1. Petrus 5, 2+3

1. Petrus 5, 2+3

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


2. Sonntag nach
Ostern, Miserikordias Domini

7.5.2000
1. Petrus 5, 2+3


Rolf Wischnath


Nicht als Herren über die Gemeinde!

Der heutige Sonntag Misericordias Domini – von der
Barmherzigkeit des Herrn – rückt uns erneut das Bild vom „guten
Hirten“ vor Augen. Zu Beginn des Gottesdienstes haben wir schon den Psalm
23 miteinander gebetet: den für die Christen bekanntesten Psalm. In ihm
wird der ewige Gott mit dem Bild vom guten Hirten gelobt. Und in der Lesung aus
dem Johannesevangelium (Johannes 10) hörten wir das Wort Jesu, in dem er
sich selber als den einen guten Hirten bezeichnet. Der heutige Predigttext aus
dem 1. Petrusbrief, Kapitel 5, überträgt das Bild vom guten Hirten
auf die Mitarbeiter in der christlichen Gemeinde, indem er sie mahnt:

„Weidet die Herde Gottes, die euch
anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es
Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von
Herzensgrund; nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder
der Herde.“

I

Liebe Gemeinde! Wie ist eure Rangordnung? Wer hat
unter euch das Sagen. Wer spielt in der christlichen Kirche die erste Rolle?
Wer hat bei euch die letzte Verantwortung? Wer ist maßgeblich an allem
beteiligt? Ohne wessen Initiative oder Zustimmung läuft nichts?

Der, der hier meist wie selbstverständlich
genannt wird, trägt die Amtsbezeichnung „Pfarrer“; was er
ausübt und führt, ist „das Pfarramt“; und nicht wenige
Leute reden ihn mit seiner Berufsbezeichnung an: „Herr Pfarrer“ oder
„Herr Pastor“. Es gibt die Ausdrücke auch in der weiblichen
Form. Aber es ist auch bezeichnend, dass viele Gemeindeglieder ihre Pfarrerin
anreden mit „Frau Pfarrer“ oder „Frau Pastor“. Dass man
sich dieses Amt eigentlich nur männlich vorstellen kann, war
jahrhundertelang selbstverständlich Und drei Generationen, in denen es
mühsam anders geworden ist, reichen nicht aus, um die festgefügten
Vorstellungen von der Wahrnehmung des „ Pfarramtes“ zu
verändern.

„Pfarrer“ oder „Pastor“ –
eigentlich ist die Ausgangsfrage nach der Rangordnung in der christlichen
Gemeinde schon durch diesen Amtstitel entschieden: Beide Ausdrücke stammen
von ihrem Wortursprung her aus dem Bereich der Zoologie bzw. der
Landwirtschaft. „Pastor“ kommt bekanntlich aus dem Lateinischen und
bedeutet „Hirte“: der, der die Schafe weiden lässt und auf sie
aufpasst. „Pfarrer“ hängt mit dem mittelhochdeutschen Wort
„Pferch“ zusammen. „Pferch“ – das ist eine mit
Bretterzäunen eingeschlossene Fläche, auf der die Schafe für die
Nacht zusammengetrieben werden. „Pfarrer“ ist also der, der die Herde
einpfercht, sie hineinzwängt in den eingezäunten Raum.

Nun kann man mit Bezug auf den heutigen Sonntag
und seine biblischen Texte einwenden, dass doch eben dieses Bild des Hirten aus
der Heiligen Schrift stamme. Gewiss, der Hirte ist ein wichtiges biblisches
Bild sowohl für Gott wie für Jesus Christus. Der bestimmende,
vorrangige Bildsinn aber liegt in der Verdeutlichung der Treue Gottes, der
seine von ihm abgefallenen Menschen so sehr liebt und bewahrt, wie ein Hirte
bis zum Einsatz seines Lebens für seine Schafe sorgt. In der kirchlichen
Praxis und im Bewusstsein nicht weniger Christen jedoch hat es sich nachgerade
verhängnisvoll ausgewirkt, dass man den Gleichnischarakter und die Grenze
dieses Bildes immer wieder übersah:

So wurde und wird die Gemeinde immer wieder als
die Herde und der „Amtsträger“ als Hirte verstanden: eine Herde,
die sich von solchen Pastoren bewachen und als Masse leiten lassen soll. In
solchem Missverständnis bleibt die Gemeinde dann stets Objekt der
Betreuung und Erziehung, Zögling der Bildung und Pädagogik, Adressat
pausenloser Anreden und Initiativen dieses einen „ Amtsträgers“.
Und es kann nicht verwundern: so wie es zwischen einem Hirten und seiner
Schafherde keine menschliche Kommunikation, sondern bestenfalls ein
wechselseitiges Anblöken und -bölken und erst recht keine
gegenseitige Verantwortung geben kann, so muss auch das Verhältnis
zwischen Pastor und Gemeinde verkümmern, wenn es unter dieser Leitidee vom
Hirten steht. Alles läuft zwangsläufig darauf hinaus, dass die so
begriffene Pastoren- und Gemeinderolle zur Oberherrschaft des Amtsträgers
wird – eine Herrschaft, in der alle Mitarbeiter in der Gemeinde nur noch als
subalterne Handlanger, Adjutanten, Assistenten oder ständige Rekruten und
unmündige Laufburschen eingesetzt und dirigiert werden. In diesem Modell
von Gemeinde ist die Frage nach der Rangordnung beantwortet, wie die Machtfrage
in der Welt immer beantwortet wird: nach dem Modell von Befehl und Gehorsam,
Vorgesetztem und Untergebenem, Dienstgrad und Rangfolge.“

II

„Nicht als Herren über die
Gemeinde“ sollt Ihr euren Hirtenauftrag wahrnehmen, sagt der Petrusbrief.
Und seine Mahnung entspricht dem Wort Jesus: „Ihr wisset, dass die
weltlichen Fürsten herrschen und die Oberherren haben Gewalt. So soll es
nicht unter euch sein“ (Matthäus 20, 25). Man kann es wohl in seiner
Schärfe und Entschiedenheit nicht streng genug hören: „So
nicht!“ „Nicht als Herren der Gemeinde!“ In der
Jüngerschaft des Auferstandenen, in der Gemeinde dieses Herrn darf es
keine Orientierung an der weltlichen Hierarchie geben. Herrschaft und
autoritäres Gebaren, Befehlsgeber und Befehlsempfänger, Ehrgeiz und
Schmeichelei, Geltungssucht und Eitelkeit, Personenkult und Imponiergehabe –
dies alles soll es unter euch nicht geben. Davon sollt wenigstens ihr euch
nicht bestimmen lassen. „Sondern freiwillig weidet die Herde Gottes, wie
es Gott gefällt, nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von
Herzensgrund!“

Die Weisung zur Ausübung des Hirtendienstes
in der Gemeinde ist nur vom Wohlgefallen Gottes her zu bestimmen und zu
begreifen. Und der „Herzensgrund“ an den hier appelliert wird, ist
nicht der „Herzensgrund“ eines Menschen – denn was ist da schon
zu finden? -, sondern es ist der „Herzensgrund Gottes“, an den der
Petrusbrief erinnert. Aber was ist das Wohlgefallen Gottes, das in seinem
Herzensgrund gründet?

III

In der Osterzeit denken wir zurück an den Weg
Jesu ans Kreuz und die Rechtfertigung dieses Weges durch Gott in seiner
Auferweckung von den Toten.. Auf diesem Weg, auf dem Jesus selber aller
menschlichen Größe und Ehre entsagt und in der er selbst nach
menschlichen Maßstäben scheitert, wird offenkundig, was es mit dem
Wohlgefallen Gottes auf sich hat und wie sehr ihm der verlorene Mensch zu
Herzen geht. Und in dieser Perspektive wird die Ordnung für die Gemeinde
des Gekreuzigten bestimmt: eben als Ordnung einer herrschaftsfreien,
brüderlichen und schwesterlichen Gemeinschaft von Menschen:

Sie soll sich ihre Lebensordnung nicht durch die
Ordnungen von Politik und Gesellschaft vorschreiben lassen. Im Unterschied zur
staatlichen Ordnung, die ja wohl stets eine „Herrschaftsordnung“ ist
und sein muss, hat die Ordnung der christlichen Gemeinde eine Ordnung der Liebe
und des Dienens zu sein: eine Ordnung, in der der nach menschlichen
Maßstäben Größte dieser „Größe“
anspruchslos und liebevoll entsagt, sich mit dem „Diener“, der den
Gästen die Füße wäscht – also mit dem, der in der Regel
nichts zu sagen hat – auf einer Ebene wiederfindet, eine Ordnung, in der
gesellschaftliche Vornehmheit sich der eitlen Geltung entledigt und sich
für die unscheinbaren, geringen Dienste nicht zu schade ist.

