Was ist Glück?

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Predigten zur EKD-Initiative – Was ist Glück? | Mai 2002 | Lutz Friedrichs |

Rabbi Chajjim
von Zans
pflegte zu sagen, dass die meisten Menschen hin- und herreisen,
immer im Kreis herum, auf der Suche nach Glück und der Jagd nach
Reichtum, und enttäuscht sind, wenn sie weder das eine noch das
andere finden. Vielleicht wäre es besser, wenn sie einmal anhielten
und dem Glück erlaubten, sie dort zu finden, wo sie sind.
[in: W. Wolf/R. Spennhoff (Hgg.): Zusammen wachsen, Neukirchen-Vluyn
und Stuttgart 1999, 128]

I.
Was ist Glück? Annäherungen an das Thema

Was ist Glück? Das 3. Plakat der EKD-Öffentlichkeitsinitiative
wird am 1. Mai geschaltet. Die Frage ist gesellschaftlich „dran“.
Einfach glücklich – Ohne Stress zum schönsten Gefühl
der Welt
titelt etwa der Fokus im März 2002 (Nr. 10, 4. März
2002). Der Artikel stellt das neue Buch des Dalai Lama: Der Weg zum
Glück
, Freiburg 2002, vor und stellt es in den Zusammenhang
gegenwärtiger Suche nach Glück. „Die meisten Menschen“,
so wird der Soziologieprofessor Alfred Bellebaum zitiert, „sind
Getriebene. Sie jagen nach Glück, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich
suchen.“ (65) Der Ausweg des Dalai Lama ist ein buddhistisch „spiritueller“,
der darauf ziele, so der Artikel, „Leid zu vermeiden“. Davon
abgesetzt wird die „christliche Philosophie“, wie sie etwa
Friedrich Hölderlin vertreten habe: „Leid adelt den Menschen.
Nur wer Leid erträgt, wird Glück erfahren.“
Der Artikel wertet an dieser Stelle nicht, sondern stellt Denkwege nebeneinander
– der christliche ist einer davon. Das spiegelt die gesellschaftliche
Situation. Was Glück ist, da hat jeder seine eigenen Vorstellungen.

Glück ist…

Fokus hat Prominente
gefragt. Deren Antworten zeigen anschaulich, wie unterschiedlich Glück
verstanden werden kann:

(1) „Glück
empfinde ich, wenn ich erreiche, was ich mir vorgenommen habe, wenn
ich mit meiner Arbeit zufrieden bin und nette, liebenswerte Menschen
mich umgeben. […] Ich fühle mich dem perfekten Glück
ziemlich nahe. Eigentlich fehlt mir nur eins: mehr Zeit.“ (Heinz
Winkler, Spitzenkoch)

(2) „Glück
heißt für mich: meine drei Kinder. Sind die drei glücklich
und zufrieden, dann bin ich es auch. […] Perfektes Glück?
Gibt es das? Jedenfalls weiß ich, was mir dazu fehlen würde:
ein starker Partner, an den ich mich anlehnen kann.“ (Gabriele
Blachnik, Modedesignerin)

(3) „Glück
– das sind Bruchteile von Sekunden, über ein Leben verstreut. […]
Perfektes Glück gibt es nicht, an Perfektion bin ich auch gar nicht
interessiert […]“. (Else Buschheuer, Autorin)

(4) „Ich bin
ein glücklicher Mensch“ (Allessandro Zanardi, Rennfahrer,
6 Wochen nach seinem Unfall, bei dem er beide Beine verlor).

