Exodus 20,7

Exodus 20,7

 

Predigtreihe zum Dekalog, Februar 2002
Das zweite Gebot (Exodus 20,7) – Walter Meyer-Roscher

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes,
nicht unnütz gebrauchen;
denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen,
der seinen Namen missbraucht.

„Einer nimmt uns das Denken ab
Es genügt
seine Schriften zu lesen
und manchmal dabei zu nicken.

Einer nimmt uns das Fühlen ab
Seine Gedichte
erhalten Preise
und werden häufig zitiert.

Einer nimmt uns
die großen Entscheidungen ab
über Krieg und Frieden
wir wählen ihn immer wieder.

Wir müssen nur
auf ihre Namen schwören
Das ganze Leben
nehmen sie uns dann ab.“

Liebe Gemeinde,

für Erich Fried sind es Menschen, denen wir absolute Macht über
unser Denken und Fühlen, über unsere Entscheidungen und unsere
Taten einräumen. Wir müssen nur auf ihre Namen schwören,
dann denken, fühlen und handeln sie für uns. Wir brauchen uns
in ihre Ideologien und ihre Ordnungen nur einzufügen. Wir brauchen
uns ihren politischen und sozialen Entscheidungen nur anzupassen. Wir
brauchen nur noch zu funktionieren.

Viele wollen das, sie wollen, dass ihnen alle wichtigen Lebensentscheidungen
möglichst abgenommen werden. Sie wollen auch im Alltag sich auf vorgegebene
Ordnungen und vorgefertigte Meinungen verlassen. Sie wollen vorformulierte
Urteile. Deshalb sind sie bereit, auf Namen zu schwören und sich
ihr Leben von denen, die „einen Namen haben“, abnehmen zu lassen.

Noch einfacher wäre es ja, nur auf einen Namen schwören
zu müssen – einen Namen, hinter dem ein allmächtiger Wille sichtbar
wird; einen Namen, der die Weltgeschichte und die Geschicke der Menschen
bewegt, einen Namen, der für das Wissen um Gut und Böse steht.

Wer auf diesen Namen schwört, braucht sich um sein Leben keine Gedanken
mehr zu machen. Er ist dem täglichen Kampf um sachgemäße
Entscheidungen und richtiges Handeln entronnen. Er weiß seinen eigenen
Willen von einer höheren Macht wahrgenommen und in einer höheren
Ordnung aufgehoben. Am Ende wartet eine Belohnung von Ewigkeitswert.

Dabei könnten wir uns ja auf die Bibel berufen. Sie redet schließlich
vom Vertrauen auf Gott, dessen Namen wir meinen. Sie redet vom Gehorsam
gegenüber seinem Willen und von der Hoffnung auf die Erfüllung
seiner Verheißungen. Aber meint sie auch, dass alle, die auf den
Namen dieses Gottes schwören, sich um ihr Leben, um eigenes Denken
und einen eigenen Willen keine Gedanken mehr machen müssen, dass
Gott uns alle Lebensentscheidungen abnimmt? Will er das überhaupt?
Wo bleibt dann die Freiheit, zu der wir berufen sind, wie die Bibel ebenfalls
ganz eindeutig feststellt? Wo bleibt die Verantwortung, die nach dem Zeugnis
der Bibel der Schöpfer den Menschen mit dem Schöpfungsauftrag
übergeben hat?

Die Freiheit, sich zwischen Gut und Böse entscheiden zu können,
und die Verantwortung, sich entscheiden zu müssen, gehört für
die Bibel zum Menschsein hinzu. Gott selbst hat mit seinen Geboten einen
Rahmen für den Gebrauch der Freiheit und die Wahrnehmung der Verantwortung
abgesteckt. Wer jedoch auf den Namen Gottes schwört, um ihm die alleinige
Verantwortung für das eigene Leben und für unsere Welt zuzuschieben
oder auch die eigenen Vorstellungen und Ziele an seinen Geboten vorbei
in seinem Namen zu rechtfertigen, macht es sich zu einfach. „Du sollst
den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen“, lautet eines
der Gebote Gottes. Martin Luther hat es als das 2. Gebot in seinen „Kleinen
Katechismus“ aufgenommen. Er spricht von einem „unnützen“
Gebrauch des Gottesnamens. Gemeint ist ein Gebrauch dieses Namens, um
– bewusst oder unbewusst – Unheil gegen andere zu stiften. Gottes Name
darf nicht in eine Sphäre des Unheils und des Bösen hineingezogen
werden – weder durch Missachtung der Wahrheit, noch aus betrügerischer
Absicht oder um eigene Zwecke und Ziele unter Berufung auf Gottes Absichten
und Gottes Recht durchzusetzen.

Auf den Namen Gottes schwören und Unheil gegen andere stiften –
der Ausdruck „Gotteskrieger“ legt diesen Zusammenhang nahe.
Nicht zu Unrecht ist er deshalb kürzlich zum „Unwort“ des
Jahres 2001 erklärt worden. Es gehe hier um „Verbrecher, die
den Namen Gottes für sich in Anspruch nehmen“, hat die Jury
zur Begründung ausgeführt. Sie hat ebenfalls den Ausdruck „Kreuzzug“
als Umschreibung für die militärische Vergeltung der Terroranschläge
solcher „Gotteskrieger“ gegeißelt.

