Hebräer 11,8–10

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Synoden-Eröffnungsgottesdienst Marktkirche | 20. Februar 2002 | Hebräer 11,8–10 | LANDESBISCHÖFIN DR. MARGOT KÄßMANN |

Sperrfrist: 20.02.2002 – 10.30 Uhr

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Gemeinde,

wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen – dieses Sprichwort hat sich

für die meisten Menschen bewahrheitet. Viele Reisegeschichten sind zu hören:

Weißt du noch, als in Sizilien der Koffer weg war! Erinnerst du dich an die Besichti-

gung von Notre Dame. Damals beim Urlaub in Spanien… Ja, es gibt so viel zu erzäh-

len, dass manches Mal Freunde und Verwandte schon etwas verzagen und die Ein-

ladung zum Dia-Abend höflich absagen.

Um eine Reise geht es auch im Predigttext für den kommenden Sonntag. Das ist ja

für die Predigerin die Qual der Wahl bei so einem Synodengottesdienst: Losung,

Lehrtext, Wochenspruch, Monatsspruch? Warum nicht diesen Predigttext – da kön-

nen wir uns alle schon ein wenig vorbereiten auf den Fastensonntag Reminiscere:

Gedenke. Hören wir also aus dem Brief an die Hebräer Kapitel 11, die Verse 8-10:

Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in

ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht,

wo er hinkäme.

Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen

Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob,

den Miterben derselben Verheißung.

Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Bau-

meister und Schöpfer Gott ist.

Gott hilf uns, dein Wort zu hören und zu verstehen. Amen.

Drei Dinge braucht der Mann, wenn er eine Reise tut – ebenso übrigens auch die

Frau. Nein, nicht Feuer, Pfeife, Stanwell (Sie erinnern sich?), sondern Ausgangs– 2 –

punkt, Streckenführung und Ziel. Lassen sie uns den Predigttext von Abrahams Le-

bensreise an diesen Eckdaten verfolgen.

1. DER AUSGANGSPUNKT ODER : VOM AUFBRECHEN

Wissen Sie, was eine Coverversion ist? Das ist ein vorhandenes Musikstück, das

neu interpretiert wird. Dabei geht es um Songs, die schon Ohrwürmer sind, wir haben

sie sozusagen im Ohr. Dazu kommt dann meist ein neuer Interpret oder Interpretin

und neuer Rhythmus, neue Instrumente. Viele Coverversionen sind derzeit auf dem

Markt. Denken wir allein an Robbie Williams, der mit Songs von Frank Sinatra Be-

geisterungsstürme auslöst. Ja es gibt sogar Songs wie „From Sarah with Love“ – uns

Niedersachsen natürlich besonders nahe von wegen Delmenhorst – die erst kurz auf

dem Markt sind und durch die Originalinterpretin selbst eine Coverversion erfahren.

Es geht wohl vor allem darum, den Song so lange wie möglich in den Charts zu hal-

ten oder neu in die Charts zu bringen.

Das Prinzip scheint mir Folgendes zu sein: da ist eine Grundmelodie, die wir

kennen, die Vertrautes anklingen lässt. Sie wird neu angesprochen, wir hören sie

gern wieder, und sie vertieft sich in der Wahrnehmung. Dieses Prinzip gilt auch für

das Christentum: Wir erzählen die alten Geschichten in jedem Jahrhundert neu, in

jedem Kontext wieder. Dadurch entsteht eine Vielzahl von Cover-Versionen, die aber

alle den Urtext anklingen lassen. Beispielsweise tut das schon der Hebräerbrief. Er

greift immer wieder auf Texte des Alten Testamentes, auf bekannte Geschichten zu-

rück und interpretiert sie neu. So sagt er der Gemeinde: schaut auf die Ursprünge,

und ihr findet Anregung für eure Situation heute, für euren oft so müde gewordenen

Glauben – ja, das gab‘s auch schon damals.

Und das gilt wohl auch für uns: von den Quellen, von der biblischen Überliefe-

rung her, wird sich die Kirche, wird sich unser Glaube erneuern. Wo immer wir auf-

brechen, reformieren, werden wir das von den biblischen Ursprüngen her tun, die wir

neu wahrnehmen, an denen wir Neues entdecken. Das sola scriptura – allein die

Schrift – der Reformatoren bewährt sich so immer wieder. Ein neues Schriftver-

ständnis des Römerbriefes stand schließlich an der Wiege der Reformation!

Kommen wir damit zu- 3 –

2. DER WEG ODER : DIE STRECKENFÜHRUNG

Aus Glauben zog Abraham los. Können wir uns das heute vorstellen? Oder sagen

wir: verantwortungslos, so im Alter noch einmal loszuziehen ins Ungewisse. Verspä-

tete Midlife Crisis, oder was? Ortswechsel aus Glauben? Das gab‘s vielleicht vor fast

hundert Jahren, als die Marienschwestern in Hamburg sich aufmachten ohne konkre-

tes Ziel, in Rotenburg landeten und dort ein großes diakonisches Werk aufbauten.

