las er nicht mehr, was geschrieben war, sondern was er lesen wollte. Er griff nach seinem Schreibzeug, machte sich ein paar Notizen. Er wollte den Römern ohnehin schreiben, ihnen seinen Besuch ankündigen. Da konnte er gleich ein paar Themen anschneiden, über die er dann mit ihnen diskutieren wollte. Er dachte an die Ereignisse vor einiger Zeit hier in Korinth, und ihm fielen weitere Erlebnisse der gleichen Art ein: Überall hatte er Menschen gefunden, die seine Botschaft gern hörten und annahmen, indem sie sich taufen ließen. Und überall war er auf Menschen gestoßen, die die Botschaft ablehnten und ihn, den Boten, anfeindeten. Lag das an ihm, fand er nur zu bestimmten Menschen Zugang und zu anderen nicht? Lag es an den Menschen, ob sie für die Predigt von Jesus, dem Christus, offen waren oder sich ihr verschlossen? War es nicht Mose und nach ihm den Propheten genau so ergangen, daß sie bei den einen Zustimmung, bei den anderen Ablehnung erfahren hatten, ja, hatte nicht auch Jesus diese Erfahrung machen müssen? Draußen begann es zu regnen, erst leicht, dann immer heftiger, bis es schließlich schüttete. Paulus trat ans Fenster, zog seine Toga wieder enger und blickte in den Regen. Dabei fiel ihm Noah ein, der gerettet wurde, weil er auf Gottes Wort hörte; alle anderen gingen in den Fluten unter. Die hatten doch wohl auch Ohren gehabt zu hören und damit eine Chance der Rettung. Und die da untergingen in den Fluten: Waren sie alle nur schlecht gewesen, hatten sie nicht auch alle ihre guten Seiten gehabt? War etwa die Mehrheit der Menschen einfach nicht zu retten? Doch nach welchen Maßstäben wurden sie sortiert in solche, die verloren gegeben, und solche, die gerettet wurden! Reine Willkür Gottes? Das vertrug sich dann aber nicht mit Gottes Gnade und Barmherzigkeit, die allen Menschen galt. Jedenfalls hatte Paulus das immer so gesehen, er war sogar überzeugt, daß die ganze Schöpfung sich nach Erlösung sehnte und erlöst werden würde. „Warum,“ dachte er immer wieder, „warum sträuben sich so viele Menschen einfach dagegen, warum sind so viele taub auf diesem Ohr!“ Die Frau des Titius rief zum Abendessen, und Paulus war froh, aus seinen kreisenden Gedanken gerissen zu werden. Vielleicht hatte sein Gastgeber ja erfreulichere Dinge vom Tage zu berichten. Doch der fragte Paulus gleich, wie er das denn sähe mit seinen schon immer auserwählten Landsleuten und den Heiden; ob man denn nur per Geburt dazugehören oder auch in fortgeschrittenem Alter noch dazukommen könne und ob da durch Christus sich etwas geändert habe. Er, Titius, wäre doch kein schlechterer Christ als Paulus, vielleicht nicht ganz so gelehrt, aber sonst? Paulus gestand, daß auch er hierzu mehr Fragen als Antworten habe. „Das liegt aber wohl daran, daß wir mit unsren Spatzenhirnen Gottes Handeln nicht begreifen,“ fuhr er fort, „es gibt so vieles, das uns ungerecht vorkommt; da stirbt zum Beispiel ein junger Mensch, und ein alter kann nicht sterben. Da gibt es Menschen, die wissen nicht wohin mit ihrem Reichtum, und vor ihren Türen verhungern andere. Da gibt es Kriege, in denen sonst friedliche Menschen die schlimmsten Grausamkeiten begehen. Es gibt hoch intelligente Kinder, die nie eine Schule besuchen können, und Dummköpfe, die in hohen Ämtern sitzen.“ Paulus schwieg einen Augenblick, und auch Titius und seine Frau wußten nichts zu sagen. Dann sagte Paulus: „Wir können uns nur Gottes unerforschlichem Ratschluß fügen. Er erbarmt sich, wessen er sich erbarmen will, heißt es bei Mose, und das heißt doch dann auch: er erbarmt sich nicht, wessen er sich nicht erbarmen will. Damit müssen wir wohl leben.