1. Thessalonicher 5, 1-6 (7-11)

Home / Bibel / Neues Testament / 13) 1. Thessalonicher / 1 Thessalonians / 1. Thessalonicher 5, 1-6 (7-11)
1. Thessalonicher 5, 1-6 (7-11)

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost


Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres,

10. November 2002
Predigt über 1. Thessalonicher 5, 1-6 (7-11), verfaßt von Andreas
Kern


 

Liebe Gemeinde,

im Sommer wurde mir mein Fahrrad gestohlen. Vom heimischen Grundstück,
es hatte an der Hauswand gelehnt, ich hatte vergessen, es in den Schuppen
zu stellen. Anzeige bei der Polizei und der Versicherung, Bescheinigungen
vom Fundbüro usw – ein kleiner Ärger im Vergleich zu manch anderem,
was wir so erleben.

Das Schlimme an der Sache mit dem geklauten Fahrrad war etwas anderes:
bis zu diesem Zeitpunkt war uns die Umgebung unserer Wohnung überschaubar
und heil vorgekommen. Die Nachbarn kennen wir doch alle, und die vorbeiziehenden
Menschen – morgens und mittags auf dem Schulweg – sie grüßen
freundlich, sind uns wenigstens vom Sehen bekannt. Natürlich schließen
wir unsere Wohnung ab, wenn wir wegfahren, aber eigentlich rechnen wir
nicht wirklich damit, daß irgendwelche Diebe in der Nacht umherschleichen
und uns bedrohen. Wir vertrauen auf unser gutes Gefühl, wir schlafen
ruhig.

Der Diebstahl des Fahrrades – so direkt vor der Haustür, wir waren
alle zuhause – hat diese ruhige Haltung für ein paar Tage und Wochen
beschädigt. Da war die Unbefangenheit plötzlich hin; das Böse,
die böse Welt, war in die vermeintlich heile Welt eingedrungen, hatte
sie zerstört. Glücklicherweise passiert so etwas ja nicht jeden
Tag, und so können wir inzwischen wieder ruhig leben.

Aber geht es uns nicht – im kleinen oder größeren Maßstab
– immer wieder einmal genauso? Buchholz als netter kleiner Ort, in dem
glücklicherweise von dem Übel der Welt nicht so viel zu spüren
ist – und dann plötzlich Berichte über die Vergewaltigungen
einer Schülerin, mitten unter uns. Oder Hamburg vor unserer Haustür:
der Metropole traut man schon einiges mehr zu an Unberechenbarem, Unvorhersehbarem
– aber daß die Terroristen des 11. September 2001 direkt nebenan
lebten, finden wir alle ziemlich schaurig.

Was wir daran lernen, liebe Gemeinde:
Das Lebens-Verändernde kommt unvorhersehbar. Das, was uns umwirft,
was unsere Gewißheiten und Sicherheiten umstößt, kommt
zu einem Zeitpunkt, den wir nicht wissen. Der Tag des Herrn, sein Erscheinen,
das Ende der Welt: sie sind unberechenbar.

Macht uns das Angst? Singen wir die Liedzeile ‚Wir warten dein, O Gottessohn,
und lieben dein Erscheinen‘ – aber gleichzeitig erschaudern wir beim Gedanken
daran, daß damit alles Gewohnte zuende ist, alle Sicherheit dahin?

Aber das, liebe Gemeinde, ist genau die Spannung, in der wir als Christenmenschen
leben!

Paulus will uns ja nicht erschrecken. Er schreibt zwar einige Szenarien
auf, die einem unbefangenen Leser oder Hörer tatsächlich Angst
machen können: der Einbrecher in der Nacht, die Schwangere, die plötzlich
von Wehen überfallen wird.