Mit dem „Unwort“ sollen Begriffe gerügt werden, welche
nach dem Urteil der Jury „die Erfordernisse sachlicher Angemessenheit
und humanen Miteinanders besonders deutlich verfehlen“. Das 2. Gebot
rügt nicht nur, sondern warnt gleichzeitig: Auf den Namen Gottes
schwören und Unheil gegen andere stiften, bleibt nicht ungestraft,
weil es zu immer neuem Unheil wird und einen Sog entwickelt, der Leben
beeinträchtigt, oft sogar zerstört – das der Opfer und das der
Täter. Wer meint, Leiden und Tod unschuldiger Menschen zur Erreichung
eines gerechtfertigten Ziels im Namen Gottes in Kauf nehmen zu können,
missbraucht diesen Namen, denn Gott will durch alle seine Gebote Leben
schützen und ein menschenwürdiges, gerechtes und friedliches
Miteinanderleben ermöglichen. Das ist auch die Zielrichtung des Gebots,
seinen Namen nicht zum Unheil zu gebrauchen.

Aber können wir Gott überhaupt bei einem Namen nennen? Hat
er einen Namen, der sein Wesen oder sein Handeln kennzeichnet? In einer
Art Präambel zu den 10 Geboten, wie sie im 2. Buch Mose (Kapitel
20) überliefert werden, antwortet Gott selbst auf solche Fragen,
indem er den Blick seines Volkes auf dessen Anfang zurücklenkt: „Ich
bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus der Knechtschaft geführt
habe.“ Gottes Name ist mit der Geschichte seines Volkes von damals
bis heute verbunden. Gottes Name hat mit der Befreiung aus allen Formen
von Versklavung, in die Menschen durch eigene Schuld oder durch Gewalt,
Machtmissbrauch und Egoismus anderer geraten, zu tun.

Auch kritiklose Unterwerfung und blinde Anpassung an die, die uns das
Leben abnehmen wollen, führt in Unfreiheit und selbstverschuldete
Knechtschaft. Aus solcher Versklavung will Gott befreien, und er will,
dass wir diese Freiheit nutzen, aber nun eben nicht, um auf seinen Namen
zu schwören mit dem Wunsch und Willen, uns von ihm unser Leben abnehmen
zu lassen oder die eigenen Ziele mit göttlicher Autorität zu
verbrämen Die Freiheit, zu der Gott befreit, bedeutet die Herausforderung,
zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und unsere Lebensentscheidungen
bewusst für das Gute und gegen das Böse, gegen alles Unheil,
das Leben bedroht und zerstört, zu treffen.

Die Freiheit, auf die Gottes Name hinweist, bedeutet die Übernahme
von Verantwortung für das Leben, gerade auch für alles schwache
und bedrohte Leben, für Gerechtigkeit und für ein mitmenschliches,
menschenwürdiges Zusammenleben, für Versöhnung, gegen blindwütigen
Hass und zerstörerische Rache. Dabei dürfen wir uns auf Gott
berufen.

In Gottes Namen die Befreiung aus aller Versklavung bejahen und nutzen,
gleichzeitig die Verantwortung für den Schutz des Lebens in dem durch
seine Gebote gesteckten Rahmen wahrnehmen – das ist eine Lebensaufgabe,
die uns niemand abnimmt. An der Person, am Leben und am Handeln Jesu wird
für uns diese Herausforderung in unüberbietbarer Weise deutlich.

Da verbindet sich der Name Gottes mit dem Namen eines Menschen, der in
Gottes Auftrag seine Gebote zu einem „Doppelgebot der Liebe“
zusammengefasst hat: Du sollst Gott lieben… und deinen Nächsten
wie dich selbst“. Aus einzelnen Akten von Gebotserfüllung und
Gehorsam wird eine Lebenshaltung der Gottes- und Nächstenliebe. Jesus
hat sie bis zur Hingabe des eigenen Lebens bewährt und er hat dabei
bis zum letzten Augenblick weder an Gewalt noch an Vergeltung im Namen
Gottes gedacht.

Für ihn hat Gottes Name gerade in der Tiefe von Ohnmacht, Einsamkeit
und Angst einen neuen Klang bekommen. Der aus Versklavung befreit, ist
für ihn zum Vater geworden. Seitdem können auch wir sagen „Unser
Vater im Himmel“. Wenn wir uns auf diesen Namen berufen, können
wir darauf vertrauen, dass er unser Leben in menschenfreundlicher Zuwendung
begleitet. Das macht Mut, sich auf die lebenslange Herausforderung einzulassen,
geschenkte Freiheit zu nutzen und aufgetragene Verantwortung wahrzunehmen.
Wir halten uns dabei an den, der uns gelehrt hat, „unser Vater“
zu sagen. In seinem Geist unsere Lebensentscheidungen zu treffen, wird
zu einer Lebenshaltung, die Gottes Namen, wie wir es im Vaterunser erbitten,
ehrt und heiligt. Das meint Martin Luther, wenn er in der Erklärung
zum 2. Gebot sagt: „wir sollen Gott fürchten und lieben, dass
wir … ihn in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken“.

Amen

Walter Meyer-Roscher
Landessuperintendent i.R., Hildesheim
E-Mail: meyro-hi@t-online.de

 

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