Karl-Fritz Daiber
hat drei existentielle Dimensionen der Glücksfrage unterschieden:
Glück als Lebenssinn (Antwort 1 und 2), Augenblicke des Glücks
(Antwort 3) und Glück als Glücksfall (Antwort 4). Die Antwortvorgaben
des EKD-Plakats lassen sich dem in etwa so zuordnen: „Ein Ticket
für die Fußball WM“ spricht Glück als „Glücksfall“
an, ebenso die Gehaltserhöhung, für die man zwar arbeiten
oder kämpfen kann, die aber nicht selten doch zufallendes „Glück“
bleibt. „Wieder mal bei Oma Erdbeerkuchen essen“ spricht Glück
als „Erinnerungsaugenblick“ an, „Gesundheit“, die
nicht machbar ist, ist zufallendes Glück, gehört aber eher
in den Bereich „Lebenssinn“.
Es ist denkbar, diesen Antwortmustern entsprechend thematische Schwerpunkte
zu setzen. Reizvoll wäre es, dem Zusammenhang von Erinnerung, Kindheit,
Geborgenheit nachzugehen („Erdbeerkuchen“), vielleicht mit
einem Buch/einer Geschichte von Astrid Lindgren.

Wege zum Glück

Der vorliegende
Entwurf geht einen anderen Weg. Er versucht, die spirituelle Kraft des
christlichen Glaubens auf dem Hintergrund allgemeiner Glückssuche
in und mit der Anstößigkeit der jesuanischen Glücksvorstellungen
herauszustellen. Die Predigt konzentriert sich auf den letzteren Aspekt
und nimmt in kognitiv-reflexiver Weise an der „Debatte um das Lebensglück“
(Daiber 1990, 200) teil, die liturgischen Elemente des Gottesdienstes
hingegen versuchen, das „spirituelle“ Element in Form von
Gebet, Musik und Meditation einzuspielen. Glück ist, dass es mich
findet soll zum Ausdruck kommen.

„Glück
– jeder Mensch versteht etwas anderes darunter, aber für alle bedeutet
es die Erfüllung, das höchste Lebensziel. Alle jagen es, nur
ein Teil erlangt es, bei noch wenigeren bleibt es.“ (Fokus 64)
Die Frage nach dem Glück spitzt sich deshalb so zu: Was ist in
Wahrheit Glück? Wie werde ich wirklich glücklich?

Der Weg zum wahren
Glück ist strittig. Die biblisch-christliche Antwort ist dabei
nur eine unter anderen. Das ist das Neue, das Herausfordernde auch für
die evangelische Kirche: dass ihre Überzeugungskraft von der existenziellen
„Stimmigkeit“ ihrer Antwort abhängig ist.

Geld macht nicht
glücklich

Der Fokus-Artikel
verortet das Buch des Dalai Lama zu Recht in der „kaum zu überblickenden
Menge an pseudowissenschaftlichen Abhandlungen und bunten Ratgebern“
(64) zum Thema Glück. Im Trend liegt dabei der „spirituelle
Weg“, nicht zuletzt deshalb, weil auch statistisch nachweisbar
ist, dass mit der Zunahme materiellen Wohlstands das Gefühl, glücklich
und zufrieden zu sein, nicht mitwächst: „Obwohl das durchschnittliche
Jahreseinkommen in den vergangenen 46 Jahren von 1000 € auf knapp
19.000 € gestiegen ist, vervielfachte dies nicht die Zufriedenheit
der Deutschen. 1954 gaben 28 Prozent an, sehr glücklich zu sein.
Dieser Wert schwankt leicht, hat sich seitdem aber fast nicht verändert
– trotz höherer Löhne, kürzerer Arbeitszeiten, längerer
Urlaube, mehr Freizeit und einen besseren sozialen Absicherung.“
(66)

„Glücklich,
die da Leid tragen…“

Die Frage nach
Glück ist offensichtlich eine Frage nach innerer Zufriedenheit,
und eine Frage, wie die zu erreichen ist. Auffallend ist, dass auch
säkulare Ratgeberliteratur das Beten als Anleitung zum Glücklichwerden
empfiehlt oder gar zur „Demut“ anleitet, verstanden als „Verneigen
vor dem Göttlichen Prinzip und der Natur, das Achten und Ehren
von Mensch und Tier, das Wissen um den eigenen Platz im Gefüge
des Ganzen und das Kennen der eigenen Verantwortung.“ (Bauer, Angeline:
So finde ich mein Glück, Märchen zum Gelingen des Lebens,
Gütersloh 2002, 93)

