Apostelgeschichte 1,3-11

Apostelgeschichte 1,3-11

Lebensträume | Christi Himmelfahrt | 09.05.2024 | Apg 1,3-11 | Ralf Reuter |

Selbständig sein, welch ein Traum. Könnte ich doch frei schalten und walten. Jugendliche nach der Konfirmation haben immer Pläne. Sind gleichzeitig ängstlich, fürchten den Verlust des eigenen Zimmers im Hause der Eltern. Wie wird es den Jüngern ergangen sein? Petrus oder Maria Magdalena? Der Herr ist im Himmel, jetzt können wir bestimmen, wie es mit unserer Bewegung des Glaubens weitergeht. Sicher auch die Frage, wie bleiben wir in Verbindung mit Jesus, mit seiner göttlichen Kraft. Er hat uns ausgesandt, in seinem Geist sind wir unterwegs.

Als vor 900 Jahren die Zisterzienser in Europa unterwegs waren, da hatten sie den Himmel im Kopf. Wo es sich ergab, in Volkenroda, Amelungsborn, Loccum, gründeten sie ein Kloster. Wollten das ewige Haus Gottes auf Erden bauen, immer die gleiche Kirche, mit Kreuzgang und Schlafsaal und der Zehntscheune. Der Untergrund musste stimmen, die Wasserverhältnisse geregelt, die Steine beschafft werden. Die erste Generation starb damals schon mit 30, erst die Nachfolgenden konnten das Kloster errichten, und die Dritten zogen dort ein.

Lebensträume, die sich über Generationen hinstrecken. Ich staune über diese große Kraft, dieses Festhalten eines Traums, auch wenn noch nichts davon zu sehen ist. Auch heute ziehen Menschen in ein anderes Land, nur auf Hoffnung. Das Christentum lebt seit 2000 Jahren mit der Vorstellung, etwas von dem Himmel Gottes auf Erden zu errichten. Zumindest im Geist von Jesus Christus zu leben. Allezeit als Versuch und Irrtum, nie entspricht die Verwirklichung dem Urbild, wieder und wieder wird revidiert und reformiert, um so dem christlichen Traum treu zu bleiben.

Menschen tragen wohl immer so etwas wie einen Himmel im Herzen. Eine Vorstellung, wie das wahre Leben sein soll, oder wie man heute sagt, ein gutes Leben. Selbst wo es nicht mehr um die Familie und ihre Zukunft geht, oder keine Phantasie mehr für die Kirche der Zukunft da ist, schon gar nicht in der Arbeit die Verwirklichung gesehen wird, und wir alle immer mehr nur für uns sind: Die Träume haben nicht aufgehört. Selbst wo Kunstwelten gesucht werden, in die Simulation, in fiktive Welten gegangen wird, findet sich darin ganz real die Sehnsucht eines Himmels.

Die Himmelfahrt Christi, so deute ich den nüchternen Bericht in der Apostelgeschichte, hat uns das ganze Reich des Göttlichen geöffnet. Als er noch hier war, auf Erden ging wie einst Gott im Paradies, zu Fuß, die Menschen zu besuchen, ihnen unmittelbar zu helfen, da brauchte es keinen Himmel. Jetzt gehen wir selber über die Erde mit unserem Fußabdruck, und sehen in den überlieferten Geschichten von Jesus den Himmel Gottes offenstehen. Er, der ja der Gleiche bleibt, wie die Engel sagen, und so wiederkommt, er wird uns zur Orientierung, zur Deutung und Wegweisung, Tag für Tag.

Wenn du Menschen kennenlernen willst, frage nach ihren Träumen, ihren Ideen, ihren Vorstellungen, ihrem Sehen von Zukunft. So merkst du, in wessen Himmel sie sich eingerichtet haben. Meinen Himmel möchte ich in diesem Jesus von Nazareth erkennen, meine Hoffnung in dem auferstandenen Christus. In dieser Tradition ahne, hoffe, sehe ich etwas von Freiheit, von Selbständigkeit und Himmelshalt. Es sind dann seine Geschichten von Galiläa, in denen ich mich mit meinen Träumen und Möglichkeiten einrichte, von ihnen her versuche, mein Leben zu deuten.

Klar braucht es dazu Phantasie, und eine starke Sehnsucht, und die Gabe des Geistes, die er seinen Jüngern zusagt. Es ist wie Luft zum Atmen, auch da, wo die Welt eng wird und der Himmel sie weitet. So wichtig die Familie ist, wir gehören gleichzeitig zur Familie Gottes, wir jonglieren zwischen hier und dort. So sinnvoll die Arbeit ist und bleibt, das Leben ist mehr, ist Staunen und Wonne und Glück, hat schon etwas von der Seelen Seligkeit. Diese Verheißung ist es, die mich reizt, mich weiterentwickeln lässt, als Gottes Geschöpf und zugleich als ich selber.

