Trost und Hoffnung

· by predigten · in 03) Lukas / Luke, 2. Advent, Aktuelle (de), Aus dem Dänischen, Beitragende, Deutsch, Kapitel 21 / Chapter 21, Kasus, Marianne Christiansen, Neues Testament, Predigten / Sermons

Lukas 21,25-36 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Bischöfin Marianne Christiansen | 

”Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben” (Römer 15,4).

So schrieb Paulus an die römische Gemeinde: „Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus entspricht“. Eine Aufforderung an die Christen in Rom, die ganz unterschiedlicher Herkunft waren, mit unterschiedlichen Sitten und verschiedenen Überzeugungen. Einige kannten die Schriften, also das Alte Testament, andere nicht. Paulus öffnet die Bedeutung der Schriften für sie, indem er sagt: „Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben“ – nicht damit wir einander bekriegen und einschlagen, weil wir verschieden sind. Was sie lernen sollen, ist dies, dass sie einander annehmen und trösten und unterstützen, wie Christus uns das gezeigt hat. Was wir aus den Schriften lernen können, ist Trost und Hoffnung.

Das ist ein guter Ausgangspunkt für das heutige Stück aus dem Lukasevangelium. Das ist 50 Jahre nach Paulus geschrieben, zu einem Zeitpunkt, wo die christlichen Gemeinden vielerorts verfolgt wurden. Auch Lukas schreibt die Geschichte Jesu nieder, um Trost und Hoffnung zu bringen – für die Verfolgten und die Nachwelt. Das Schreiben selbst ist ein Ausdruck der Hoffnung: Da ist etwas, was erzählt werden muss, und die Hoffnung ist, dass das jemand künftig lesen wird.  Deshalb schreiben wir Dinge nieder – wenn das nicht nur eine Gedächtnisstütze für uns selbst ist. Briefe für die Zukunft. So müssen sich Lukas und die anderen Evangelisten das gedacht haben: Ich will sie niederschreiben, die Geschichte von Jesus, die ich selbst gehört habe von Menschen, die ich kenne. Ich will schreiben, so dass jemand, den ich noch nicht kenne, vielleicht weit weg, das künftig lesen und mit sich nehmen kann. Denn die Geschichte bringt Trost und Hoffnung. Und Trost und Hoffnung soll die Schrift in die Zukunft weitertragen.

Das Stück aus dem Lukasevangelium, das wir gerade gehört haben, ist ein Auszug aus einem Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern in Jerusalem in den letzten Tagen vor seinem Tod. Sie befinden sich im Herzen Jerusalems in der Nähe des Tempels, und Jesus hat sie gerade auf eine arme Witwe aufmerksam gemacht, die ganz unbemerkt von anderen ihre Gabe im dem Sammelkasten des Tempels gelegt hat. Sie gab mehr als all die, die von ihrem Überfluss gaben, sagt Jesus, denn sie gab von ihrer Armut alles, was sie zu zum Leben hatte. Aber die Jünger haben offenbar mehr Blick für die Schönheit und den Reichtum des Tempels als für die arme Witwe. Lautstark bewundern sie die Größe des Tempels, aber Jesus sagt: „Was ihr seht, dass wird fallen – es werden Tage kommen, wo kein Stein auf dem anderen bleibt. Alles wird fallen“ – Und dann fragen die Jünger: Wann? Wie können wir wissen, wann die Zerstörung kommt?“ Und dann kommt die lange Rede darüber, wie alles, nicht nur Jerusalem, wo die ganze Welt untergehen wird. Da werden Zeichen in Sonne und Mond und Sternen geschehen, und das wird Angst sein und Untergang.

Das war für die Zuhörer Jesu oder die Leser des Lukas so gesehen nichts Neues, dass die Welt untergehen wird. Die ganze Zeit, in der sie lebten, war – wie unsere eigene Zeit – vom Gedanken an den Untergang der Welt geprägt. Eine apokalyptische Zeit. Apokalypse bedeutet eigentlich Offenbarung, dass etwas aufgedeckt und offenbar wird. Nachgerade wird es offenbar und deutlich, wie alles zusammenhängt und endet.

Das war nicht neu, dass die Welt untergehen würde. Das Neue in den Worten Jesu ist der Trost, die Hoffnung: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“.

Während alles zusammenbricht, sollt ihr eure Häupter erheben und hoffen. Denn das Reich Gottes ist nahe. Der Menschensohn kommt, wenn alles zusammenstürzt.

Das ist der Trost, und das ist die Hoffnung, das ist das Neue, und eben dies ist der Anlass dafür, dass Lukas es niederschreibt – um den Trost und die Hoffnung weiterzugeben.

Es ist ja nicht besonders gemütlich, in dieser schönen Adventszeit mit Weihnachtsvorbereitungen vom Weltuntergang zu hören. Als hätten wir nicht täglich genug zu fürchten. Aber an jedem zweiten Advent werden wir daran erinnert, dass die Zeit ihrem Ende entgegengeht. Das bedeutet, dass die Zeit, in der wir gerade jetzt leben, kostbar ist und nicht vergeudet werden soll. Und das bedeutet, dass die Erwartung darauf, wie alles endet, ein Licht oder einen Schatten auf das Leben wird, das wir jetzt leben: Sind wir auf dem Wege zu Wüste und Leere, oder sind wir auf dem Wege zum Fest, dem Weihnachtsfest, dem Reich Gottes? Oder besser gesagt:  Was ist der Sinn des Lebens? Diese Frage taucht immer auf und soll stets auftauchen, wenn wir daran erinnert werden, dass die Zeit, wir, alles, was wir kennen, ein Ende hat.