Dieses religiös-spirituelle
Signum einer nach Glück suchenden Zeit provoziert geradezu, das
spezifisch christliche Profil von Glückssuche herauszustellen.
Der jesuanische Satz: „Glücklich, der da Leid trägt…“
mag auf den ersten Blick befremdlich sein, doch in ihm steckt existenzielle
Wahrheit. Daran erinnert auf seine Weise auch der Fokusartikel, weil
er die Frage nach Glück in den Horizont „überwältigender
Erfahrungen von Unglück“ (Daiber 204) stellt.

II. Gottesdienstentwurf

Dass Glück
zum Thema eines Gottesdienstes wird, ist eher überraschend. Daiber
spricht von einer eigentümlichen theologischen, insbesondere protestantischen
„Distanz zu Glücksvorstellungen.“ (Daiber 196) Auf diesem
Hintergrund wird die Absicht der Kampagne, sich existenziell angehenden
Sinnfragen der Menschen von heute zu stellen, noch einmal besonders
deutlich.

Das Thema der
EKD-Kampagne fällt kirchenjahreszeitlich in die Zeit von Rogate
(5. Sonntag nach Ostern, 5. Mai 2002) bis Trinitatis (26. Mai 2002).
Anschlüsse für einen Gottesdienst zum Thema sind am ehesten
an Rogate (Glück und Gebet) und Pfingsten (Heiliger Geist und Glück)
zu finden, gut denkbar ist Pfingstmontag mit seinem thematischen Schwerpunkt:
„Die Kirche des Geistes. Gottes Geist bringt Menschen zur Erkenntnis
der Wahrheit, führt sie zusammen und lässt sie ihre verschiedenen
Gaben entdecken“ (Agende I EKKW, 279).

Die Motive „Glück“
und „Baum“ (Psalm 1) haben bei vorliegendem Gottesdienstentwurf
die Auswahl der Lieder/Liedstrophen mitbestimmt.

Begrüßung

mit Hinweis auf Plakat und Thema des Gottesdienstes

Eingangsmeditation
„Wieder ein Morgen
ohne Gespenster
im Tau funkelt der Regenbogen
als Zeichen der Versöhnung
Du darfst dich freuen
über den vollkommenen Bau der Rose
darfst dich im grünen Labyrinth
verlieren und wiederfinden
in klarer Gestalt
Du darfst ein Mensch sein
arglos
Der Morgentraum erzählt dir
Märchen du darfst
die Dinge ordnen
Farben verteilen
und wieder
schön sagen
an diesem Morgen
du Schöpfer und Geschöpf
[Rose Ausländer, in: W. Wolf/R. Spennhoff (Hgg.): Zusammen wachsen,
Neukirchen-Vluyn und Stuttgart 1999, 128]

Gebet
Gott, wir danken dir
für diesen Morgen
und für deine Zeichen des Glücks:
den Tau,
den Regenbogen,
die Farben.
Wir danken dir,
dass wir sein dürfen,
wie wir sind,
oft unglücklich,
doch dann und wann
überglücklich,
beschenkt von deinem
Reichtum und deiner Gnade.
Amen.

EG 452,1-3
Er weckt mich alle Morgen

Psalm 1 – Meditationen
Nach einer Lesung von Psalm 1 in der Übersetzung von Martin Luther
(1984) folgen Meditationen zu Psalm 1, die mit Liedstrophen unterbrochen
werden. Die Lesungen sollten von verschiedenen Sprechern vorgetragen
werden. Sie können von Musik untermalt sein.

S1:
Psalm 1 – nach der Übersetzung Martin Luthers (1984)

kurze Pause

S 2:
Glücklich sind alle,
die der Macht Gottes trauen

und nicht erstarren
in errechneten Wahrheiten
und vordergründigen Sicherheiten.

