
Sacharja 8,20-23
„Lasst uns Gott suchen!“ | 10. Sonntag nach Trinitatis, Israelsonntag | 4.8.2024 | Sach 8,20-23 | Rainer Stahl |
„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit Euch allen!“
Liebe Leserin, lieber Leser!
Liebe Schwestern und Brüder!
An den Anfang stelle ich eine eigene Übersetzung des Predigttextes:
- 20a So hat gesprochen Jahwe Zebaoth / der Herr der Heerscharen:
- 20bα „Noch wird sein, wovon gilt, dass kommen (werden) viele[i] Völker
- 20bβ und die Bewohner vieler Städte.
- 21aα Und es werden gehen die Bewohner der einen Stadt zu [der] anderen und sagen:
- 21aβ „Lasst uns gehen, um zu besänftigen das Angesicht Jahwes / zu besänftigen das Angesicht des Herrn
- 21aγ und um zu suchen Jahwe Zebaoth / zu suchen den Herrn der Heerscharen.“
- 21b So will auch ich gehen!
- 22aα Und es werden kommen viele Völker und mächtige Nationen,
- 22aβ um zu suchen Jahwe Zebaoth / zu suchen den Herrn der Heerscharen in Jerusalem[ii]
- 22b und um zu besänftigen das Angesicht Jahwes / zu besänftigen das Angesicht des Herrn
- 23aα So hat gesprochen Jahwe Zebaoth / hat gesprochen der Herr Heerscharen:
- 23aβ „In jenen Tagen
- 23aγ wird gelten, dass ergreifen werden zehn Männer von allen Sprachen der Völker –
- 23bα und werden ergreifen das Gewand eines judäischen / eines jüdischen Mannes und sagen:
- 23bβ ‚Gehen wollen wir mit Euch,
- 23bγ denn gehört haben wir: Gott ist mit Euch!‘“[iii]
Sicher ist Ihnen das große Hoffnungsbild bekannt, nach dem eine Zeit kommen wird, in der die Menschen „ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen“ werden, in der kein Volk gegen „das andere das Schwert erheben“ wird, in der die Völker „nicht mehr lernen werden, Krieg zu führen“. Interessanterweise ist diese Hoffnung fast wortgleich an zwei Stellen überliefert: in Micha 4,1-3, wo dieses Bild wohl original ist, und in Jesaja 2,2-4. So wichtig war es prophetisch gesonnenen Überlieferern geworden, dass sie es zweimal im Prophetenkanon festhalten mussten!
Mit Blick auf den schrecklichen Zweiten Weltkrieg hatte der sowjetische, der ukrainische Bildhauer Евгений Викторович Вучетич / Jewgenij Wiktorowitsch Wutschetitsch im Jahr 1957 das Denkmal „Schwerter zu Pflugscharen“ geschaffen – vielleicht sogar in bewusster Anknüpfung an das Weihnachtsschreiben von Patriarch Aleksej I. von Moskau und ganz Russland vom Januar 1951 – die meisten unserer orthodoxen Schwestern und Brüder feiern Weihnachten am 6. und 7. Januar[iv] –: „In der Kette der Zeit wird unbedingt das Glied sein, das Gott durch den Mund seines Propheten Jesaja verheißen hat, der sprach: »Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. […].“[v] 1959 schenkte die Sowjetunion dieses Denkmal von Jewgenij Wutschetitsch den Vereinten Nationen, vor dessen Hauptgebäude in New York es meines Wissens noch heute steht – jedenfalls hatte ich dieses Denkmal bei einem Besuch von New York in der ersten Hälfte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts bewusst fotografiert.[vi]
Die Wirkung dieser Hoffnung in den 80er Jahren in der DDR ist uns allen gewiss bewusst.[vii] Pfarrer Harald Bretschneider hatte 1980 das Lesezeichen und den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ entwickelt.[viii] Alle, die diesen Aufnäher zu tragen versuchten, mussten mit großen Schwierigkeiten seitens des DDR-Staates rechnen. Aber im April des jetzigen Jahres hatte Pfarrer Bretschneider wegen dieses Engagements zusammen mit Pfarrer Friedrich Schorlemmer den Gothaer Kultur- und Friedenspreis erhalten![ix]
Aber diese so bekannte und uns tief bewegende Friedenshoffnung ist Folge, ist Wirkung einer anderen Hoffnung, nämlich der Hoffnung auf die Völkerwallfahrt zum Berg des Heiligtums Jahwes, des Tempels des Herrn:
„Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Hause des Gottes Jakobs,
dass er uns lehre seine Wege, und wir in seinen Pfaden wandeln!“
(Micha 4,2a und Jesaja 2,3a).