Lebensträume verwirklichen sich immer nur mit dem Himmel, und werden dann oft einfach und klar. Der Maler Tiepolo, keiner malte schönere Himmel als er, das Deckengewölbe in der Würzburger Residenz um 1750, kam stets mit den gleichen wunderbaren Gesichtern und Figuren. Er stattete den kirchlichen Würdenträger ebenso damit aus wie die Frauen von der Straße. Tiepolo malte seine Bilder lebenslang mit den Augen von Jesus und lies sich von niemandem und nichts davon abhalten. Das zarte Rosa Tiepolos ins Gegenwärtige zoomen, so die Welt sehen, das wär’s.

Mir imponiert hier, wie Eigenständigkeit und Gottesbezug zusammengehen. Von Bach wird gesagt, er sei „im Augenblick der höchsten Kommunion, der innigsten Verschmelzung mit dem Anderen am vollkommensten er selbst“ (René Belletto). Kommunion, Leib und Blut Christi in uns, dies setzt frei zu einer schöpferischen Entfaltung des Lebens. Immer wieder neu gesandt, ein Leben lang dranbleiben, weitergehen durch alle Phasen, mit allen Höhen und Tiefen, bis zur letzten Reis‘ eine schöne Blume in Christi Garten bleiben, wie wir in Paul Gerhardts Geh aus mein Herz singen.

Das Tun des Guten, das Leben von Glauben, es ist ein Wachsen und Bleiben mit dem Himmel auf Erden, ist Altes neu justieren, ist Neues wieder alt machen. Seid wohltuend zu den jungen Menschen! Unsere Konfirmanden waren selig, in der Kirche zu sitzen und die heiligen Gefäße auszupacken. Dies vergessen sie nie. Kirche mit dem Himmel Christi neu denken, den ganzen Plunder an verschultem Unterricht über Bord werfen, um echte Erfahrungen des Göttlichen zu ermöglichen. „Was wäre also, wenn wir Bildung in Zukunft mit Empfindung übersetzen würden?“ (Simon Strauß)

Mit Führungskräften gehe ich immer noch ins Kloster und setze mich mit ihnen ganz allein an einen Tisch vor dem Altar, um Abendmahl zu feiern. Schon jetzt am Tisch Gottes sitzen, so wie die Emmausjünger mit ihm saßen, wie wir einmal in seinem Himmel sitzen, um dann wieder ins Leben zu gehen. Fast eine monastische Existenz auf Zeit, sie hält uns im Bleiben. Da hilft das Aufsuchen der durchbeteten Räume, als Transformation des Himmels in unsere Wirklichkeit, wie ein Paradies 2.0. Immer fragil, als Versuch, aber so ist nun mal himmlisches Leben bis zur Wiederkunft des Herrn.

Christliches Programm ist das Bleiben in diesem Jesus-Himmel, das immer wieder neue Sehen und Auslegen, was er uns überliefert. Mit allen Himmeln gilt es, diesen Himmel Jesu ins Herz zu lassen, sich in ihn hineinzuträumen. Mach weiter, auch wo die Zeiten darüber hinweggehen, behalte deinen Traum, du bist längst mitgenommen auf den Weg Gottes in die Ewigkeit. Also predige, spiele Posaune, leite Kirche, gründe Unternehmen, male Bilder, hüte Kinder, helfe Armen, sorge für Frieden, stelle Blumen auf den Altar, singe mit von den Lebensträumen an Christi Himmelfahrt.

Pastor Ralf Reuter

Göttingen

E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

Ralf Reuter, Pastor der Ev.-luth. Weststadt-Kirchengemeinde Göttingen, tätig auch in den Göttinger Westdörfern und der Region Göttingen-West, zugleich als Pastor für Führungskräfte der Wirtschaft mit Retraiten und Klausuren im Kloster Loccum

Literatur:

Daniel Marguerat, Die Apostelgeschichte, Kritisch-exegetischer Kommentar, 2022

Ulrich Köpf; Monastische Theologie und Protestantismus, Gesammelte Aufsätze, 2018

Roberto Calasso, Das Rosa Tiepolos, 2006

Helmut Thielicke, Der Evangelische Glaube, Bd 1, 1968

David J. Chalmers, Realität+. Virtuelle Welten und die Probleme der Philosophie, 2023

Norbet Miller, Die künstlichen Paradiese. Literarische Schöpfung aus Traum, Phantasie und Droge, 2022

Christian Haller, Sich lichtende Nebel, Novelle, 2023

Simon Strauß, Was wäre, wenn das Glas halb voll sein würde? In: Kursbuch 217, März 2024

René Belletto, Johann Sebastian Bach. Wer Welt und Musik neu erfindet, für den geht es um alles oder nichts. In: Lettre International 144, Frühjahr 2024

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