
Lukas 15,11–32
Predigten zur EKD-Initiative – Wohin wollen Sie eigentlich? (eine Erzählpredigt) | Lk 15,11–32 | Hans Theodor Goebel |
Ich gehe und weiß nicht wohin“ – stand auf dem Balken des alten
Bauernhauses.
Wohin wollen Sie eigentlich?
Eine Geschichte, die älter ist als das Bauernhaus, erzählt von Wegen,
die gegangen worden sind. Erzählt auch, wohin die Wege führ(t)en.
Ich will nacherzählen:
Ein Bauer in guten Verhältnissen hat zwei Söhne. Beide mit auf dem Hof.
Da sagt der jüngere zu ihm: Vater! Gib mir vom Vermögen meinen
Anteil. Wie er mir zukommt. Der Vater entgegnet ihm nichts. Er tut es.
Teilt, was er fürs gemeinschaftliche Leben erarbeitet und zusammengehalten
hat. Er gibt dem Sohn, der ihn bat, sein Teil. Nicht viele Tage danach
macht der alles zu Geld, nimmt es an sich und geht weg. Wohin?
Weg von zu Hause im Land Palästina. Weg vom Hof, auf dem er bisher
mit dem Vater und dem älteren Bruder zusammenarbeitete. Jetzt bricht
er auf in die Selbständigkeit. In eine der großen Handelsstädte
am Mittelmeer. Hier laufen Tag für die Tag große Schiffe
ein und aus. Hier werden Waren aus aller Herren Länder umgeschlagen.
Hier kann er sich mit dem Startkapital von zu Hause eine Existenz aufbauen.
Ein eigenes Unternehmen. Es zu mehr bringen als in den begrenzten Verhältnissen
auf dem Land.
So einen Aufbruch brauchen junge Leute heute – und unsere Gesellschaft
braucht junge Leute, die beweglich sind, Unternehmensgeist haben und
bereit sind, etwas zu wagen.
Der Weg des jüngeren Sohnes ist sein Weg in die selbst gewählte
Freiheit und Selbständigkeit.
Aber da ist die glitzernde Hafenstadt. Mit ihren Verlockungen. Wer Geld
hat, dem steht hier alles offen. Der junge Mann hat Geld. Und gibt es
aus für das, was ihn fasziniert. Leben auf großem Fuß.
Luxus. Genießen mit teuren Frauen. Dazu Schmarotzer, die sich
dran hängen. Immer ein Tross, der ihm applaudiert. Sonst ist nichts.
Bestechend und doch „heil-los“, wie er da lebt. Irgendwann
ist das Geld ausgegeben. Das ganze Vermögen. Aufgebaut hat er nichts.
Er hat nichts mehr. Jetzt merkt er grausam, wie allein er ist. Sehr
einsam. Dazu ist die Zeit teuer. Hunger herrscht im Land. Er war aufgebrochen
in die Selbständigkeit und geht nun hin und hängt sich
in seiner Not an einen, der Landwirtschaft betreibt. Leben auf dem
Bauernhof kennt er ja. Ob er sich da nicht sein Brot verdienen kann?
Der Landwirt schickt ihn schließlich zum Schweinehüten auf
seine Felder. Er lässt ihn arbeiten, aber er gibt ihm nichts zu
essen. Elende Abhängigkeit ohne jeden Schutz. In Zeiten der Not
kann man die Habenichtse umso besser ausnutzen. Die Schweine, die er
hütet, bekommen die Schoten vom Johannisbrotbaum zu fressen. Wie
gerne würde er sich wenigstens mit diesem Schweinefutter den Bauch
voll schlagen. Aber man verwehrt es ihm.
Der junge Mann war aufgebrochen nach draußen, in die Fremde,
in die Freiheit eines selbst bestimmten Lebens. Und ist nun angekommen,
wo er nichts, gar nichts mehr reißen kann. Ganz unten.
Da – hungrig mitten unter den Schweinen – tritt er einen anderen Weg an. Er geht in sich.
In seiner Erinnerung taucht das Bild seines Vaters auf. Wie viele Tagelöhner
hat mein Vater auf seinem Hof und die erhalten Brot im Überfluss.
Ich aber – denkt der Junge – komme hier um vor Hunger. Einst war ich
da zu Hause, sagt er sich vielleicht. Aber das ist ja vorbei. Ich will
mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich
habe gefehlt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert,
dein Sohn genannt zu werden. Halte mich wie einen deiner Tagelöhner.