Diese Hoffnung war es nun, die in unserem Sacharja-Wort aufgenommen worden war:
„Noch wird sein, wovon gilt, dass kommen (werden) viele Völker
und die Bewohner vieler Städte.
Und es werden gehen die Bewohner der einen Stadt zu [der] anderen und sagen:
»Lasst uns gehen, um zu besänftigen das Angesicht Jahwes / zu besänftigen das Angesicht des Herrn
und um zu suchen Jahwe Zebaoth / zu suchen den Herrn der Heerscharen.« […]
Und es werden kommen viele Völker und mächtige Nationen,
um zu suchen Jahwe Zebaoth / zu suchen den Herrn der Heerscharen in Jerusalem
und um zu besänftigen das Angesicht Jahwes / zu besänftigen das Angesicht des Herrn“
(VV. 20bα-21aγ und 22aα-b).
Jetzt wird uns bewusst, worin die eigentliche Herausforderung besteht, die dieser Predigttext uns vorlegt: Sind wir bereit, uns dieser Bewegung anzuschließen? – Wie es die folgende Aufforderung so einfach zum Ausdruck bringt:
„So will auch ich gehen!“ (V. 21b).
Wie könnte diese Bewegung für uns konkret aussehen?
Mir drängen sich verschiedene Schritte auf. Wir könnten sie alle zu gehen versuchen oder eben einen Schritt oder zwei Schritte für uns selbst herausgreifen:
Ein Schritt könnte sicher darin bestehen, dass wir – wenn wieder Frieden gefunden worden ist – nach Israel und in die Palästinensischen Autonomiegebiete reisen und nach den Wirklichkeiten dort fragen: Dass wir nicht einfach an historischen Orten interessiert sind – so wichtig das sein wird –, sondern dort auch die Menschen von heute und ihre Probleme und Chancen wahrnehmen:
+ Bewusst einen Kibbuz besuchen und uns mit den Bewohnerinnen und Bewohnern dort austauschen.
+ Aber auch bewusst eine palästinensische christliche Gemeinschaft wahrnehmen und uns um das Gespräch mit ihr bemühen – zum Beispiel in Bethlehem mit der Gemeinde an der Weihnachtskirche, die zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land gehört.
In beiden Gemeinschaften gäbe es doch viel zu erfahren – mit Sicherheit auch Schritte und Verhaltensweisen, die den Frieden stärken und sicherer machen!
Ein anderer Schritt würde darin bestehen, dass wir nach jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in unserem Land fragen und das Gespräch mit ihnen suchen. Am Samstag, dem 2. Juli 2016, war mir beim Weg durch Trier die Synagoge aufgefallen. Als ich vor ihr stehen geblieben war, entdeckte ich, dass über der Eingangstür das Bibelwort steht: „Denn mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker“ (Jesaja 56,7b) – natürlich in hebräischer Sprache und Schrift.
Dasselbe Bibelwort steht jetzt auch im hebräischen Original an der Außenwand der neugebauten Synagoge in Magdeburg, wie 2023 in „Glaube + Heimat“ mitgeteilt wurde.[x] Allerdings wurde die hebräische Inschrift nicht erklärt, so dass ich die Umschrift dieser Inschrift der Zeitung mitgeteilt hatte, die sie dann in der 1. Nummer von 2024 veröffentlichte:
«ki beti bet-tephillāh jiqqāre‘ lechol hācammim».[xi]
„Denn mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker“.
Wäre das nicht ein großartiger Anknüpfungspunkt für Kontakte und Gespräche?! Der junge Mann, der 2016 aufpassend vor der Synagoge in Trier stand, sagte mir, dass er dieses Wort nicht lesen könne, lud mich aber ein, zum Gottesdienst hineinzugehen – was ich sogleich gemacht hatte! So konnte ich für einige Minuten hinten in der Gottesdienstgemeinde sitzen!
