1. Könige 8,11-14.26-18

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1. Könige 8,11-14.26-18

Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Himmelfahrt
13. Mai 1999
Predigttext: 1. Könige 8,11-14.26-18
Verfasser: Prof. Dr. Axel Denecke

I
Himmelfahrt – das ist bei Lichte betrachtet wohl das
merkwürdigste, verrückteste und zugleich auch
spannendste Fest der Christenheit. Jesus – nach der
altchristlichen Tradition gerade vom Tode erstanden – ist
40 Tage nach Ostern wieder abhanden gekommen. Ist
entschwunden, hat sich verflüchtigt. Christus ist weg
aus dem Leben, aus dem sichtbaren Leben. Gott ist weg. Wo
ist Gott? Oben im Himmel? Christus „sitzend zur
Rechten Gottes“? Doch wo ist der Himmel? Wo ist
Gott? Wo ist Christus? In meinem Leben? Merkwürdig –
verrückt – und spannend zugleich.

II
Das war nicht erst zur Zeit Jesu so, das war schon 1000
Jahre vorher so, zur Zeit des Königs Salomo. Wo ist
Gott? Ich sehe ihn nicht! Die klassische jüdische
Antwort lautet: Du brauchst ihn gar nicht zu sehen. Sehen
kannst du ihn sowieso nicht. Aber er zieht mit dir in
deinem Leben. Er ist vor dir, hinter dir, über dir,
unter dir, in dir. „Ich bin schon bei dir, auch wenn
du mich nicht sehen kannst“, hat er gesagt.
„Ich will in deinem Leben, in eurem Leben bei euch
sein, ohne daß ihr mich festhalten, festnageln könnt –
siehe hier, siehe da.“ Doch reicht das aus?
Das Volk Israel drängt den König Salomo, endlich einen
Tempel zu bauen. „Damit wir ganz genau wissen: Hier
ist Gott! Hier ist sein heiliger Ort!“ Und Salomo
tut’s. Mit viel Einsatz. Endlich ein prächtiger Tempel.
Ein großes Einweihungsfest. Eine feste Burg, steinern
dahingestellt, da soll Gott seine Wohnung haben, da soll
er Platz nehmen. Der heilige Ort, das Allerheiligste auf
Erden. Doch dann hat Salomo seine Zweifel. „Sollte
Gott wirklich auf der Erde wohnen?“ Kein Haus auf
der Erde kann ihn fassen und sei es noch so prächtig.
Alle Himmel können ihn nicht fassen. Und Salomo
verläßt sein ganzer Mut. Was hab‘ ich bloß gemacht,
als ich mir einbildete, Gott in den Griff zu bekommen,
als ich dies prächtige Haus, den Tempel baute. Und er
erhebt seine Hände gen Himmel, starrt mit erhobenen
Händen nach oben. Wo ist / wohnt Gott?

III
Das war nicht nur zur Zeit des Königs Salomo so, das war
auch noch so 1000 Jahre später. Als die Jünger in der
Gemeinschaft mit Jesus lebten. Da hatten sie das Gefühl,
Gott war leibhaft unter ihnen, neben ihnen, zum Anfassen
nah. Eine wunderbare Erfahrung. Und dann – Karfreitag,
Ostern, 40 Tage später – war es auf einmal vorbei, wie
ein Spuk vorbei. Jesus ist abhanden gekommen, Gott ist
abhanden gekommen. — Die Phantasie der Maler will es
ganz genau wissen. Die Fußstapfen Jesus werden
abgebildet. Das bleibt zurück, doch er ist weg,
himmelweltenweit weg. Zurück bleiben die Jünger.
Allein, verlassen. Starren entsetzt und verzückt
zugleich in den Himmel – wie Salomo 1000 Jahre vorher. Wo
ist / wohnt Gott?

IV
Und das ist natürlich auch heute unsere Frage. Wo ist
Gott? Wir suchen ihn in Tempeln und Kirchen. Wir suchen
ihn in der Bibel. Wir suchen ihn im Gebet. Wir suchen ihn
im Gespräch. Wir suchen ihn in unseren
Lebens-/Glaubenserfahrungen. Wir suchen ihn in frommen
Vorbildern. Manchmal scheinen wir ihn erhascht zu haben,
aber dann entschwindet er wieder. Ist nicht zu bannen,
gar festzuhalten, ist immer wieder weg, ist immer wieder
woanders. Oft versteckt, ein dunkles Geheimnis. Gott
verbirgt sich uns. Nicht zu fassen. Und dann starren wir
wieder nach oben – oder auch nach unten, oder auch nach
innen – und fragen: Wo ist Gott? Wo ist er in meinem
Leben?
Diese Frage läßt uns nicht los, läßt uns ein Leben
lang nicht los. Seit Salomos Zeiten, seit Jesu Zeiten,
seit allen Zeiten. Kein Mensch ist fertig mit dieser
Frage. Sie nagt an uns. Ja natürlich, man kann sie
verdrängen, auf Zeit, aber ausschalten kann man sie
nicht. Irgendwann holt sie uns wieder ein, kommt aus dem
Untergrund, dem Unterbewußten wieder hervor. Spätestens
bei einem besonderen Schicksalsschlag im Leben. Da meldet
sich die Frage: „Wo ist Gott?“ Dann ist sie
wieder da, und wir stehen da wie einst Salomo und die
Jünger. Und starren nach oben, nach unten, nach innen.
Und da ist es oft leer und dunkel, so wie bei Salomo.
„Sollte Gott wirklich auf der Erde, an diesem Ort,
wohnen, hier oder da?“ Wo ist Gott? Die alte Frage
nach Gott. Und keine befriedigende Antwort da. Und dann
noch schlimmer: Die alte „Warum“-Frage, die in
uns nagt, die auch vor uralten Zeiten schon in Hiob
nagte. „Warum, oh Gott, hast du das zugelassen?
Warum bloß scheint immer das Böse zu siegen? Warum muß
es den sinnlosen Krieg geben? Und wo ist Gott? Warum dies
alles?“ Und keine befriedigende Antwort da. Schwer
auszuhalten ist dies. Es ist aber so. Und wir starren und
fragen und suchen und finden keine Antwort, die uns
schnell befriedigt.