Aber heute?

Mobilität ist ja geradezu ein Kennzeichen unserer Gesellschaft. Aber doch

nicht aus Glauben. Oder gar Gehorsam! Mobilität kann heute vielmehr geradezu zum

Faktor von Verantwortungslosigkeit werden. Da werden Bindungen leichtfertig auf-

gegeben. Da soll alles grenzenlos sein. Freiheit ist die Freiheit, jederzeit tun und las-

sen zu können, was ich will, ohne Rücksicht auf Verluste. Gehen, wohin ich will und

wann immer es mir passt. Wenn wir uns heute als Kirche auf den Weg machen, sind

wir dann vielleicht so etwas wie Auswanderer aus Glauben? Fremde wie Abraham

aus Glauben, und zwar Fremde in unserer ach so säkularen Gesellschaft! Fremd,

weil wir versuchen, an etwas festzuhalten, was gegenläufig ist zum Trend. An be-

stimmten Werten, an Mitmenschlichkeit, Solidarität und am Glauben an Jesus Chris-

tus? Fremd-Sein, dass hat einen bitteren Beigeschmack, da brauchen wir wohl nur

einen Flüchtling in unserem Land zu fragen.

In unserer Gesellschaft heute scheint es für manche tatsächlich ein Wagnis,

sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Unsere Kirche, unsere Gemeinschaft

kann eine gegenseitige Ermutigung sein auf dem Weg, dies glaubwürdig, überzeu-

gend und für unsere Zeit und Gesellschaft relevant zu tun.

Brechen wir auf um des Glaubens willen? Oder versuchen wir nicht viel zu oft,

unsere Nicht-Aufbrüche, unser Beharrungsvermögen mit Glauben zu rechtfertigen?

Ein schönes Beispiel etwa ist in jüngster Zeit das Musical GODSPELL und die Aus-

einandersetzungen darum. Die einen schimpfen, es sei Gotteslästerung, die anderen

sagen, es sei viel zu fromm, dritte vermissen ein angemessenes Niveau. Das gibt es

leider oft in der Kirche: statt sich zu freuen und zu sagen: „Na prima, zwar nicht ganz- 4 –

mein Stil, und ich habe einige –wahrscheinlich berechtigte! – Anfragen, aber gut,

dass es dies gibt“, kommt gleich der kritische Hammer: Dies darf nicht sein, und das

geht nicht. Heißt das, besser hocken bleiben, kein Wagnis eingehen? Und dann gibt

es dort Grabenkämpfe und hier die Beleidigten, und wir sind wieder wunderbar mit

uns selbst beschäftigt. Nur nicht aufbrechen, sondern stehen bleiben, verteidigen,

was wir vermeintlich festhalten können.

Das allerdings ist wahr: ein Weg könnte ja auch in die falsche Richtung gehen.

Wer aufbricht, wagt etwas. Und wer etwas wagt, könnte scheitern. Sind wir aus

Angst oft so festgefahren?

Als ich über den Text nachdachte, waren wir mit dem Auto unterwegs. Es gab

einen Stau. Das Navigationssystem zeigte eine Umleitung an. Herr Bollmann aber

hatte im Kopf, dass es einen besseren Weg geben müsste und wehrte sich stur, dem

System zu folgen. Während die freundliche Computerdame immer wieder sagte:

„Wenn möglich, bitte wenden“, war der selbst gefundene Weg offensichtlich besser.

Na, dachte ich, das ist doch spannend!

Liebe Synode, glauben wir, wenn wir nur dem Schema, einem vermeintlich

vorgegebenen Weg folgen, dann kommen wir schon an? Oder müssen wir nicht im-

mer wieder überlegen, was denn der beste Weg wäre im Glauben, etwas austesten

mit unsrer Kirche und auch einmal wagen, in einer Sackgasse zu landen oder auf

einem Feldweg. Ich bin überzeugt, wir werden immer neu um den Weg ringen müs-

sen.

