1. Korinther 13,1-13

1. Korinther 13,1-13

Unkaputtbare Liebe | Estomihi | 19.02.2023 | 1. Kor 13, 1-13 | Sabine Handrick |

Liebe Tauffamilie, liebe Gemeinde!

Immer wieder höre ich Menschen sagen: „Ich kann das nicht glauben, was die Bibel erzählt.“

Sie wollen sich lieber an Handfestes halten, etwas, was man sehen und anfassen kann.

Sie bezweifeln selbstgewiss, dass an der Sache mit Gott irgendetwas dran sein könnte, um dann wieder einmal bei der berühmten Frage zu landen: Wo ist denn Gott?! Schaut mal in die Ukraine, schaut mal nach Nigeria, schaut mal nach Syrien

Wo ist Gott, warum greift Gott nicht ein und sorgt dafür, dass Krieg und Elend ein Ende haben?!

Und jetzt noch das schreckliche Erdbeben im Nahen Osten – warum lässt Gott das zu?! 

Wahlweise werden auch andere, persönliche und politische Katastrophen angeführt. Das führt stets zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Zweifel werden grösser und grösser bis die Meinung vorherrscht: ‚Es hat eh keinen Sinn …‘ – ‚Es gibt keinen Gott.‘ Das Thema Glauben…  hat sich erledigt.

Liebe Gemeinde, ich weiss nicht, ob ihr solche Gedanken kennt. Sicher erlebt jeder Mensch Momente der Zweifels und stellt sich Fragen, auf die sich keine einfachen Antworten finden lassen… Aber Ihr wärt heute nicht in den Gottesdienst gekommen, wenn da nicht der Wunsch wäre, etwas anderes zu hören.

Und besonders Ihr, liebe Z. und lieber R., seid mit Eurem kleinen Sohn hier, damit er getauft wird und in Gottes Liebe geborgen ist. In der Taufe verbindet sich Gott mit diesem wunderbaren, kleinen Menschenkind und sagt zu ihm: Ich kenne dich und habe dich lieb.

Ihr habt einen Taufspruch aus dem Buch des Propheten Jesaja ausgewählt, wo es heisst: Denn ich bin der Herr, dein Gott, der deine rechte Hand fasst und zu dir spricht: Fürchte dich nicht, ich helfe dir! – (Jesaja 41,13)

Jetzt sind es Mamas oder Papas Finger, an denen sich dieses Kind festhalten kann. Und ähnlich sinnbildlich beschrieb es der Prophet, dass Gottes Hand uns festhält, dass Gott für uns da ist, damit wir die Angst verlieren:  Fürchte dich nicht, ich helfe dir! – Das ist unser Halt im Leben und im Sterben. Darum geht es!

„Fürchte dich nicht!“ – dieser Zuspruch durchzieht wie ein roter Faden die Bibel, sei es zu Weihnachten oder zu Ostern oder bei den Propheten, wieder und wieder hören wir: Fürchte dich nicht! Wir werden gehalten und getragen durch Gottes Hand. Und es liegt nicht zuerst an unserer Kraft, ob wir zupacken und uns heben können.

Gottes Halt bleibt, auch wenn uns die Kraft verlässt wie bei einem, der bei Klimmzügen nicht mehr kann und loslässt… Gott hält dich dennoch.

Meine Lieben! So eine Taufe in der Runde der Gemeinde kann uns alle daran erinnern, dass Gott uns versprochen hat, immer für uns da zu sein.

Alle, die aus dem Wasser der Taufe auftauchen, haben dieses besondere Geschenk bekommen: Gottes Liebe lässt Dich niemals fallen. Gott hält dich im Leben wie im Tod – komme was wolle.

Wisst Ihr, was ich gerne antworte, wenn die Sprache darauf kommt, dass man Gott nicht sehen kann und bezweifelt wird, das Gott existiert?

Ich frage dann zurück: Bezweifelst du auch, dass es Liebe gibt, nur weil du die Liebe nicht sehen kannst?

Wenn wir von Gott reden, geht es um Liebe. Der Text, den wir heute gehört haben, kreist um die Liebe Gottes, die in uns allen ist – auch wenn mitunter tief verborgen.

Man nennt dieses Kapitel auch das Hohe Lied der Liebe. Paulus hat die Worte mit Bedacht gewählt. Er hat sie sorgfältig geschliffen, so wie ein Dichter an seinen Versen feilt und versucht, das Wesen der Liebe einzufangen. Es lohnt sich sehr, dieses 13. Kapitel im 1. Korintherbrief wieder und wieder zu lesen und zu meditieren.

Mir ist bei meinem Nachdenken über diesen Text ein Wort besonders ins Auge gestochen, das wir in Vers 8 finden. Die Liebe gibt niemals auf.

Die Luther-Übersetzung tönt antiquiert, aber vertraut: Die Liebe höret nimmer auf. Viele Menschen kennen diesen Satz in- und auswendig, tragen ihn im Herzen. Und er beginnt zu leuchten und seine Facetten zu zeigen, wenn wir genau hinschauen.