V
Weil viele es nicht aushalten, hier keine schnell
befriedigende Antwort zu erhalten und weil die Frage sie
doch elementar und exentiell berührt, suchen sie rasch
nach Ersatzantworten. Sie erklären die Bibel kurzerhand
frisch und frei für unrealistisch und erfinden ihre
Realität selbst. Und der bleibende dunkle Fleck wird mit
wissenschaftlichem Aberglauben ausgefüllt. So wie es bei
dem Astronautenforscher von Däniken besonders schön
anschaulich wird. „Wenn wir einmal den technischen
Stand der Astronautengötter erreicht haben, dann werden
wir zu den Sternen zurückkehren“ schreibt er, und
viele glauben ihm hingebungsvoll. 30 % der Deutschen
glauben an Horoskope, 40 % an Sternweisungen, 50 % an
Kartenlegen – habe ich gelesen. Die
Himmelfahrtserzählung der Bibel ist sicher nicht
unglaubwürdiger oder unrealistischer als all die
Horoskope oder die Erzählungen des Astronautenforschers
von Däniken. Der dunkle Fleck, die Frage: „Wo ist
Gott?“ muß irgendwie beantwortet werden. Denn sie
nagt doch in uns, ist nicht totzukriegen. Wo ist Gott? Wo
finden wir ihn? Suchen tun wir ihn, das ist klar. Doch wo
können wir ihn finden? In den Horoskopen, in den Karten,
in den Sternen? Oder doch in den altmodischen biblischen
Texten?

VI
Ich versuche Ihnen eine doppelte Antwort zu geben, so gut
wie ich eben Antwort geben kann. Eine negative und eine
positive Antwort.
1. Die negative Antwort zunächst: Wir können Gott –
siehe Salomo, siehe die Jünger – nicht festbannen. Siehe
hier, siehe da ist er. Er entzieht sich uns immer wieder.
Können nicht sagen: So ist er! Da ist er! Da ist er ganz
bestimmt! Schon wenn wir’s sagen, stimmt es nicht mehr.
Denn er entzieht sich uns immer wieder. Gerade das erfuhr
Salomo, als er Gott im so wunderschönen Tempel ‚festnageln‘
wollte. Gerade das erfuhren die Jünger, als sie meinten,
der Herr sei immer leibhaft unter ihnen. Gott läßt sich
nicht festnageln, festlegen. Das mag schmerzlich sein.
Aber so ist es. Und gut, ja heilsam, dies zunächst zu
akzeptieren, sich dadurch nicht irre machen zu lassen.
2. Doch nun die positive Antwort. Ich erzähle Ihnen
einfach ein paar Gleichnisse, Erfahrungen von Menschen,
die meinen, Gott – wie einen Blitz – aufleuchten gesehen
zu haben. Wie ein Blitz – wie ein Traum – wie eine
Sternschnuppe, siehe hier, siehe da – ganz real, und doch
nicht zu fassen. Wer Ohren hat, der höre.
a) „Es waren einmal zwei Mönche, die lasen
miteinander in einem alten Buch, am Ende der Welt gäbe
es einen Ort, an dem Himmel und Erde sich berührten und
das Reich Gottes begänne. Sie beschlossen, ihn zu suchen
und nicht umzukehren, ehe sie ihn gefunden hätten. Sie
durchwanderten die Welt, bestanden unzählige Gefahren,
erlitten alle Versuchungen, die einen Menschen von seinem
Ziel abbringen können. Eine Tür sei dort, so hatten sie
gelesen. Man brauche nur anzuklopfen und befände sich im
Reich Gottes. – Schließlich fanden sie, was sie suchten.
Sie klopften an die Tür, bebenden Herzens sahen sie, wie
sie sich öffnete. Und als sie eintraten, standen sie zu
Hause in ihrer Klosterzelle und sahen sich gegenseitig
an. Da begriffen sie: Der Ort, an dem Gott wohnt,
befindet sich auf der Erde, an der Stelle, die Gott uns
zugewiesen hat“ (Russische Legende).
b) „Wo wohnt Gott?“ Der Rabbi überraschte mit
dieser Frage seine Gäste. Diese waren gelehrte Männer
und lachten über ihn. „Wie redest du? Die ganze
Welt ist doch voll seiner Herrlichkeit!“ Er
antwortete aber auf die Frage: „Gott wohnt dort, wo
man ihn einläßt.“ (M. Buber, Erzählungen der
Chassidim)
c) „Gott begegnet mir auch nachts im Traum“
sagte einst ein weiser Mann. „Wie kannst du nur
solch einen Unsinn reden“ sagte ein anderer zu ihm.
„Gott ist so groß, daß alle Himmel ihn nicht
fassen können. Und er sollte nicht auch in meiner Seele
zuhause sein, in meiner Seele, die am Tage schläft, aber
in der Nacht erwacht?“ antwortete er.
Da alsowohnt Gott! Jeden Tag, alle Zeit, für alle
Menschen! Aufgefahren in den Himmel in uns!