So geht der Junge in sich und ist nun angekommen bei dem Entschluss,
umzukehren zu seinem Vater und ihm seine Fehler zu bekennen.
Den Entschluss setzt er um in die Tat. Das ist noch einmal ein neuer Schritt aus seinem
Inneren heraus. Er macht sich tatsächlich auf und geht den Weg
zurück zu seinem Vater. Ich kann mir denken, wie seine Schritte
immer langsamer werden, je näher er dem Vaterhaus kommt. Immer
schwerer. Der Weg der Umkehr geht sich nicht so leicht. Wie wird
sich der Vater verhalten?
Der aber hat wohl schon nach ihm ausgeschaut. Jedenfalls sieht er ihn, wie er noch weit
weg ist. Es jammert ihn. Sein Herz ist ganz Erbarmen. Da läuft
er. Ein ungewöhnliches Bild. Der betagte Orientale in seinem langen
Gewand läuft. Das ist doch unter seiner Würde. Aber er tut
es. Er läuft diesem seinem Sohn entgegen. So läuft der Weg
des Vaters. Sein Entgegenkommen. So kommt er bei dem Zurückkehrenden
an und fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Das ist das Erste,
bevor überhaupt Worte fallen. Worte hatte der Sohn sich vorgenommen.
Die sagt er dann auch. Die Umarmung öffnet ihm den Mund: Vater,
ich habe gefehlt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert,
dein Sohn genannt zu werden. Weiter kommt er nicht. Denn nun redet der
Vater. Ruft seinen Knechten zu: Schnell, bringt das Festgewand und den
Siegelring und Sandalen. Zieht das alles meinem Sohn an.
So weit reicht das Entgegenkommen des Vaters. Er setzt den Sohn, der
alles verspielt hatte, wieder ein – nicht als Tagelöhner, nein
als seinen Sohn. Mit allen Ehren.
Und schlachtet schnell das gemästete Kalb – ruft er den Knechten
zu. Lasst uns essen und fröhlich sein. Denn dieser mein Sohn, war
tot und ist wieder lebendig geworden. Er war verloren und ist wieder
gefunden worden. So unbändig freut er sich darüber und alle
müssen mitfeiern.
Noch einer geht einen Weg. Der ältere Sohn. Er hat den Tag über auf dem
Feld gearbeitet und jetzt, am Abend kommt er zum Haus und Hof des Vaters.
Das ist sein Zuhause, hier ist er geblieben und macht die Landwirtschaft
mit dem Vater. Näher kommend hört er Musik und Tanzen. Er
fragt einen der Hofknechte, was denn da los sei. Und der sagt es ihm:
Dein Bruder ist nach Hause zurückgekommen und dein Vater hast das
Mastkalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder hat.
Wie er das hört, packt den Älteren der Zorn – richtig die
Wut. Dieses Fest will er nicht mitfeiern, will nicht hineingehen.
Da geht sein Vater zu ihm hinaus und bittet ihn.
Zum zweiten Mal in dieser Geschichte geht der Vater. Wie er vorhin dem
jüngeren Sohn entgegengelaufen ist, so geht er jetzt zu dem älteren
hinaus. Und bittet ihn. Auch hier fragt er nicht nach seiner Würde.
Auch diesem älteren kommt er entgegen. Bei ihm in seinem
Zorn will er ankommen.
Der Zorn entlädt sich in der Gegenrede des Sohnes: Solange mache
ich hier auf dem Hof die Arbeit für dich. Immer habe ich dir gehorcht.
Geschuftet ohne Ende. Und du hast mir nicht mal ein Ziegenböckchen
gegeben zum Grillen, niemals ein Fass aufgemacht zum Feiern mit meinen
Freunden. Und jetzt ist dieser dein Sohn gekommen. Der ältere sagt
nicht: mein Bruder, er sagt zum Vater: dieser dein Sohn,
der das, was du für unser Leben erarbeitet und zusammengehalten
hattest, mit Huren verschleudert hat.
Und du – du hast ihm noch das Mastkalb geschlachtet. Und machst ihm
so ein Fest. Das verdient der doch nicht. Das kommt gerade dem doch
gar nicht mehr zu.
Bitter ist der ältere, er bebt in seinem Zorn. Er sieht nur Ungerechtigkeit des
Vaters. Der aber sagt: Kind! – Du bist doch allezeit bei mir. Und alles,
was mein ist, ist dein.
Weiß der das nicht?
