Epheser 5,15-20

Epheser 5,15-20

Achtsamkeit | 18. So. n. Trinitatis | 16.10.2022 | Eph 5,15-20 | Nadja Papis |

Achtet sorgfältig auf Euer Leben…

Achtsam sein…

Bewusst wahrnehmen, was ist…

Mit allen Sinnen das Leben entdecken…

Sich von Bewertungen befreien…

Entspannen…

Was soll das denn jetzt? In der Kirche? Dieser neumodische Trend? Muss denn das hier jetzt auch sein mit diesem Yogazeug und der Achtsamkeit?

Neumodisch? Trend? Na ja – wie Kohelet schon schrieb: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Bereits im Epheserbrief heisst es: Achtet sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt: nicht voller Dummheit, sondern voller Weisheit. Macht das Beste aus Eurer Zeit, gerade weil es schlimme Tage sind. Aus diesem Grund sollt ihr nicht unverständig sein, sondern begreifen, was der Wille Gottes ist. Betrinkt euch nicht mit Wein, denn das macht euch zügellos! Lasst euch lieber vom Geist Gottes erfüllen. Tragt euch gegenseitig Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder vor. Singt für Gott und preist ihn aus vollem Herzen. Dankt Gott, dem Vater, zu jeder Zeit und für alles – im Namen unseres Herrn Jesus Christus. (Eph 5,15-21)

Gut, der Anfang tönt wirklich modern. Das könnte in einem Ratgeber für achtsames Leben stehen: Achtet sorgfältig auf euer Leben! Macht das Beste aus eurer Zeit!

Es sind Allgemeinweisheiten, die ich sofort unterschreibe. Vielleicht drucke ich sie auch mit einem schönen Hintergrund in Handlettering-Schrift aus und hänge sie in der Küche oder im Büro auf. Ja, es sind weise Tipps für ein besseres Leben. Sich daran zu erinnern, tut gut – wie ein sanftes Streicheln für die Seele.

Aber dann kommt’s: Betrinkt euch nicht mit Wein, sonst werdet ihr zügellos!

Das ist nicht mehr so schön nett und wohltuend. Moralisch wirkt es und auch ein wenig «stier» (bieder). Was soll denn das jetzt? Dürfen wir das Leben nicht geniessen? Denn dafür steht es ja, das schöne Glas Wein – für den Lebensgenuss, dieses bisschen Luxus, das wir uns doch gerne gönnen und das durchaus auch mit Achtsamkeit zu tun hat. Wir können doch nicht dauernd genügsam und bescheiden sein…

Gut, es gibt da den Unterschied zwischen Trinken und Betrinken. Insofern können wir auch diesen Appell einigermassen verdauen. Das entspannende Glas Wein bei Sonnenuntergang darf also weiterhin sein, solange wir es bewusst geniessen und nicht einfach nur die Wirkung brauchen. Vor allem weil das mit dem Heiligen Geist nicht mehr so einfach und naheliegend ist. Sind wir doch mal ehrlich: Sich mit dem Heiligen Geist erfüllen zu lassen, tönt schon sehr nach unkontrolliertem Zucken oder Zungenreden, nach dieser überschäumenden Frömmigkeit, für die wir hier im zwinglianischen Zürich nicht gerade berühmt sind. Und dann noch dies: Einander Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder vortragen. Es ist einfach besser, wenn das Profis machen, dann tönt das wenigstens anständig. Es ist doch eher peinlich, wenn da alle nach Lust und Laune und wenn möglich schief drauflos singen. Obwohl ich in mir eine gewisse Sehnsucht trage, aber lassen wir das lieber.

Um was geht’s eigentlich?

Natürlich um die grosse Frage nach der Lebensführung. Der Epheserbrief spricht in eine bestimmte Situation hinein. Christen und Christinnen bezeichneten sich damals bewusst als «Kinder des Lichts», als diejenigen, welche durch die Zugehörigkeit zu Christus die Wahrheit erfahren durften. Es ist eine klar zweiteilige Sicht auf die Menschheit: die Guten und die Schlechten, die Geretteten und die Verlorenen, die Gerechten und die Dummen. Wie in jedem guten Hollywoodfilm… Wer Christus als Erlöser angenommen hat und getauft ist, gehört klar ins Gottesreich, in die neue Welt – und muss doch in der «alten» Welt leben. Da tut sich eine Spannung auf: erlöst, aber im Unerlösten, neugeboren und doch in den alten Bezügen. Wie lebt sich’s so? Worauf muss ein Christ in dieser Welt achten? Wie soll eine Christin ihr Leben in dieser Spannung gestalten?

Das war die Frage damals. Ich erlebe diese Spannung zwischen meinem Glauben und meiner Lebenswelt heute nicht mehr so drastisch. Ich erlebe aber andere Spannungen, die mich vor dieselbe Frage stellen: Wie lebe ich mein Leben in dieser Welt mit meinem Glauben? Wie gestalte ich mein Leben als eine, die Jesus nachfolgen will?