“ „Das ist mir zu einfach,“ wand die Frau des Titius ein, „denn dann könnte jeder tun und lassen, wonach ihm gerade ist, und wozu dann die Gebote! Mir scheint eher, daß das jedem irgendwie in die Wiege gelegt wurde, daß das von Geburt an oder durch Erziehung irgendwie in uns angelegt ist.“ – „Du weißt das vielleicht nicht so, Paulus,“ ergänzte Titius, „aber alle, die hier zu unserer Gemeinde gehören, hatten auch vorher schon eine starke religiöse Bindung, die Juden wie die Heiden. Die wenig oder gar nicht Frommen haben auch den Weg zu uns nicht gefunden, sondern spotten über uns wie über alle Frommen, diese Verächter jeder Religion. Vielleicht brauchen sie keine Religion, sei es, daß sie keine Hilfe benötigen oder keine Hilfe annehmen können.“ „Wie meinst du das mit der Hilfe, was hat das mit Glauben zu tun?“ wollte seine Frau wissen, und Paulus erzählte von Stephanus, an dessen Tod er beteiligt war, erzählte von seiner Schuld, die er danach empfunden hatte und davon, wie er dann plötzlich begriffen hatte, wie Gott in Christus alle Schuld vergeben hat. „Ich war von einer schweren Last befreit und konnte ein neues Leben beginnen; die größte Hilfe, die ich je erfahren habe. Ich hatte mich völlig in mich verschlossen und verhärtet, und dann konnte ich wieder unter Menschen gehen, konnte Vertrauen und Zuneigung neu erleben. Da habe ich Gottes Hand gemerkt, seinen Ruf gehört. Aber warum gerade ich, frage ich mich manchmal, und dann antworte ich mir: Weil Gott das so gewollt hat.“ – „So herum mag das ja noch angehen, aber anders herum?“ fragte Titius, „warum wurde dein vielleicht bester Freund nicht gerufen, vielleicht, weil Gott das einfach nicht wollte?“ Paulus hob etwas ratlos die Hände, ließ sie dann wieder sinken; „Das ist wohl so,“ meinte er etwas schwach, doch im nächsten Moment wurde er wieder munter: „Beim Propheten Jeremia habe ich gelesen, daß wir in Gottes Hand wie Ton in der Hand eines Töpfers sind. Der kann aus dem gleichen Klumpen Ton ein Nachtgeschirr formen oder einen edlen Weinkrug. Ganz, wie es ihm gefällt.“ Titius, der schon ein wenig unruhig geworden war, nahm das Stichwort auf und fragte, ob er nicht einen Krug Wein holen solle. Es gab keine Einwände, und sie redeten noch lange über das Thema, über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit Gottes und darüber, ob der Mensch entweder zum Guten und damit zum Heil oder zum Bösen und also zum Unheil vorherbestimmt sei, ereiferten sich gemeinsam über alle, die sich für bessere Christen als andere hielten, und überlegten, ob Gott vielleicht durch gute und schlechte Menschen seine Größe und Herrlichkeit zeigen könne. Doch zu einem klaren, eindeutigen Ergebnis kamen sie nicht. Dazu stellte Paulus fest: „Vielleicht liegt das daran, daß wir Menschen über Gott immer nur spekulieren und niemals Bescheid wissen können; er ist und bleibt ein Geheimnis.“ – „Oder sie,“ warf die Frau des Titius ein, ergötzte sich an den überraschten Gesichtern der beiden Männer und ging neuen Wein holen. Als Paulus einige Zeit später seinen Brief an die Gemeinde in Rom schrieb, das Schreiben der Eltern des Titius neben sich, erinnerte er sich an dies Gespräch. Ging es in der Erinnerung noch einmal durch, und nach einem Abschnitt über Berufene und Unberufene schrieb er: Amen Gebet Gesänge Paul Kluge |
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