Glücklich
sind alle,
die aus der Macht Gottes leben
bei Tag und bei Nacht
und einstehen
für alles,
was sie bewegt.

Glücklich
sind alle,
die nach der Macht Gottes suchen
und nicht zufrieden sind
mit Brot und Spielen
allein.

Sie alle sind glücklich
wie ein Baum
zwischen Himmel und Erde,
als Lebenstraum
unverwüstbar,
gespannt.
[Vera Sabine Winkler, in: Beratungsstelle für Gestaltung, Materialsammlung
für einen Dekadegottesdienst Ostern, Frankfurt/Main 1993, 26]

EG 503, 13

S 3:
glücklich
wie ein grünender Baum
genährt aus den klaren Bächen
der Wahrheit
sind alle
die sich mühen
um Gerechtigkeit
bei Tag und bei Nacht

doch wehe denen
deren Taten
nur Unrecht schaffen
sie vergehen
davon

glücklich
wie ein fruchtbarer Baum
gehalten in den bergenden Tiefen
der Liebe
sind alle
die sich sehnen
nach Barmherzigkeit
bei Tag und bei Nacht

doch
wehe denen
deren Herzen
nur Urteile sprechen
sie erkalten
davon

glücklich
wie ein uralter Baum
gestreckt in die lockenden Fernen
der Weisheit
sind alle
die sich üben
in Weitsichtigkeit
bei Tag und bei Nacht

doch
wehe denen
deren Blicke
nur Unheil sehen
sie verlöschen davon
denn
glücklich allein
sind alle
die aufrecht stehen
wie ein Baum
bei Tag und bei Nacht.
[Vera Sabine Winkler, in: der gottesdienst III: Die Psalmen, Gütersloh
1998, 18f]

EG 503, 14

Wie ein Baum,
der am Wasser steht
Alle:
Ich will wachsen und werden wie ein Baum,
der am Wasser steht.
Ganz viele Früchte wird er bringen,
und seine Blätter werden nicht welk.

S1:
Und denen, die nicht nur auf ihren Vorteil sehen,
denen nicht alles egal ist
und die nicht über Gerechtigkeit und Frieden spotten,
wird es ebenso ergehen.

S2:
Ja, die nach Gottes Willen leben
und tun, was dem Leben aller dient,
die werden Früchte bringen.

Alle:
Ich will wachsen und werden wie ein Baum,
der am Wasser steht.
Ganz viele Früchte wird er bringen,
und seine Blätter werden nicht welk.

S1:
Aber so wird es denen nicht ergehen,
die den Frieden brechen.
Sie bringen nur dürres Gras hervor,
das der Wind verstreut.

S2:
Sie richten sich selbst,
und wer ihnen vertraut, verfliegt im Wind.
Denn Gott ist bei denen, die den Frieden suchen;
andere Wege werden zu Sackgassen.

Alle:
ich will wachsen und werden wie ein Baum,
der am Wasser steht.
Ganz viele Früchte wird er bringen,
und seine Blätter werden nicht welk.
[nach Klaus Bastian, in: der gottesdienst III. Die Psalmen, Gütersloh
1998, 17f]

EG 503, 15

Lesung:
Die Seligpreisungen Mt 5

Credo

EG 322, 1-6
Nun danket all und bringet Ehr

Zur Predigt:
„Glücklich, die da Leid tragen…“

I. Möglicher
Einstieg

Liebe Gemeinde,
es ist nicht einfach zu haben. Menschen suchen es, machen sich auf den
Weg, jagen ihm nach. Und kaum haben sie es, ist es wieder entschwunden:
das Glück.
So ist es heute, und so war es schon damals, als noch Könige und
Fürsten das Sagen hatten. Einem bin ich kürzlich begegnet,
einem adeligen Glücksjäger: ein Schloss hat er gebaut, (Schloss
Branitz). Aber das Eis hat ihn berühmter gemacht: Fürst Pückler.
Ein Abenteurer, Lebemann, Gelehrter. Stets unterwegs, immer auf der
Suche nach Glück: ein faszinierender Mensch, mit einem wilden Leben.