Aber da gibt es noch eine Anmerkung: es braucht Weggefährtinnen und Weg-

gefährten. Viele Jahre war für mich ganz persönlich der Ökumenische Rat der Kir-

chen eine Weggemeinschaft. In den letzten Tagen habe ich zwei langjährige Gefähr-

ten verloren. Am 7. Februar starb Jan Kok aus Holland, seit 23 Jahren für die Publi-

kationen des ÖRK zuständig, und am 12.Feburar starb Marga Bührig, Schweizerin,

Jahrgang 1915, eine der Pionierfrauen in der ökumenischen Bewegung. Beide haben

mir persönlich viel bedeutet, und ich spüre diesen Verlust auf dem Weg, den wir

doch miteinander immer wieder gesucht haben. Ja, den Weg können wir nicht allein

gehen, da braucht es andere an unserer Seite…- 5 –

3. VOM ZIEL ODER: DIE STADT UNSERER HOFFNUNG

Auf dem Weg sein heißt, ein Ziel vor Augen haben. Das Abraham verheißene Land,

von dem im Hebräerbrief die Rede ist, wird zur erwarteten Stadt. Diese erwartete

Stadt ist eine Cover-Version für viele eschatologische Hoffnungstexte der Bibel: ei-

nes Tages, wenn Gott unter uns wohnt! Ja, sie heißt Jerusalem als Symbol der Hoff-

nung auf die endgültige Gemeinschaft mit Gott. Aber gerade Jerusalem! Wenn wir

die biblischen Bezüge, so manchen Psalmvers lesen, wird uns erst recht bewusst,

wie weit wir von dem Ziel der endgültigen Gottesherrschaft entfernt sind, vom Frie-

densreich Gottes, in dem die Völker versöhnt miteinander leben werden. Jerusalem

ist heute Symbol für Terror und Gewalt, für Unterdrückung und Aggression und Rat-

losigkeit, aber auch für den Unfrieden der drei großen Weltreligionen untereinander,

die sich auf Abraham beziehen. Kann es sein, dass Jerusalem heute geradezu ein

Symbol dafür ist, dass wir die Hoffnung auf Gottes Zukunft verloren haben? Nicht nur

die Naherwartung, die Wiederkehr des Christus abgeschrieben, sondern auch jede

Fernerwartung? Hoffnungslos verloren im Gestrüpp der Auseinandersetzung mit un-

ser friedlosen Welt? Und deshalb die Parole: lieber festhalten, bloß nicht aufbre-

chen?

Oder haben wir das Ziel nur noch formelhaft vor uns in Phrasen sozusagen,

aber nicht mehr im Herzen. Hand auf‘s Herz: was glaubst du, was glaube ich? Ver-

kündigen wir den Tod des Herrn, „bis er kommt“, in dem festen Glauben, dass er

kommt? Glaube, so sagt der Hebräerbrief im ersten Vers desselben Kapitels, „ist ei-

ne feste Zuversicht auf das, was man hofft und ein Nichtzweifeln an dem, was man

nicht sieht“. Eine schöne Definition! Glaube lebt eben von der Hoffnung auf etwas,

was wir nicht in Formeln beweisen können. Vielleicht ist er gerade deshalb so provo-

zierend in einer Welt, die meint, alles analysieren und fassen zu können.

In diesem Fall gilt nicht: „Der Weg ist das Ziel“. Nein, das Ziel, die biblischen

wie unsere eigenen Bilder von der Stadt Gottes beeinflussen unser Leben heute.

Das Ziel bestimmt unseren Weg! Weil Gott einst alle Tränen abwischen wird, deshalb

trocknen wir heute Tränen ab. Weil Gerechtigkeit und Frieden sich küssen werden,- 6 –

ringen wir auf dem Weg in Gottes Zukunft um Gerechtigkeit und Frieden. Weil die da

Leid tragen getröstet werden sollen, deshalb trösten wir. Auf Hoffnung, auf Gottes

Ziel hin.

Liebe Gemeinde, auch diese Synode begibt sich auf eine Reise. Eine sechs-

jährige zunächst. Sie wird sich zuallererst ihres Grundes versichern müssen, deshalb

beginnen wir die Tagung und auch jeden Tagungstag mit Gottesdienst oder Andacht.

Und wir feiern die Gemeinschaft, die uns geschenkt ist über alle Differenzen hinweg:

die Gemeinschaft mit Gott und untereinander im Abendmahl. Über den Reiseweg

wissen wir noch nicht viel, aber einige Hürden und Klippen können wir uns vorstellen,

vielleicht auch Feldwege. Die Synode wird Gottes Beistand brauchen, um unserer

Kirche Wegmarkierungen vorzugeben. Und das Ziel? Das himmlische Jerusalem

werden wir wohl nicht erreicht haben in sechs Jahren, bzw. das liegt nicht in unserer

Entscheidung. Wenn aber eine Cover-Version unserer Kirche zu Beginn des 21.

Jahrhunderts entstanden ist, wenn die Hoffnung auf Gottes Zukunft Spuren im Hier

und Jetzt legt, dann wäre das Ziel gewiss erreicht. Machen wir uns also mutig auf die

Reise wie einst Abraham. Aus Glauben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft,

bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann

E-Mail: Landesbischoefin@evlka.de