Und natürlich der wichtigste Schritt, den jede und jeder von uns versuchen sollte, besteht meines Erachtens darin, die Orientierung an Jesus aus Nazareth zu gewinnen. An Jesus, der Jude war und für alle Menschen die Erfahrung mit Gott bietet – wozu wir uns als Christinnen und Christen bewusst bekennen. Wir sagen: Jesus war und ist der Sohn Gottes. So gibt es für uns keine andere Begegnungsmöglichkeit und Erfahrungsmöglichkeit für Gott als über diesen Jesus aus Nazareth, als über diesen Jesus Christus:
„»Lasst uns gehen […] um zu suchen Jahwe Zebaoth / zu suchen den Herrn der Heerscharen«“
(V. 21aβ+γ).
Ich finde schon lange, dass für uns als Christinnen und Christen das Bild des Christus das Bild für Gott ist. Bewusst habe ich mir in verschiedenen Situationen Ikonen des „Nicht mit Händen gemalten Abbilds des Herrn“ – also Christusikonen gekauft –, auf denen allein sein Bild abgebildet ist:
Zuerst eine kleine Ikone, die ich mir im September 2009 in der Kathedrale der Muttergottes von Kazan in St. Petersburg erworben hatte.
Dann eine kleine Ikone aus Kiew, die ich mir bei einem Wanderurlaub in den Pyrenäen am 16. Juli 2014 in Ordino in Andorra erworben hatte:
(Die Ikone aus Ordino.)
Schließlich eine geschnitzte Arbeit, die ich mir bei einem Wanderurlaub im Sommer 2018 in Bulgarien erworben hatte.
Da befindet sich Christus mir gegenüber. Da kann ich ihn ansprechen und zu ihm beten. Und ich kann mir vorstellen, dass er mich anspricht, so dass ich Sätze hören kann, die er gesprochen hat:
„Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“ (Matthäus 7,12). „Selig sind, die Frieden stiften“ (Matthäus 5,9).
Amen.
„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“
Liedvorschläge:
„Es wird sein in den letzten Tagen…“ (EG 426,1-3),
„Gib Frieden, Herr, gib Frieden…“ (EG 430,1-4),
„Hevenu schalom alejchem…“ (EG 433).
[i] Für „viele“ vgl. zwei hebräische Handschriften und die Septuaginta. Hier handelt es sich wohl um eine Angleichung an V. 20bβ.
[ii] „in Jerusalem“ fehlt in einer hebräischen Handschrift.
[iii] Für diese Übersetzung habe ich die Verdeutschung von Martin Buber und Franz Rosenzweig eingesehen: Bücher der Kündung, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Die Schrift 3, Stuttgart 1992, S. 739-740. Die Verben habe ich immer an den Stellen benannt, an denen sie im hebräischen Original stehen.
[iv] Vgl.: https://de.euronews.com/2023/01/06/warum-feiern-einige-orthodoxe-christen-weihnachten-im-januar (Zugriff am 27.5.2024).
[v] Bischof Joann Wendland: Wesen und Wirken des Hochheiligen Patriarchen Alexius von Moskau und ganz Rußland im Jahrzehnt 1950 bis 1962, Berlin 1961, S. 28.
[vi] Das Dia habe ich aber nicht mehr. Vgl. zu dieser Skizze: Rainer Stahl: Unsere Welt als Welt ohne Waffen. Bibelarbeit zu Joël 4,1-3.9-17 und Micha 4,1-5 / Jesaja 2,1-5, in: Lutherische Kirche in der Welt. Jahrbuch des Martin-Luther-Bundes, Folge 60, 2013, S. 129-170, bes. S. 148-149. Für ein Foto kann ich jetzt verweisen auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Schwerter_zu_Pflugscharen (Zugriff am 14.7.2024).
[vii] Vgl. a.a.O. (wie Anm. VI), die S. 144-147.
[viii] Dieser „Aufnäher“, ein bedruckter Stoffstreifen, der am Ärmel der eigenen Jacke aufgenäht werden konnte, war entwickelt worden, weil für dieses Druckerzeugnis keine staatliche Genehmigung nötig gewesen war.
[ix] Vgl. „Glaube + Heimat“ (Mitteldeutsche Kirchenzeitung) 16, 21. April 2024, S. 2.
[x] Vgl. „Glaube + Heimat“ 49, von 2023, S. 5.
[xi] Vgl. „Glaube + Heimat“ 1, 7. Januar 2024, S. 11.
Dr. Rainer Stahl, Erlangen