II. Weiterer
Verlauf

Der Glücksjäger Fürst Pückler
Fürst Pückler lebte von 1785 bis 1871. Auch zum Thema Kirche
und Gottesdienst hat er seine Beobachtungen angestellt. In einem Brief
aus England schreibt er:
„Diesen Morgen ging ich in die Kirche, um fromm zu sein, es gelang
mir aber nicht. Es war alles darin gar zu nüchtern, und unästhetisch
[…] Auch die Predigt, welche ich vernahm, war, obgleich vorher ausgearbeitet,
und abgelesen, doch ganz versteinert und gehaltlos. Prediger könnten
wohl im allgemeinen viel wohltuender wirken, wenn sie den Schlendrian
verließen, immer nur Themata aus der Bibel zu wählen, und
diese lieber aus dem lokalen Leben und der menschlichen Gesellschaft
entnähmen, überhaupt statt Dogmatik die bei jedem Menschen
innewohnende poetische Religion mehr ansprächen …“ (Hermann
Fürst von Pückler-Muskau, Briefe eines Verstorbenen, I. Band,
insel taschenbuch 1219, 1991, S. 340f.)
Ich bemühe mich, vor diesen Maßstäben zu bestehen. Und
so habe ich auch nicht mit dem „Schlendrian“ begonnen, „immer
nur Themata aus der Bibel zu wählen“. Pückler rät,
„lieber aus dem lokalen Leben und der menschlichen Gesellschaft“
zu schöpfen. Dem folge ich und frage heute: Was ist Glück?

Dazu kann man
bei Pückler schon was lernen. Also bleibe ich noch ein bisschen
bei ihm. 1826 hatte sich Pückler einvernehmlich von seiner Frau
Lucie – genannt Schnucke oder auch Schnucki – scheiden lassen, um in
England eine mit einer großen Mitgift ausgestattete Braut zu freien
und auf diese Weise seinen riesigen Schuldenberg abzutragen. Das klingt
skurril, ist auch skurril, aber nicht untypisch für Pückler.
Die Englandreise findet statt:
„Der nimmermüde Freier“ schreibt ein Biograf, „absolviert
in acht Monaten nicht weniger als 1400 Morgenvisiten, … klopft an
jede Tür, die ihm geeignet scheint, besucht Bälle, Theateraufführungen,
Spielkasinos und sogar den grundhässlichen, schieläugigen
Herzog von Cumberland. (H. Ohff, Der grüne Fürst, Serie Piper,
200110, S. 135)
Und damit bin ich ganz dicht an dem, worum es geht. Denn Cumberland
empfängt Pückler mit dem deutschenglischen Satz: „Na,
da kommt ja der fortune-hunter.“ Der englische Begriff „fortune-hunter“
steht für Glücksjäger. Er steht aber auch für Mitgiftjäger,
was unter Beweis stellt, wie gut es der Cumberland, künftiger König
von Hannover, verstand, auf beleidigende Weise exakt die Wahrheit zu
sagen.