In der Einheitsübersetzung klingt es fast gleich: Die Liebe hört niemals auf.

Die Liebe vergeht niemals. -Neue Genfer Übersetzung.

In der Zürcher Bibel steht an dieser Stelle: Die Liebe kommt niemals zu Fall.

Und damit haben wir uns der wortwörtlichen Bedeutung angenähert, die Paulus wählte. Das griechische Wort πίπτω,das dort steht, bedeutet „einstürzen, in sich zusammenfallen“.

Niemals – meint Paulus, niemals wird sie einstürzen: Gottes Liebe fällt nicht in sich zusammen.

Mir ist dazu ein „neudeutsches“ Wort in den Sinn gekommen: Unkaputtbar sagt man manchmal, um Unzerstörbarkeit auszudrücken.

Gottes Liebe ist unkaputtbar. – Mit nichts, aber auch gar nichts ist die Liebe Gottes kleinzukriegen. Mögen auch die grössten und mächtigsten Kräfte dieser Welt walten, mag die Erde beben und alles andere zusammenbrechen – Gottes Liebe ist unkaputtbar. (PAUSE)

Liebe Gemeinde.

Vielleicht wandern Eure Gedanken bei diesen Worten von der nie vergehenden, nicht fallenden, niemals einstürzenden, unkaputtbaren Liebe zu den Trümmern der Hochhäuser im Erdbebengebiet… und ihr könnt das alles nicht zusammendenken.

Aus der Türkei und aus Nordsyrien erreichen uns wahrlich schreckliche Nachrichten. Ein Bild der Katastrophe ist mir besonders durch und durch gegangen. Es zeigt einen Mann in einer orangenen Jacke, vor einem undefinierbaren Haufen Schutt kauernd, neben ihm eine Matratze, bedeckt von schweren Betonplatten und Steinen. Mesut Hancer streckt seine linke Hand aus in Richtung der Matratze.

Und dann erst erkennst du die kleine Hand, die er nicht loslässt. Seine fünfzehnjährige Tochter Irmak ist unter den Trümmern begraben. –

Und du siehst die unzerstörbare Liebe, die ihn mit seiner Tochter verbindet,

eine entschlossene Geste inmitten von Tod, Chaos, Zerstörung und unfassbarem Leid. Ein Vater hält die Hand seiner Tochter … unkaputtbare Liebe.

Ja, es zerreisst dir das Herz und du wirst stumm und möchtest nur noch weinen.

Liebe Tauffamilie, heute, wo Ihr mit einem überfliessenden Herzen voller Liebe auf R. schaut und darum betet, dass euer Kind immer behütet bleibe und ein glückliches Leben auf ihn wartet – da wird der Abgrund, über dem wir schweben, spürbar.

Könnt Ihr dieses „Fürchte dich nicht!“ für Euch selber fassen?

Meine Lieben, ich kann Euch nur das sagen, was Paulus schrieb: Jetzt aber leben wir mit Vertrauen, Hoffnung und Liebe, diesen drei Geschenken. Und die grösste Kraft von diesen dreien ist die Liebe.

Gottvertrauen wird in uns wachsen, wenn wir uns von Gottes Hand gehalten wissen.

„Aber wie? Wie komme ich dahin? Wie geht das?“ Zweifel melden sich in uns.

Paulus ist sich sicher, eine Antwort geben zu können.

Einen Vers zuvor (1 Kor 12,31) hatte er geschrieben: „Ich kann euch einen wunderbaren Weg dazu zeigen!“ Und dann spricht er davon, was Menschen tun und lassen sollten, die sich von Gottes Liebe leiten lassen.

Da Paulus wie Jesus im jüdischen Glauben aufgewachsen ist, trägt auch er einen grossen Schatz in sich. Tag für Tag betete er das Sch’ma Israel: „Höre, Israel: Der HERR, unser Gott, ist der einzige HERR. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft.“ (Dtn 6,4f.) Dieses Gebet half ihm, darüber nachzudenken, was dies für ihn persönlich bedeutet, wie Liebe Realität wird – mit Herz und Verstand, mit jedem Atemzug, mit aller Kraft.

Und das war durchaus nicht einfach angesichts der Probleme und Eifersüchteleien, die es beispielsweise auch in der Korinthischen Gemeinde gab.

Liebe erweist sich immer konkret im Miteinander der Menschen, im Alltag. Da zeigt sich ob jemand liebevoll ist oder eher nicht. Die ersten Verse aus 1. Kor.13 lassen tief blicken: respektlos, egoistisch, jähzornig, nachtragend… sind Stichworte.  Das, was Liebe nicht ist – kennen wir auch aus unserem Leben, oder? Lest selbst, was da alles treffend festgehalten ist!

Und alle besonderen Fähigkeiten, die ein Mensch haben kann, ob jemand der Schnellste oder die Schönste, oder die Klügste oder der Erfolgreichste ist – alles ist nichts wert, wenn keine Liebe dabei ist. Allein die Liebe zählt. In Gottes Augen hat nur Bestand, was wir in und mit Liebe tun.