Für die Anweisung Jesu, die christliche
Gemeinde „herrschaftsfrei“ zu „organisieren“ und zwar zu
bauen, lautet die Begründung: „…gleichwie des Menschensohn ist
nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein
Leben zu einer Erlösung für viele.“ (Matthäus. 20,28) Der,
der den Dienst von seiner Gemeinde fordert, dient uns zuvor: mit seinem Leben
und Sterben, mit seiner selbstlosen Hingabe und seinem Weg der Ohnmacht.
„Ich bin der gute Hirte“ und „Ich bin unter euch wie ein
Diener“ (Lukas 22, 27) – darum seid ihr Schwestern und Brüder und
soll es unter euch nicht so sein wie unter den weltlichen Fürsten und
Oberherren und Oberhirten. Nur wer sich von ihm tragen lässt, lernt, wie
man die Last der Anderen trägt. Von diesem Herrn bedient zu werden
heißt, sich seine Gerechtigkeit gefallen lassen: daran glauben, dass mir
und allen anderen Gottlosen die Gerechtigkeit Gottes in Christus gilt, eine
Gerechtigkeit, zu der ich nichts hinzugetan habe und die allein meine Rettung
und Ehre ausmacht.

Wer sich diesen Dienst Jesu Christi gefallen
lässt, dem vergeht die Lust der Fürsten und Oberherren und Oberhirten
am Befehlen und Herrschen, dem zerrinnt das Fragen, ob er auch gebührend
gewürdigt und anerkannt wird. „Ich bin der gute Hirte, der sein Leben
gibt für die Schafe“ – weil Jesus Christus so in seiner Gemeinde
gegenwärtig ist und sich in seiner Herrschaft über sie von niemandem
vertreten lassen will, darum kann sich in ihr kein Mensch so aufführen,
als hinge das Wohl und Wehe der Gemeinde von seiner Genialität und
Machtvollkommenheit ab. „Weidet die Herde Gottes …. nicht als Herren
über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde.“

IV

Liebe Gemeinde! Der Sonntag vom guten Hirten und
der Predigttext aus dem ersten Petrusbrief hat heute einen besonders amts- und
pfarrerkritischen Klang und Akzent. Er betrifft in erster Linie die, die in der
Kirche ein leitendes Amt haben und gerade in diesem Amt dem Hirtenamt Jesu
Christi entsprechen sollen. Das lässt sich auch zum Schluss der Predigt
nicht einfach in Wohlgefallen auflösen. Denn es ist schon höchst
bedenklich, wenn man bis heute gewisse Dienste in der Gemeinde als niedere
ansieht und sich auch in der Kirche einfach nach den Rangordnungen und
Gehaltsstufen richtet, nach denen in Staat und Gesellschaft der Wert des
Menschen und seiner Arbeit taxiert wird. Die Häufung von Würden,
Ehren und Titeln vor allem auf „Geistliche“ höheren Standes in
der Geschichte der Kirche ist ein beklemmendes Kapitel für sich.

Wie hat es die Kirche, d.h. ihr Klerus, nur
fertig gebracht, im Laufe der Jahrhunderte trotz der Warnung des Petrusbriefes
oft sehr respektable Plätze in Staat und Gesellschaft zu beanspruchen und
zu behaupten, statt dass die christliche Gemeinde mit ihrer Art, einander zu
dienen, die große Infragestellung der Rang- und Wertordnungen dieser Welt
gewesen wäre? Wie sehr man auch im Protestantismus dazu neigt, Menschen zu
verherrlichen, das zeigt ein Blick in gedruckte Grabreden (insbesondere bei
Bestattung von „Geistlichen“), aber auch die besonderen
personenbezogenen Feierlichkeiten, die Grußwortorgien bei Pfarrer-,
Superintendenten- und Bischofs-Einführungen und Ausführungen. Dabei
muss man doch sehr ernst mit der Möglichkeit rechnen, gerade als Theologe,
als Pfarrer, als führender Kirchenmann – und inzwischen auch als
führende Kirchenfrau – so viel Heu, Stroh und Stoppeln anzuhäufen, –
um mit Paulus zu reden (1. Kor. 3, 11ff.) -, dass es am jüngsten Tage im
Gericht Gottes ein lichterlohes Brennen und Verbrennen geben kann, während
vielleicht ein Becher kalten Wassers, einem Durstigen gereicht, oder das Gebet
eines Einsamen und Kranken aus der Gemeinde viel mehr bedeuten kann. –
Jedenfalls steht soviel fest:

„Die Rangordnung in der Gemeinde Jesu Christi
richtet sich nach dem Kriterium, dass der Größte der Dienende ist
und dass unter diesem Maßstab eine Umwertung der Werte sich vollzieht,
die schon ansatzweise in der Gemeinde sich geltend machen müsste und die
Letzten zu Ersten macht.“(1) Amen.

(1) Walter Kreck, Grundfragen der Ekklesiologie, München
1981, S. 163. [Der ganze Teil IV der Predigt ist nach diesem Abschnitt aus der
immer noch außerordentlich lesenswerten Ekklesiologie Walter Krecks
formuliert.]

Generalsuperintendent Dr. Rolf Wischnath (Cottbus)

Seminarstraße 38, 03044 Cottbus (Tel. 0355 – 23369)
E-Mail:
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