Pückler war
sein Leben lang auf der Jagd nach dem Glück. Er war ein Glücksjäger.
Wir alle sind Glücksjäger. Aber was ist Glück? Lassen
Sie uns gemeinsam Antworten finden!
Pücklers Antwort lässt sich nicht allein an seinem Leben ablesen.
In einem Brief von seiner Brautschau-Reise in England hat er einmal
ausdrücklich benannt, was für ihn das größte menschliche
Glück ist:
„Wenn ich die Ehre hätte“ – so schreibt er -, „der
ewige Jude zu sein (…), so würde ich ohne Zweifel einen großen
Teil meiner Unsterblichkeit auf der Landstraße zubringen, und
dies namentlich in England (…). Dazu, gestehe ich, geht es mir zum
Teil wie dem Doktor Johnson, der behauptete: das größte menschliche
Glück sei, in einer guten englischen Postkutsche mit einem schönen
Weibe rasch auf einer guten englischen Chaussee zu fahren“ (Ohff
142).
Dieses Glück hat er reichlich genossen, aber ist es wirklich das
größte menschliche Glück? Er kehrte jedenfalls ohne
reiche Braut in die Heimat zurück, behielt seine formell von ihm
geschiedene Schnucke und stürzte sich in neue Abenteuer.

Was ist Glück?
Die Antwort der Bibel
Wer Antworten der Bibel auf die Frage: „Was ist Glück?“
kennen lernen will, darf nicht nur nach dem Begriff „glücklich“
suchen. Die deutschen Übersetzungen gebrauchen neben „glücklich“
auch die Wörter „wohl“ und „selig“. Die bekanntesten
und vielleicht auch vielsagendsten Beispiele sind in der Lutherbibel
Psalm 1 und die Seligpreisungen Jesu.

Psalm 1 haben
wir vorhin in der Übersetzung Luthers gehört und weiter meditiert.
Er spricht davon, wer in der Welt wirklich glücklich zu nennen
und wessen Glück wirklich von Dauer ist:
„Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf
den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern
hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt über seinem Gesetz Tag und
Nacht! Der ist wie ein Baum …“

Die Seligpreisungen
Jesu klingen vermutlich schon deshalb fromm, weil das Wort „selig“
im allgemeinen Sprachgebrauch immer stärker auf den theologischen
und religiösen Bedeutungsgehalt eingeengt worden ist. Seligkeit
ist aber im Grunde nichts anderes als eine Art Steigerungsform von Glück.
Nicht nur bei Kindern kann man erleben, dass etwa ein wohlausgesuchtes
Geschenk überglücklich, eben selig machen kann. Um so erstaunlicher
ist es, wen Jesus überglücklich nennt, auch das haben wir
in der Lesung schon gehört. Ich erinnere, obwohl alle wichtig sind,
nur an zwei:
Selig – glücklich, überglücklich – sind, die da geistlich
arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig – glücklich, überglücklich – sind, die da Leid
tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Der gegenüber
Pückler andere Ton ist unverkennbar. Und auch wir sprechen so nicht
vom Glück.
Was die Bibel und mit ihr der christliche Glaube über Glück
und Seligkeit zu sagen haben, wird allerdings missverstanden und missbraucht,
wenn das irdische Glück – bis hin zu den guten englischen Postkutschen,
guten englischen Chausseen und den schönen Frauen – verachtet oder
madig gemacht wird. Jesus selbst wusste die Alltagsfreuden des irdischen
Glücks durchaus zu schätzen und musste sich von den damaligen
Frommen einen Fresser und Weinsäufer schimpfen lassen. Aber häufig
ist das irdische Glück nicht von Dauer. Oder was zunächst
wie Glück erscheint, erweist sich im weiteren Verlauf nur als der
Anfang eines großen Unglücks.

Diese Einsicht
ist Teil der Lebensweisheit in allen Kulturen und Völkern. Sie
bezieht sich auch auf alle Seligkeiten, die in der Welt und im menschlichen
Leben erreichbar sind. „Es reift keine Seligkeit unter dem Monde“,
ist bei Schiller zu lesen. Ein starker Satz: Es reift keine Seligkeit
unter dem Monde.