Mir fallen einzelne Wörter aus unserem Text auf, es sind alles Verben:

Achten

Aufs Leben achten, Achtung haben vor anderen, meine Grenzen beachten, Achtsamkeit…

Je älter ich werde, desto wichtiger wird dieses Verb für mich. Es ist etwas Stilleres als der Respekt, den ich früher immer betont habe, etwas Sorgfältigeres. Jemanden zu beachten, auch mich selber, ist für mich mittlerweile unglaublich wertvoll. Ja, es ist etwas sehr Menschliches, dieser Wunsch, beachtet zu werden, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Beachtung zu bekommen. Ich möchte gesehen werden, ich möchte gehört werden. Und dasselbe auch anderen zuteilwerden lassen. Für mich ist ein selbstbezogenes Leben arm. Immer wieder erlebe ich Menschen, die sich nur um sich selber drehen und dabei trotzdem keine Selbstliebe entwickeln. Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst – achte auf dich, auf die Menschen um dich herum und auf die Kraft, die in und zwischen euch wirkt!

Begreifen

Macht das Beste aus eurer Zeit, gerade weil es schlimme Tage sind. Ihr sollt nicht unverständig sein, sondern begreifen, was der Wille Gottes ist. Dieses Begreifen berührt mich. Ich darf, ich soll meinen Kopf einschalten, nachdenken, bewusst nachfragen und reflektieren. Ich merke, wie wichtig mir das ist, dieses bewusste Begreifen. Auch wenn die Zeiten schlimm sind oder gerade wenn die Zeiten schlimm sind, hilft es mir. Oft geht dann der Kopf voraus: Ich lese viel, ich weiss viel. Danach kommt die emotionale Auseinandersetzung, das Be-Greifen. Diese Suche nach Halt, nach Geborgenheit, nach Sinn. Liebe Gott und deine Nächste wie dich selbst – begreife, was mit dir geschieht, denk über deine Beziehungen nach, reflektiere deinen Glauben und entwickeln dich weiter in der Auseinandersetzung, im Begreifen mit Kopf, Herz und Hand.

Sich erfüllen lassen

So viel gibt es zu tun, überall kann ich machen und nun wird mir dieses passive Verb geschenkt: Ich darf, ich soll mich erfüllen lassen. Einfach Gefäss sein, loslassen und mich beschenken lassen. Wie erlösend! Wie erleichternd! Wie schön! Oder etwa nicht? Nein, manchmal ist es die schwerste Aufgabe: geschehen lassen. Loslassen. Mich nicht abfüllen, sondern erfüllen lassen. Und was, wenn ich die Füllung nicht mag? Was, wenn sie nicht dem entspricht, was ich mir gedacht oder vorgestellt habe? Überhaupt – der heilige Geist, die göttliche Kraft, die da erfüllt, wie ist die denn? Wie wird sich das ausdrücken? Beim Wein weiss ich es wenigstens. Gehe ich das Wagnis ein? Vertraue ich mich dieser Lebendigkeit an? Lasse ich los? Eigentlich dachte ich anfangs, das sei der einfachste Part. Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst – lass der Lebendigkeit Raum in dir, lass sie dich erfüllen und entdecke sie in den anderen! Sie ist göttlich.

Danken

Wie sagt man, fragte kürzlich eine Mutter ihre kleine Tochter, als ich ihr beim Taufgespräch eine Zeichnung zum Ausmalen überreichte. Sie antwortete: «Bitte!». Wir mussten lachen, die Mutter korrigierte: «Nein, das andere…» Danken gehört zur Höflichkeit, aber es ist für mich noch viel mehr. Dankbarkeit ist eine Lebenshaltung. Nicht dieses manchmal doch eher künstliche «Danke», das wir Kindern abverlangen, wenn sie sich viel lieber auf das heiss ersehnte Geschenk stürzen würden, sondern eine Haltung, die unser Leben, unseren Alltag, unsere Beziehungen und auch den Glauben durchzieht. In einem Seelsorgegespräch in meiner Ausbildung erzählte mir eine ältere Frau einmal, dass sie Gott jeden Abend im Gebet für drei Sachen danke, welche sie im Laufe des Tages erlebt hat. Diese Haltung beeindruckte mich. Sie kommt mir in schwierigen Zeiten immer wieder in den Sinn, dann, wenn es mir schwerfällt, dankbar zu sein. Und sie ist mir dann ein Vorbild, um dem Leben wieder neu zu begegnen. Ja, ich kann mich darauf ausrichten, was alles nicht gut ist, was mich verletzt, wütend macht oder mir Sorgen bereitet. Oder ich kann mich darauf ausrichten, was mich erfüllt, meinem Leben Sinn gibt, was mich trägt. Es ist meine Entscheidung. Dankbarkeit ist für mich ein wichtiger Bestandteil meiner Glaubenspraxis und mit ihr auch dieses fröhliche und gemeinschaftliche Singen, das im Epheserbrief beschrieben wird. Tragt euch gegenseitig Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder vor! Ja, dieses Singen steht für mich für die fröhliche, ausgelassene, lebendige Seite des Glaubens, für die erfüllte Haltung der Dankbarkeit – für einen Glauben, der das Leben als Geschenk auffasst. Liebe Gott und deine Nächste wie dich selbst – schau dankbar auf das, was dein Leben ausmacht, und singe, juble, tanze für das Göttliche und deine Mitmenschen und dich.

Amen


Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch


Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

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