Aber Paulus weiß auch, und er schreibt das auch, daß wir
keine Angst zu haben brauchen. ‚Denn ihr seid alle Kinder des Lichtes
und des Tages.‘

Keine Angst: das sagt sich so leicht. Das Unvorhersehbare, das Ende,
das muß doch Angst machen?!
Die Schrecken, die Paulus uns vorführt, sind ja auch in unserer Zeit
immer noch aktuell: ein paar Beispiele habe ich genannt, und sicher kann
jeder von uns noch ein paar aufzählen.

Aber anders als Paulus sehen wir darin nicht das Kommen Gottes. Wir verlassen
uns – vielleicht ein wenig naiv – auf die stetige Liebe Gottes, der uns
nahe kommen will, ohne uns zu erschrecken. Und wir tun das in aufmerksamer
Gelassenheit. Wir sollen nicht schlafen, aber auch nicht hektisch werden.
Wir brauchen uns nicht zu verzehren in der Sorge um sein kommen, aber
wir sollen ihn auch nicht vollständig vergessen.

Wir sind Söhne und Töchter der Helligkeit, der Klarheit, auch
wenn wir die Frage nicht beantworten können, wann und wie Gott kommt.
Denn wir wissen, was er will, was er vorhat mit uns, wenn er kommt: ‚Denn
Gott hat uns nicht zum Zorn bestimmt, sondern dazu, das Heil zu erlangen
durch unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit
wir zugleich mit ihm leben – ob wir wachen oder schlafen.‘ Deswegen warten
wir sein Kommen ohne Angst ab.

Ich glaube, liebe Gemeinde: schrecklich wird die Begegnung mit Gott für
denjenigen, der überhaupt nicht damit rechnet: der wird wirklich
aus der Bahn geworfen, den schubst Gott glatt um, macht ihn platt – und
will doch auch ihn wieder aufrichten.

‚Da bin ich aber platt‘, sagte mir der Vater eines vierjährigen
Taufkindes am Ende des Taufgottesdienstes – und sie hören das Wortspiel
heraus. Was die Familie wie ein etwas peinliches Spektakel angesehen hatte
– die etwas verspätete Taufe ihrer kleinen Tochter -, das war zu
einer tollen Begegnung geworden.

Das hatten sie – ganz unerwartet und plötzlich – ganz intensiv erlebt:
die Lesungen und Gebete, die Lieder, die Tauf-Fragen nach ihrem Weg mit
ihrem Kind und dessen Weg mit Gott, die Taufhandlung an ihrem Kind, den
Segen für ihre Tochter und für sie selbst.
Und dann am Ende des Gottesdienstes schnappte sich der Vater mit feuchten
Augen das fröhlich umherspringende Kind und drückte die Kleine
fest an sich.

Etwas ganz Bewegendes, Aufrührendes war ihm begegnet. Gott war,
so würde ich sagen, in sein Leben eingebrochen – Gott als Lebens-Einbrecher,
in diesem Fall nicht des Nachts, sondern mitten am Tag.

So, liebe Gemeinde, stelle ich mir den ‚Tag des Herrn‘ vor: daß
er mir immer wieder passiert, immer wieder begegnet, mich positiv oder
negativ erschüttert und anrührt. Daß Gott ein (nächtlicher
oder täglicher) Lebens-Einbrecher ist, der mich überfällt,
auch wenn ich vorbereitet bin – oder weil ich nie wirklich vorbereitet
bin?
Angst habe ich nicht, will ich nicht haben. Angst verbinde ich mit etwas
Bösem, das mir begegnet.

Aber hier will einer mir nahekommen, mich vielleicht überraschen,
der mich liebt und der Heil und Segen für mich will. Ob ich schlimme
Dunkelheiten des Lebens durchmache oder fröhlich im Hellen lebe:
ich will jederzeit gerne mit Gott rechnen – auch wenn ich mich immer verrechne.
Aber ich weiß: bei ihm bin ich im Hellen, bei ihm lebe ich.

Amen.

Pastor Andreas Kern
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Paulus, Buchholz in der Nordheide
Tel. (04181) 7714
Fax (04181) 2349669
a-kern@t-online.de

 

de_DEDeutsch