Biblische Worte
wie Psalm 1 oder die Seligpreisungen Jesu sprechen im Namen des Gottes,
der gekreuzigt wurde und den Tod durchlitt, eine Provokation aus. Wer
wirklich glücklich zu nennen ist, muss sich erst noch herausstellen;
auf Erden ist das menschliche Glück zwar nicht immer, aber häufig
unter dem Gegenteil verborgen: „Selig sind, die da geistlich arm
sind; denn ihrer ist das Himmelreich.“ Oder: „Selig, die da
Leid trage, Denn sie sollen getröstet werden.“

III. Mögliche
Konkretionen
Das Provokative der Seligpreisungen kann etwa so konkretisiert
werden:

1. Die Seligpreisung
der geistlich Armen kann mit dem kindlich-segensreichen Gottvertrauen
des „Sterntalermädchens“ (Märchen der Brüder
Grimm) erzählerisch veranschaulicht werden (siehe Anhang).

2. Die Seligpreisung
derer, die Leid tragen, zu konkretisieren, ist vom gesellschaftlichen
Kontext her naheliegend, aber nicht einfach.
In der jesuanischen Rede hatte sie ihre Kraft im performativen Akt:
im Zuspruch fand Seligpreisung im Horizont der nahen Gottesherrschaft
statt. Die Situation heute ist anders. Ich schlage eine „Alltagsszene“
vor, die Glück unter dem Aspekt von Trost in Unzufriedenheit thematisiert
und alle drei Dimensionen von Glück umfasst: den Augenblick (der
Entdeckung), den Glücksfall (einer Begegnung mit einer Glücksbringerin)
und Glück als Lebenssinn (auf dem Weg zur Zufriedenheit).

Seit über
einem Jahr besucht Frau S. eine ältere Frau, die unzufrieden ist.
Ihre Urenkel, 7 und 10 Jahre alt, hätten schon viel mehr erlebt
als sie in ihrer ganzen Kindheit und Jugend. „Wenn man sich anschaut,
was die Leute heute alles erleben, dagegen war unser Leben ja nichts.“
So, mit diesem Satz, gingen die Gespräche bisher zu Ende. Nach
einiger Zeit hatte Frau S. eine Idee: Ich werde ein Bild aus dem Album
meiner Mutter mitnehmen, und zwar ein Bild vom Familienausflug am Sonntag.
Und dann werde ich sie fragen, wie sie ihre Kindheit verlebt hat.
„Ja, Sonntagsspaziergänge, so die alte Dame, gab’s bei uns
auch. Wir sind immer auf die Felder gelaufen und dann durch den Wald
[…].“ Jede Woche hätten sie das gemacht, „Ja, manchmal
war das auch langweilig. […] Aber es war auch schön, irgendwie
war ich glücklich.“
Die, die immer gesagt hatte: “ … dagegen war ja unser Leben nichts!“,
entdeckt, erinnert nun, dass da auch bei ihr etwas war, viel sogar.
So viel, dass sie sogar sagen kann: „Später hat mir das immer
viel Ruhe, ja Kraft gegeben.“

Mir kommt Frau
S. vor wie ein Bote Gottes, ein Engel, eine Glücksbringerin. Es
gelingt ihr, etwas zum Klingen zu bringen, was der älteren Frau
„verloren“ gegangen war: Sie entdeckt, dass auch ihre Kindheit
etwa wert war, dass da Glück war, und das hilft ihr, zufriedener
zu werden. Sie hatte das Glück, jemanden zu treffen, der ihr half,
aus dem Teufelskreis der Unzufriedenheit auszubrechen, Glück bei
sich selbst, in ihrem Leben zu entdecken und so, auf diese Weise, Trost
zu erfahren: Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet
werden.

IV. Möglicher
Schluss

Fürst Pückler und die alte Frau: zwei Welten, keine Frage.
Und doch haben beide eins gemeinsam: Unzufriedenheit, die wie ein Teufelskreis
wirkt. Der eine jagt von Abenteuer zu Abenteuer, die andere hat sich
in ihrem Gefühl verschlossen. Glück ist, wenn wir da einem
begegnen, der diesen Kreis aufbricht, der uns erlaubt, „anzuhalten“
– einem Boten Gottes, oder Gott selbst.

