1. Johannes 3, 1-6

1. Johannes 3, 1-6

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


1.
Weihnachtsfeiertag

25. Dezember 1999
1. Johannes 3, 1-6


Ulrich Nembach


Liebe
Gemeinde,

„Gelobet seist Du, Jesu Christ, daß Du Mensch geboren
bist….“, sangen wir eben. Nachher werden wir stehend singen „O, du
fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit. Andere singen
„Go tell it on the mountains all, over the hills Jesus Christ is
born.“ Zahlreiche Chöre singen „Lasset uns gehen nach
Bethlehem“. Manche singen deutsch wie Bach in seiner Kantate, andere
lateinisch „Transeamus usque Bethlehem“. Manche nehmen den Satz
wörtlich und fahren nach Bethlehem. Andere holen sich Bethlehem bzw. die
Krippe in ihre Kirche oder nach Hause unter den Tannenbaum. Manche Kirchen wie
die St. Johanniskirche in Göttingen bauen gleich eine ganze Ausstellung
von Krippen auf und singen auch. Wir sind ganz eifrig zu Weihnachten.

Weihnachten ist ein fröhliches Fest. Was heißt
eigentlich „fröhlich“ und wie geht es weiter? Ich meine nicht
die nächste Party oder die Megafete in 7 Tagen zur Jahrtausendwende. Ich
habe die Fragen grundsätzlich gestellt, ich könnte auch sagen: Was
geschieht am 3. Januar 2000 nach unserem Weihnachtsfest? Andererseits hilft der
Wechsel von einem Jahrtausend zum nächsten uns bei anderen Fragen.
Jedenfalls helfen will uns der heutige Predigttext. Er liegt etwas abseits im
Neuen Testament wie viele Predigttexte in dem gerade begonnenen Kirchenjahr.
Wahrscheinlich hören wir darum heute beim Lesen des Textes genauer zu als
sonst. Mir erging es jedenfalls so.

Verlesung des Textes: 1. Joh. 3,1-6

Der Text macht 2 Aussagen. Er spricht zunächst von der Liebe,
von Gottes Liebe zu. uns, und dann spricht er von den Konsequenzen der Liebe
für uns. Um was geht es eigentlich zu Weihnachten? Und wie geht es weiter,
was sind die Konsequenzen?

I.

Weihnachten meint das Kind, das Kind in der Krippe. Es ist klein,
so klein, daß wir es oft gar nicht sehen. Selbst wer genau hinschaut,
sieht es nicht vor Ochs und Esel, auch wegen Maria und Josef, die groß in
der Krippe stehen.

Wir bauen unsere Krippen so, daß die Nebenfiguren groß
und das Kind, die Hauptfigur, klein wird, daß Jesus kaum zu sehen ist.
Uns fällt dieser Bauplan der Krippen nicht einmal auf. Wir bauen
nämlich unser Leben genauso.

Unwichtiges nehmen wir wichtig und Jesus, den Gottes Sohn,
schieben wir an den Rand, auf die Sonntage des Jahres ab. Dabei wollen die
Krippen ursprünglich nicht unseren Alltag spiegeln, sondern das Kind als
Ausdruck der Liebe Gottes herausstellen. Gott liebt uns. Er liebt uns so sehr,
daß er uns nicht allein läßt. Er vertraut uns seinen Sohn an,
schickt ihn in unsere Mitte.

Wir sind sehr vorsichtig, ja zögerlich, wenn wir jemanden
etwas anvertrauen. Eltern überlegen, fragen hier, fragen dort, bevor sie
ihren Sohn, ihre Tochter zum Schüleraustausch ins Ausland reisen lassen.
Der Sohn, die Tochter ihrerseits erkundigen sich bei Mitschülern nicht
weniger genau.

Wir sind sehr vorsichtig, ja zögerlich, wenn wir jemandem
unsere Firma, unseren Hof, unsere Bibliothek, unser Lebenswerk anvertrauen.
Hier gibt es keine Unterschiede zwischen Bauern, Handwerkern,
Mittelständlern, Professoren. Gott übergibt uns seinen Sohn, macht
ihn zu einem von uns und damit uns zu seinen Kindern. Wir sind – so
könnte man sagen – quasi Mit-Erben Gottes. So nennt uns direkt Paulus
(Röm. 8,17; vgl. auch Eph.3,6; 1. Petr. 3,7) So sehr liebt uns Gott. Es
ist darum richtig, wenn wir Weihnachten ein Licht anzünden, ja einen
ganzen Lichterbaum. Freude ist angesagt, fröhliche Lieder werden gesungen.