Und der Vater sagt ihm: Es war doch einfach nötig, fröhlich zu sein und sich
zu freuen, weil dieser dein Bruder tot war und ist lebendig geworden,
verloren war und ist gefunden worden. Dieser dein Bruder – sagt
der Vater. Er spricht dem älteren Sohn den jüngeren neu als
Bruder zu.
Alles, was mein ist, ist dein – auch dein Bruder, der verloren war und
jetzt gefunden ist. Ich hab ihn wieder als meinen Sohn und schau: Da
hast du wieder deinen Bruder.
Das muss doch einfach gefeiert werden. Und du musst dabei sein. Mitfeiern
und dich freuen. Du mein Kind. Komm doch herein! Trink doch einen mit!
Ob der ältere der Einladung des Vaters gefolgt ist, den Weg hineingegangen
ist – zum Fest?
Wege sind gegangen worden in dieser Geschichte:
-
Der Weg des jüngeren Sohnes in die Freiheit und endete in Abhängigkeit und Elend.
-
Der Weg, auf dem er dann in sich ging und erinnerte sich seines Vaters und erkannte seinen Fehler.
-
Der Weg seiner Umkehr zum Vater.
-
Das Laufen des Vaters, der ihn vom weitem sah, sein Entgegenkommen über alle Maßen.
-
Der Weg des älteren nach Hause – und wollte aus Zorn und Bitterkeit nicht hineingehen zum Fest der Freude, das der Vater für den gefunden Sohn hatte ausrichten lassen.
-
Und der Weg des Vaters, als er das Fest verließ zu ihm hinausging, und kam auch ihm entgegen und bat ihn: Ist es nicht nötig, dass du mitfeierst und dich freust? – Ob der ältere dann den Weg hineinging zum Fest?
Jesus hat solche Geschichten erzählt, um den Menschen zu sagen: So geht es zu im
Reich Gottes. Wie in dieser Geschichte. So seid ihr dran mit Gott.
Wo Jesus, der Christus mit dieser Geschichte heute bei uns ankommt –
und ich hoffe darauf, indem ich nacherzähle – greift das Reich
Gottes auf uns über. So wie der Vater dem jüngeren Sohn, der
sein Leben verfehlt hat und zu ihm umgekehrt, um den Hals fällt.
So wie er den älteren bittet: Freu dich doch mit.
Ich könnte auch sagen: So wie die Wege in dieser Geschichte sind
Lebenswege, die wir gehen und gehen können: Wege, auf denen wir
fehlen und scheitern und Wege in uns selbst hinein, und Wege der Umkehr,
und andere Wege der Bitterkeit und des Neids.
Und so wie Wege in dieser Geschichte sind Wege, auf denen uns Gott entgegenkommt
wie der Vater und vergibt über alle Maßen und freut sich,
dass er uns Verlorene wieder hat und kommt uns darin entgegen, dass
er uns bittet, hineinzukommen in seine Freude über die anderen
Verlorenen, die er wieder hat.
Lassen wir uns einladen – die Wege zu gehen, auf denen er uns entgegen
kommt? Den Weg der Umkehr zu ihm und den Weg hinein in die Freude.
Wohin wollen Sie eigentlich?
Martin Luther hatte in der Inschrift an dem alten Bauernhaus gelesen:
Ich komme und weiß nicht woher.
Ich gehe und weiß nicht wohin.
Mich wundert, dass ich noch fröhlich bin.
Luther soll dann umgedichtet haben:
Ich komme und weiß wohl woher.
Ich gehe und weiß wohl wohin.
Mich wundert, dass ich noch traurig bin.
Wo Jesus uns erzählt – und ich hoffe darauf – wo er uns so eine Geschichte
erzählt wie die von den Wegen des Vaters zu uns und von unseren
Wegen zum Vater entzieht er der Traurigkeit Grund und Boden.
Amen.
(Die Geschichte lässt sich nachlesen im Lukasevangelium Kapitel 15 Verse 11-32.)
Literatur:
· Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur
Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, Tübingen
19642, 135-142; 160-164.
· Georg Eichholz, Gleichnisse der Evangelien. Form, Überlieferung,
Auslegung, Neukirchen-Vluyn 1971, 200-220.
· Denk mal nach
mit Luther. Der Kleine Katechismus – heute
gesagt, hg. v. Kirchenkanzlei der EKU, Gütersloh 1989, 85.
Hans Theodor
Goebel (Köln)
E-Mail: HTheo_Goebel@web.de