Vorsicht, zerbrechlich!

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Vorsicht, zerbrechlich! | Schulgottedienst zum Buß- und Bettag 2001 | Heiko Lamprecht/Hans-Georg Babke |

Eingangsmusik

Begrüßung

Lied

Anspiel:

Eine Gruppe von vier Personen steht zusammen und begutachtet die selbst hergestellten Tonarbeiten.

Person 1: Leute, da ist mir wirklich `was gelungen in der Therapie, ich bin echt stolz auf mich. Trotz allem Mist, den ich in der letzten Zeit erlebt habe. Schau mal, hast du schon jemals solch ein Windlichthaus gesehen? Hab ich eigenhändig geschaffen. Endlich zeigt es sich: Ich kann doch was. Ich bin was.

(betrachtet das Kunstwerk von allen Seiten. Dann, ganz nachdenklich:)

Wenn ich mir das angucke, sehe ich, was in mir steckt.

Person 2: Und mein Kunstwerk! Na…! Damit kann man sich doch wohl sehen lassen. Könnte ich glatt verkaufen. Tolle Idee, `was Praktisches zu machen. Schaut mal, ich kann mich doch sehen lassen. Oder?

(Während der Gegenstand gezeigt wird, stößt eine/r der Vier den Gegenstand aus der Hand und läuft weg und versteckt sich hinter dem Altar. Erschreckt ringen die Verbleibenden um Worte.)

Person 1: Haltet ihn. Der muss bestraft werden. Ganz klar, das war Absicht.

Person 3: Der will dich fertig machen.

(Alle drei beugen sich auf den Boden und heben die Scherben auf. Währenddessen geht das Gespräch weiter.)

Person 2: Person 3: Uns will er fertig machen. Weil er neidisch ist und sein Kunstwerk jämmerlich. Stimmt. Das soll er büßen. Das bleibt nicht ungestraft. Wir müssen uns rächen. Sonst denkt er, wir sind Weicheier.

Moderator: Moderator geht ins Bild (das eingefroren wird, dh. Schüler verbleiben in der Haltung, in der sie sich zum Eintritt des M. befinden.)

Ein Scherbenhaufen. Und drei erschreckte, wütende, aufgewühlte Leute. Eine Momentaufnahme. Was passiert in den Köpfen, in den Herzen der drei? Wie geht es wohl weiter?

Sicher habt ihr eure Gedanken und Vorschläge, was nun zu tun sei. Lasst uns einmal hören, was die Personen aus der Szene denken.

Moderator winkt Schüler 1 zu sich.

Moderator: Dein Kunstwerk ist zerstört.

Person 1: Ja, und das hat Folgen. Das gibt Zoff. Den erwisch ich und dann wird er schon sehen, was er davon hat. Das vergisst der nie.

Moderator: Das lässt dein Kunstwerk nicht wieder heil werden.

Person 1: Aber ich lass das nicht auf sich beruhen. Noch einmal passiert das nicht. Das wird ihm eine Lehre sein. Ich hatte das definitive Kunstwerk gemacht. So etwas schafft nicht jeder.

Moderator: Rache löst das Problem auch nicht.

Person 1: Soll ich mich von dem fertig machen lassen? – Der wollte uns gezielt treffen. Wir haben uns gefreut, hatten Grund stolz auf uns zu sein – im Gegensatz zu ihm.

Moderator: Und das ist ihm gelungen, oder?

Lied

Ansprache:

Liebe Schülerinnen und Schüler,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Töpferarbeit ist zu Bruch gegangen. Aber ganz offensichtlich nicht nur eine Töpferarbeit. Mit ihr ist anderes zu Bruch gegangen. Das neue Selbstwertgefühl des Jugendlichen. Der Stolz auf sich selbst. Der Gegenstand, von ihm selbst gemacht, drückte aus, was er konnte. Und was er konnte, das war er. Und mit einem Male brach alles zusammen. Seine Selbstsicherheit war in Frage gestellt. Das, was er sich mühsam aufgebaut hatte, erwies sich mit einem Schlage als zerbrechlich und fragil. So zerbrechlich wie die Tonarbeit. Durch einen einzigen Anschlag war mit einem Male alles zerbrochen.

Natürlich habt ihr die Anspielung sofort verstanden. Ähnlich ist es ja auch den meisten von uns ergangen. Durch den Terroranschlag in Amerika. Mit den vielen Tausend Toten . Das hat in uns ja auch Entsetzen und Erschrecken ausgelöst. Und vermutlich nicht nur die vielen Toten die Ursache. Die vielen anderen Toten in den Bürgerkriegsgebieten dieser Welt berühren uns in der Regel auch nicht sonderlich. Auch wenn natürlich jedes einzelne Leben einen unvergleichlichen Wert hat. Und absolut nichts die Vernichtung solch wertvollen, von Gott geschenkten Lebens rechtfertigen kann. Und wahrscheinlich sind wir auch nicht so sehr entsetzt darüber, dass zwei Hochhäuser zu einem Schutt- und Scherbenhaufen zusammen gesackt sind und ein weiteres beschädigt wurde.