Über den allen dürfen wir nicht vergessen, daß die
Weihnachtsgeschichte bewußt ganz unspektakulär beginnt. Gott schickt
seinen Sohn zu uns, in unseren Alltag. Ein Paar sucht eine Unterkunft
wenigstens für eine Nacht, kein Hotelbett ist frei. Es ist Hochsaison. Es
bleibt nur ein Stall. Dort muß die Frau gebären. Keine hygienisch
reine Klinik, keine Schwestern, kein freundlicher Arzt. Die Frau hat keine
Erfahrung. Es ist ihre erste Geburt. Josef hat keine Zeit, aufgeregt
irgendwelche Flure auf- und abzulaufen. Dann geht die Geschichte aber ganz
anders weiter. Ein Engel erscheint und dann ein ganzer Chor. Sie singen:
„Gloria in excelsis deo!“ „Ehre sei Gott in der Höhe“.
Wir singen seitdem diesen Vers in unseren Gottesdienst auf Deutsch oder Latein.

Höhe meint, Gott überblickt alles und hat alles in
seiner Hand. „He hold the whole world in his hand.“ Höhe meint
nicht einen Himmel im Sinne einer alten, überholten Vorstellung von der
Welt. Dieser Gott, der alles in seiner Hand hat, schickt uns seinen Sohn, und
lädt uns durch ihn ein, mit seinem Sohn zusammenzuleben. Das meint
Weihnachten.

Der Unterschied zu dem, was wir sonst erleben, ist kaum
größer denkbar. Die Weihnachtsgeschichte weist auf diesen
Widerspruch hin. Ein Stall, ein Chor der Engel und gleich davor noch nennt sie
den Kaiser Augustus. Ein Ausleger, Stuhlmacher (in Züricher-Kommentar
z.St.) spricht von „feiner Ironie“. Augustus, der Kaiser in Rom, der
mächtige Herrscher, führt ein neues Steuersystem ein, um die Leute
besser, d.h. härter zur Kasse bitten zu können. Und durch diesen
Befehl kommt es dazu, daß Jesus in Bethlehem geboren wird. Gott benutzt
den großmächtigen Kaiser für seine Zwecke. Und – gleich
eine weitere Ironie, die die Leser zu Lukas Zeit sehr gut verstanden –
Augustus ließ sich gern „Weltheiland“ nennen. Er, Augustus,
muß dafür sorgen, daß der wahre Weltheiland in der Stadt
Davids geboren wird.

II.

Unser Predigttext formuliert diese Tatsache auf gut biblisch. Wir,
Sie liebe Gemeinde und ich, kennen die biblische Sprache gut, vielleicht so
gut, daß wir sie schon überhören. Unser Predigttext stellt die
Bedeutung von Weihnachten heraus, indem er auf die Konsequenzen hinweist. Die
entscheidende Konsequenz ist, wie der Text sagt, die „Sünde“.
Damit ist alles das gemeint, was unsere Zeitung füllt, Krieg gegen die
eigene Bevölkerung in Jugoslawien, in Tschetschenien und anderswo,
Politikskandale in Deutschland und anderswo. Diese Sünde ist so
alltäglich, daß wir längst mit ihr umzugehen gelernt haben. So
entrüsten wir uns und verweisen auf die anderen, die jeweils anderen mit
deren Skandalen. Aber so billig geht es nicht. Der Predigt nennt deshalb
Sünde auch Gesetzlosigkeit. Sie ist der Gegensatz von Gerechtigkeit. Sie
hat mit jener nichts gemein. Die Krimis im Fernsehen meinen das Problem dadurch
zu lösen, daß die Handschellen am Ende klicken. Goethes Faust geht
hier tiefer. Gretchen liebt Faust. Sie liebt ihn mit Hingabe. Sie tut alles
für Faust. Schließlich landet sie im Gefängnis. Faust gelingt
es mit Hilfe des Teufels ins Gefängnis hineinzukommen und mit Gretchen zu
sprechen. Er will sie befreien. Sie will nicht. Sie bleibt lieber im
Gefängnis, obwohl sie dort der Tod erwartet. Sie ruft, sie schreit:
„Gericht Gottes! dir hab‘ ich mich übergeben! … dein bin ich,
Vater! rette mich!.“ Gericht – Rettung. Zwei Gegensätze. Gericht
für Gesetzlosigkeit, Rettung für Hilfe, Liebe.

Gott selbst kann nur helfen. Faust beklagt den Gegensatz der Welt.
Er lebt in beiden, möchte in beiden Welten leben, wenn er auch
darüber beredt klagt: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner
Brust.!“ Aber auch er, Faust, muß am Ende erkennen, daß nur
Liebe ihn rettet.

Wie geht es nach Weihnachten weiter? Was sind die Konsequenzen
fragten wir vorhin. Die Antwort ist: Die Liebe von Weihnachten, von damals in
der Krippe, wirkt weiter. Gott vergißt uns nicht. Jesus vergißt
seine Brüder und Schwestern nicht. Daran dürfen und können wir
uns halten, wenn wir wieder einmal tief in die Gesetzlosigkeit hinabgerutscht
sind. Gott hält die ganze Welt in seiner Hand mit Liebe.

Unser Predigttext beginnt mit den Worten: „Seht, welch eine
Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder heißen
sollen – und wir sind es auch!

Amen

Lieder: Gelobet seist du Jesu Christ. O, du fröhliche

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen
E-Mail: unembac@gwdg.de

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