Advent bedeutet Kommen – und was ist es, das kommt in der Zukunft, auch die ultimative Zukunft, wenn alles aus ist?

Wir leben auch in apokalyptischen Zeiten. Wir befinden uns mitten in der Klimakrise, die  vielleicht nicht bedeutet, dass die Erden untergeht, sie wird das wohl überstehen, die aber viele von den Lebensformen, die uns vertraut sind, und unsere eigenen Lebensbedingungen bedroht. Und wir sind an der Zerstörung selbst schuld. – Wir befinden uns mitten in einer Pandemie, die uns ganz deutlich zeigt, dass wir  als Menschen auf der ganzen Erde der gleichen Bedrohung ausgesetzt sind, die aber auch die Furcht vor einander hervorruft, die Furcht vor Ansteckung und wirtschaftlichem Niedergang. Pandemien bedeuten stets Furcht vor dem Untergang. Wir sind Zeugen, wie die Welt der Menschen überall zusammenbricht, so dass sie fliehen müssen und ihr Leben von Krieg und Flammen oder Verarmung bedroht sehen.

Für uns, die zurzeit nicht betroffen sind von der Welle des Krieges und des Untergangs, ist es die Furcht, aber auch die Faszination des Untergangs, des Weltuntergangs – im Film, in Computerspielen und in Büchern. Solange wir glauben können, dass das ein Film ist, was anderen Menschen auf der Welt widerfährt, können wir es auf Abstand halten. Man kann mit der Furcht Geld verdienen.

Und immer wird die Frage gestellt: Wann? Wann geht alles unter? Wann muss ich selbst sterben? Und wäre es nicht besser, wenn ich den Zeitpunkt selber bestimmen könnte? Alles aus Furcht. Wann wird all dies geschehen, fragen die Jünger.

Aber Jesus weist sie und uns weg von dieser Frage:

Ihr sollt nicht nach dem Wann fragen, sagt er den Jüngern und uns. Ihr sollt leben als Menschen, die auf das Reich Gottes warten – und das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude.

Das bedeutet, dass wir leben, suchen und arbeiten sollen für die Gerechtigkeit und den Frieden und die Freude unter den Menschen und nicht spekulieren, sondern leben, beten und arbeiten sollen. Das weitergeben, was wir empfangen haben. Wie die Witwe auf dem Tempelplatz: Der Tempel stürzte zusammen, aber ihre kleine Tat wurde weitererzählt und trug unerwartete Früchte. Und wenn alles aus ist, – das Leben des einzelnen Menschen und das der ganzen Welt, dann endet es im Lichte von Jesus, dem Menschensohn. Er, der schon hier auf Erden für Versöhnung und Wiederaufrichtung der Geringen und Heilung der Verzweifelten, Erlösung der Verlorenen lebte und wirkte. Alles endet in ihm – er ist der Sinn. Und deshalb leben wir stets in der Hoffnung.

Da ist sowohl eine Warnung als auch ein Trost in dem Evangelium. Die Warnung: „Hütet euch aber, dass eure Herzen nicht beschwert werden durch Rausch und Saufen und mit täglichen Sorgen“, sagt Jesus. Wachet! Reißt euch zusammen! Wenn wir glauben, dass der Menschensohn der Sinn ist und dass das, was wir von Jesus lernen, wahr ist, dann müssen wir es auch schaffen, dass wir zusammen leben und teilen, was wir haben, so wie wir Brot und Wein am Altar teilen zu seinem Gedächtnis und im Gedenken daran, dass wir eins sind in ihm. Wir sind eine Gemeinschaft. Nicht eine geschlossene Gesellschaft, die sich nur für sich selbst interessiert, sondern eine Gemeinschaft, die in die Welt gesandt ist, um den Trost und die Hoffnung weiterzugeben.

Und Trost und Hoffnung ist das, was Jesus sagt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“.

Die Barmherzigkeit, die wir in Jesus sehen und hören, gilt: Sie vergeht nicht. Alles, unsere eigenen kleinen Lebensläufe und die Welt, die wir kennen, und die Galaxien und Unendlichkeiten, die wir nicht kennen – alles hat ein Ende – morgen oder in Milliarden von Jahren. Wir wissen nie wann, aber wir glauben und hoffen, dass alles in Barmherzigkeit endet. Er ist der Richter, der die Sache selbst führt für den Angeklagten und sie gewinnt, so wie dies in unseren Liedern besungen wird. Er tritt auch ein für uns und unser Versagen.

Und deshalb haben wir stets Hoffnung. Hoffnung für dieses Leben, für die Aufrichtung der Opfer und Heilung und Versöhnung: Hoffnung darauf, dass wir den Mut haben mögen, auf unsere eigenen Güter und Bequemlichkeiten zu verzichten und einander zu helfen, mit einander zu teilen. Hoffnung darauf, dass unsere Schuld von uns genommen werde. Das beruht auf der Hoffnung, dass Jesus den ersten und letzten Sinn von allem offenbart. Gottes Barmherzigkeit. Sie kommt und sie bleibt, wenn alles zusammenfällt. Amen.

Bischöfin Marianne Christiansen

Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev

Email: mch(at)km.dk