Ich möchte unser Augenmerk noch auf das Gegenbild richten, das Paulus skizziert. Denn er ist felsenfest davon überzeugt und will es seinen lieben Schwestern und Brüdern in Korinth in allen möglichen Varianten ans Herz legen, dass sie es endlich begreifen: Du bist nicht ohne Liebe!

Dir wird es gelingen, von dir selbst abzusehen, auch wenn’s etwas kostet, unter Umständen sogar das Leben. Du ahnst, dass die Zerrissenheit dieser Welt nicht alles ist, weder das Gute noch das Schlechte. Und die kostbaren Zeichen der Liebe, die wir jetzt erleben, sind nur ein winziger Vorgeschmack im Vergleich zu dem Vollkommenen, dasuns erwartet.

Du wirst dich für den oder die Andere einsetzen, weil sie dir am Herzen liegen.

Du wirst geduldig und unerschütterlich bleiben, denn du kannst dich liebevoll darauf ausrichten, was hier und jetzt dran ist.

Gibt es etwas zu verzeihen, dann wirst du nicht nachtragend sein und nimmst dich auch mal zurück. Du kannst auch schweigen und musst nicht immer gewinnen. Mit langem Atem wirst du weiter kommen und erleben, wie Gottes Liebe dich wachsen lässt.

Du wirst lernen, das Antlitz Gottes in jedem Menschen zu erkennen.

Den Versuchungen von Macht und Gewalt wirst du widerstehen, denn du bist nicht mehr korrumpierbar.

Und wenn die Liebenden sich zusammen tun und gemeinsam darauf vertrauen, dass Gottes Liebe sie hält und trägt, dann werden sie eine starke Gemeinschaft sein in dieser Welt.

Sie werden sichtbare und handfeste Zeichen Gottes sein, so dass die Zweifelnden sich verwundert fragen: Was ist das nur für eine Kraft, die sie ausstrahlen?

Also Ihr meine Lieben! Hört ihr es? Du bist mit Gottes Geist beschenkt.

In dir wirkt die grosse, unkaputtbare, schöpferische Kraft der Liebe, von der wir jetzt nur einen Bruchteil erahnen.

Und wenn du dich von dieser Macht bestimmen lässt, dann wirst du frei. Selbstbewusst wirst du dich aufrichten und wissen: Ich bin Gottes geliebtes Kind. Nichts und niemand kann mich von Gottes Liebe trennen. Sie hält mich in den Abgründen des Lebens und lässt mich niemals los, auch wenn das Äussere und Offensichtliche dagegen sprechen mag.

Liebe Gemeinde, wir haben uns heute an das unerschöpfliche Thema LIEBE gewagt. Möge sie in unseren Herzen und Sinnen wirken und unter unseren Händen Formen annehmen, die glaubwürdig sind. Wir alle sind gefragt, dass in den nächsten Generationen der Funke der Liebe weiterleuchtet und ihnen bewusst wird, welch grosses Geschenk der Glauben ist.

Ein Kind wird getauft. Bitten wir darum, dass R. ein Liebender wird.

Jörg Zink verfasste eine wunderbare Meditation über unseren Bibeltext. Ich zitiere den Schluss, die letzten Zeilen, die ganz besonders gut passen, wenn R. nun gleich in Gottes grosse Liebe eintaucht:

Nun soll Leben in ihm entstehen Kraft, Lebendigkeit.

Ein Menschenwesen, das nicht ein Kind der Erde allein, sondern auch ein Kind des Geistes ist.

Und das ist eine Bestimmung: dass Gott ihm das neue Wesen, das des Liebenden, verleiht.

Denn was bleibt, stiften die Liebenden durch die Kraft, die der liebende Gott in ihnen wirkt.“* Amen

Pfarrerin Sabine Handrick

Reformierte Kirchgemeinde Düdingen

E-Mail: pfarramt@refdue.ch

* Jörg Zink, Was bleibt, stiften die Liebenden. Stuttgart: Kreuz Verlag 1979, S. 205

Liturgisches:

Gebet des Tages:

Du unser Gott, auf dich hoffen wir;
du schützt uns, wenn uns Angst überwältigt,
du tröstest uns, wenn uns Kummer plagt.
Deine Liebe reicht weiter als unser Leben.

Darauf wollen wir hoffen.

Daran wollen wir uns festhalten,

wenn uns alles andere aus den Händen entgleitet.
In Schmerz und Wut werden wir nicht zerbrechen.
denn du lässt uns niemals fallen.

Gott du bleibst unsere Zuflucht

und wirst uns behüten auf allen unseren Wegen.

Gebet für das Taufkind:

Du bist in Gottes Hand geborgen.

Gottes Hand behüte dich.

Gottes Hand umfange dich.

Gottes Hand stütze dich.

Gottes Hand trage und fange dich.

Gottes Hand begegne dir in unseren Händen.

Segen:

Du bist auf einem Weg.

Geht in der Kraft, die euch gegeben ist:

einfach, leichtfüssig, zart.

Haltet Ausschau nach der Liebe.

Gottes Geist geleite euch.

(Ökumenische Versammlung von Canberra 1991 – RG 331)

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