Rabbi Chajjim
von Zans pflegte zu sagen, dass die meisten Menschen hin- und herreisen,
immer im Kreis herum, auf der Suche nach Glück und der Jagd nach
Reichtum, und enttäuscht sind, wenn sie weder das eine noch das
andere finden. Vielleicht wäre es besser, wenn sie einmal anhielten
und dem Glück erlaubten, sie dort zu finden, wo sie sind.

Ich glaube, dass
uns das – dann und wann – passiert: dass wir einem begegnen, der uns
erlaubt, in dieser Weise anzuhalten: Glücklich, überglücklich
die, die geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich; glücklich,
überglücklich die, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet
werden.
Was ist Glück? Bevor wir gemeinsam Antworten suchen, lasst uns
die Fragestellung bedenken und schärfen: Was ist in Wahrheit
Glück? Wer ist wirklich glücklich? Welches Glück
ist von Dauer? Welches Glück hat Bestand, auch im Tod und über
den Tod hinaus? Nur Antworten, die dieser Fragestellung standhalten,
werden tragfähig sein.

Amen.

EG 352, 1-4
Alles ist an Gottes Segen

Gebet
Wir sind so gewiss
und doch misstrauen wir unserer Sicherheit,
wenn es allein auf unsere Kraft ankommt.
Stehe unserer Gewissheit bei,
du Gott unseres Glaubens.

Wir sind so glücklich
und fragen dennoch nach der Dauer des Glücks,
wenn es allein auf unser Bemühen ankommt.
Beglücke unsere Leben und Zusammenleben,
du, Gott unserer Liebe.

Wir sind so erwartungsvoll
und werden doch ängstlich angesichts der Zukunft,
die wir ja nicht allein verantworten können.
Erneuere täglich unsere Erwartung,
du, Gott unserer Hoffnung.
[nach B. von Issendorf, in: der gottesdienst II: Das Abendmahl/Die Kasualien,
Gütersloh 1998, 246]

Vaterunser

Abkündigungen

EG 451, 5-10
Mein erst Gefühl

Segen
Als Segen kann EG 503,13-15 gesprochen werden

Musik

III. Anhang

Der wirkliche
Reichtum

Es war einmal ein
kleines Mädchen, dem waren Vater und Mutter gestorben, und es war
so arm, dass es kein Zimmer mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bett
mehr, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider
auf dem Leib und ein Stück Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiger
Mensch geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es von aller
Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf Gott hinaus. Da begegnete
ihm ein armer Mann, der sprach: „Ach, gib mir etwas zu essen, ich
bin so hungrig.“ Das Mädchen reichte ihm das ganze Stück
Brot und sagte: „Gott segne dir’s, und ging weiter.
Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: „Es friert mich so an
meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.“ Da
nahm das Mädchen seine Mütze ab und gab sie ihm.
Und als das Mädchen noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein
Kind und hatte keinen Pullover an und fror: da gab es ihm seinen; und
noch weiter, da bei ein Kind um einen Rock, den gab es auch von sich
hin.
Endlich gelangte das Mädchen in einen Wald, und es war schon dunkel
geworden. Da kam noch ein Kind und bat um ein Hemd, und das Mädchen
dachte: ‚Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst
wohl dein Hemd weggeben‘, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin.
Und wie das Mädchen so stand und gar nichts mehr hatte, fielen
auf einmal die Sterne vom Himmel und waren lauter silberne Taler. Und
ob das Mädchen gleich sein Hemd weggegeben hatte, so hatte es ein
neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es die Taler
hinein und war reich für sein Lebtag.
(Brüder Grimm)

Literatur: Daiber, Karl-Fritz: Von der Unmöglichkeit oder
auch Unfähigkeit, über Glück zu predigen. In: NZSTh 32
(1990) 195-206


Dr. Lutz Friedrichs
Leiter der Gemeinsame Arbeitsstelle
für gottesdienstliche Fragen der EKD (GAGF)