VII
Schlußendlich: Wohnt er aber auch im Tempel, im
steinernen Haus der Kirchen? Über die Gründung des
Tempels von Jerusalem wird folgende Geschichte erzählt:
„Zwei Brüder besaßen jeder ein Ackerfeld. Nachdem
die Ernte eingebracht war, lag jeder wachend bei dem
Ertrag. Der ältere Bruder grübelte. Ich habe Frau und
Kinder, bin reich genug, um leben zu können. Aber mein
Bruder ist allein und auf fremde Hilfe angewiesen.
Deshalb braucht er mehr Geld. Darum will ich ein Teil
meiner Ernte zu der seinigen legen, ohne daß er es
merkt. – Zur gleichen Zeit aber dachte der jüngere
Bruder: Mein Bruder hat eine große Familie zu ernähren,
darum braucht er viel Geld. Ich habe für niemanden zu
sorgen, brauche also weniger Geld, ich will einen Teil
meiner Ernte zu der seinigen legen, ohne daß er es
merkt. – So brachten beide in der Nacht heimlich einen
Teil ihrer Ernte zum anderen. Unterwegs aber trafen die
beiden zusammen. Sie erkannten gegenseitig ihr Vorhaben,
fielen sich in die Arme und errichteten einen Tempel. Der
soll da gebaut werden, wo Himmel und Erde
zusammentreffen.“
Ja, Gott wohnt im Tempel, wenn Salomo den Tempel auf
einen solchen Platz gebaut hat, wenn er sich dabei betend
zu Gott wendet. – Ja, Gott wohnt in der steinernen
Kirche, wenn auch dieser Ort auf solch einem Platz gebaut
ist. – Ja, Gott wohnt auch in uns, wenn unser Herz solch
ein Tempel ist. – Ja, Gott wohnt auch in deinem Gespräch
mit Gott, in deinem Gebet zu Gott. Ja, da wohnt er!
Wo ist Gott aber dabei zu sehen? Ach sehen, was heißt
schon sehen! Wer Augen hat, der sieht schon. Der sieht,
wie Gott hineingefahren ist in den Himmel, also in unsere
Welt, also hinein in unser Herz. Und da wohnt er und will
gefunden werden. Machen wir uns auf Entdeckungsreise,
immer wieder neu. Starre nicht entsetzt oder verzückt
nach oben! Sieh in dich hinein! Salomo tat, nachdem er
den steinernen Tempel gebaut hatte, das einzig richtige.
Er schaute in sich hinein, betete zu Gott, sprach mit
ihm. Und so im Gespräch versunken, entdeckte er ihn. Wo
ist Gott? Da ist Gott! So im Gespräch mit ihm versunken,
entdeckte er ihn. Das können wir auch.
Amen

Nachbemerkung:
Das Himmelfahrtsfest hat kaum etwas mit der sog.
„aktuellen Tagespolitik“ zu tun. (Das saloppe
Stichwort „Himmelfahrtskommando“, das man flugs
auf den Krieg im Kosovo beziehen könnte, ist kein
Gegenargument, sondern eher Ausdruck der Verlegenheit,
mit „Christi Himmelfahrt“ sinnvoll umzugehen.)
„Wo ist / wohnt Gott?“ ist die
theologisch-religiöse Grundfrage des Himmelfahrtsfestes,
unabhängig von aktuellen Zeitereignissen. Die Frage hat
„Salomo“ (vgl. Predigttext) in gleicher Weise
gestellt wie die Jünger zur Zeit Jesu. Und diese Frage
stellen wir heute immer noch, immer wieder. Die Frage ist
so monoton, so zum xten Mal hin und her gewendet wie sie
gleichzeitig aktuell und immer wieder spannend ist.
„Wo ist / wohnt Gott in meinem Leben? Ja, wo?“

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Prof. Dr. Axel Denecke
(Hauptpastor St. Katharinen Hamburg)
Herbert-Weichmann-Str. 34
22085 Hamburg
Tel.040 336275 oder 335686
Fax 040 339105

 

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