Wir sind wohl vielmehr deshalb so entsetzt, weil diese Häuser für etwas anderes stehen, Symbole sind, die auf etwas dahinter Liegendes verweisen. Ausdruck unseres Lebensstils, unserer wirtschaftlichen und politischen Ordnung. Symbole für unsere Sicherheit, die diese Ordnungen uns garantierten, für die Sicherheit, in der wir uns wiegten. Und jetzt ist alles anders. Das, was so stabil und unumstößlich zu sein schien, der Lebensstil, in dem wir uns eingerichtet hatten, das alles erscheint nun höchst anfällig. Wie waren wir froh, dass ein Flugzeugabsturz mit über zweihundert Toten nur ein Unglück war.

Der Anschlag lässt uns ahnen: Das, was Menschen aufgebaut haben und das wir geneigt sind, auch mit Waffengewalt zu verteidigen, ist zerbrechlich, ist durch ein einziges Ereignis aus dem Gleichgewicht geraten. Wir sind aus dem Gleichgewicht geraten.

Woran liegt das wohl? – Vielleicht auch daran, dass wir uns zu sehr auf Vergängliches verlassen. Auf das Werk von Menschen. Auf uns selbst und unsere Leistungskraft. Kannst du was, dann hast du was, dann bist du was. So lautet in der Regel unsere Lebensdevise. Martin Luther hat einmal gesagt: „Woran du nun dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Und vielleicht hängt unser Entsetzen ja genau damit zusammen, dass wir unser Selbstwertgefühl und unsere Selbstsicherheit von dem her beziehen, woran wir unser Herz hängen. An Dinge und Gegenstände, die uns wichtig sind. An zerbrechliche, fragile Götter. Und mit der sichtbar gewordenen Zerbrechlichkeit unserer Götter steigt die Ahnung von der eigenen Zerbrechlichkeit in uns auf. Wirtschaftliche Wohlstandsverhältnisse, unser Lebensstil – die tragen nicht. „Du Narr!“, sagt Gott in dem Gleichnis Jesu vom reichen Kornbauern, der sich von seiner rastlosen Sorge um die Sicherung seines Lebens durch seine Arbeit, seine Ernte und seinen Reichtum befreit wähnt. „Du Narr!. Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“

Zeigt sich nicht auch in unserem übergroßen Erschrecken durch gerade diesen Anschlag, dass auch wir solche Narren sind? Narren, weil wir uns auf das verlassen, wofür die zerstörten Handelsgebäude in New York stehen?

Ich habe dagegen andere Menschen vor Augen. Menschen, die nicht daran zerbrochen sind, dass ihr eigenes Leben bedroht und in Gefahr war.

Da ist zum Beispiel Paulus, ein Mann aus der Bibel, der trotz mehrerer Anschläge auf sein Leben sagen konnte: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel, Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes.“

Ganz offensichtlich hat der einen ganz anderen, einen festen Grund unter seinen Füßen gefunden, der nicht zerbrechlich ist. Einen Grund, der uns Menschen durch alle Erfahrungen hindurch trägt und uns in allen Ängsten helfen kann.

Und da ist Dietrich Bonhoeffer, ein Widerstandskämpfer gegen den nationalsozialistischen Unrechtsstaat, der gesagt hat:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen

und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Der Mann, der diese Worte aufgeschrieben hat, hat sie an keinem besonders fröhlichen Ort verfasst. Er sitzt in einer Zelle im Gefängnis an jenem Silvesterabend 1944. Und seine Lage ist nicht besonders aussichtsreich. Und trotzdem sagt er auf seine Weise: Auf diese Grundlage baue ich, was immer auch kommt. Nichts kann mich fertig machen, weil mein Gottvertrauen unzerbrechlich ist. Auf Gott verlasse ich mich, auch in diesen schweren Tagen, in denen vieles zerbricht, ja, sogar mein Leben bedroht ist.

Seine Worte haben vielen Menschen Mut gemacht. Gerade auch Menschen, die vor Scherbenhaufen standen und traurig, wütend, enttäuscht waren. Und er hat sie daran erinnert, dass es eine gute Grundlage gibt, auf der wir stehen. Die Liebe Gottes ist unzerbrechlich.

Möge das Entsetzen, das die Schutt- und Scherbenhaufen in uns ausgelöst haben, ein heilsames Entsetzen sein. Heilsam insofern, dass wir keine Narren bleiben, sondern uns auf den Gott besinnen und auf ihn unser Vertrauen setzen, der nicht von Menschenhand gemacht ist und der unser fester Grund sein kann. Der Gott der Liebe, der uns gerade dann stark macht, wenn wir von uns aus schwach sind.

Amen

Lied

Gebet

Segen