Genesis 2, 4b-15

Genesis 2, 4b-15

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


15. Sonntag nach Trinitatis,
8. September 2002
Predigt über 1. Mose 2, 4b-15, verfaßt von Friedrich Seven
4bEs war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte.
5 Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden,
und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der
Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da,
der das Land bebaute; 6 aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete
alles Land.
7 Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm
den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges
Wesen.
8 Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und
setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.
9 Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume,
lieblich anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im
Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
10 Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und
teilte sich von da in vier Hauptarme.
11 Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila,
und dort findet man Gold;
12 und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz
und den Edelstein Schoham.
13 Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land
Kusch.
14 Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich
von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat.
15 Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden,
daß er ihn bebaute und bewahrte.

Liebe Gemeinde,

viele von uns werden einen Garten Eden kennen, vielleicht nur aus ihrer
Kindheit, vielleicht aber kennen und besuchen sie noch heute ein Stück
Land, das für Sie die Erinnerungen an das Paradies wachhält.

Bei mir ist solch ein Stück Land der Garten einer dänischen
Pfarrei auf Jütland, den ich erstmals besuchte, als ich nach dem
Gottesdienst zum Kirchenkaffee eingeladen wurde.

Wir saßen auf einer Terrasse umgeben von wilden Rosensträuchern,
die doch den Blick freiließen auf alte Linden, Birken und in eine
Ferne, die bis zu einer hohen Hecke immer noch Garten war. Ein Landwirt
würde die Maße dieses Grundstücks einen Morgen nennen.

Hinter der Hecke war die Landschaft erkennbar, Wiesen und Schilfgras
am Ufer des großen Fjords, der sich hier quer über die ganze
Insel zieht.

Das Gespräch ging noch ganz um das gegenseitige Kennenlernen, und
ich war froh, in dem alten Pfarrer jemanden getroffen zu haben, der gerne
und sehr gut meine Sprache sprach.

Er lebte und tat in dieser Pfarrei seit dreißig Jahren seinen Dienst,
seine Kinder waren hier geboren worden, hier aufgewachsen, von hier aufgebrochen
und kehrten gelegentlich hierhin zurück, mit Enkelkindern, wie die
Schaukeln an den starken Ästen einiger Bäume verrieten.

Nach dem Kaffee, aber noch nicht zum Abschied führte er mich dann
in seinen Garten und zeigte mir, wie über die Jahre und Jahrzehnte
hin er diesen Garten angelegt hatte und wie jede größere Anlage,
etwa die Terrassen, die hier nach Westen hin aufgeschichtet worden waren,
auch ein Stück Familiengeschichte bedeuteten. “ Hier haben meine
Jungens mit ihren Freunden in den Osterferien Schubkarre für Schubkarre
heranbewegt, und dort drohte es immer wieder abzurutschen.“ “
Hier habe ich mit meiner Frau einen Küchengarten angelegt.“
„Der wunderschöne Rosenstrauch ist ein Geschenk der Gemeinde
an meine Frau.“ So wusste er zu erzählen, zu unterhalten und
den Gast auch gehörig zu beeindrucken.

Als ich mich dann, nachdem die Kirchenglocke bereits Mittag geläutet
hatte, verabschiedete und noch einmal von einer kleinen Anhöhe auf
den ganzen Garten schaute, atmete ich tief ein und aus und genoss für
eine lange Weile danach noch das ruhige Atmen. Mein Gastgeber hatte dies
wohl erwartet.

Dem Pfarrer blieb ich verbunden. Inzwischen ist er verstorben. Ihn und
seinen Garten behalte ich in guter Erinnerung.

In diesem Garten schienen alle Maße zu stimmen, hier waren Sinn
für Schönheit, praktischer Verstand für das Nahrhafte und
Nützliche und die Bereitschaft zu harter Arbeit über eine lange
Zeit, fast eine kleine Ewigkeit lang zusammengekommen.

Der ganze Unterschied zwischen einem Garten und den sogenannten landwirtschaftlichen
Nutzflächen wurde hier augenfällig. Nützlich und ertragreich
war dieser Morgen Land zwar auch, aber er lud daneben zum Verweilen ein,
zum Schmecken und Schauen. Er war ein Ort der Arbeit und des Lebens, ein
Ort, in dem die Arbeit dem Leben und den vielen kleinen Erlebnissen galt,
von denen hier erzählt werden konnte.

Viele hätten gern einen solchen Ort, an dem sich einfach nur leben
lässt, ohne dass Nichtstun zum Zwang würde, ein Ort, an dem
das Wachsen und Reifen noch geschaut und geschmeckt werden kann. Doch
auch wenn viele gerne solch einen Garten hätten, können nicht
alle solch ein Stück Land genießen. Auf jedem Dachgarten jedoch,
in Tausenden von Schrebergärten und beim Besuch der öffentlichen
Parks wächst und gedeiht die Hoffnung auf ein wenig Garten Eden.

Sicher, bei all diesen Gärten wird neben der Hoffnung auch viel
von der Verzweiflung darüber deutlich, dass der Garten Eden uns verschlossen
ist. Der Pfarrgarten auf Jütland und all die anderen Gärten
sind immer auch Wahrzeichen einer Sehnsucht, die nicht zu erfüllen
ist, und das Paradies muß immer wieder neu versprochen werden.

Versprochen werden muß ein Bereich, der ausreichen könnte
zum Leben und vor allem, in dem es sich zu leben lohnt. Ein Garten mit
überschaubaren Maßen, aber gleichzeitig mit einer Verbindung
zur übrigen Welt, die diese Welt gliedert und erschließt.

Der Garten Eden, von dem die Bibel erzählt, ist solch ein Land:
von Gott urbar und fruchtbar gemacht, über einen Strom mit der übrigen
Welt wie mit einer gemeinsamen Lebensader verbunden und als ein Ort angelegt,
in dem der Mensch frei atmen und leben soll. Und wie in jedem Garten,
so sollte auch hier dem Menschen die Aufgabe bleiben, zu bebauen, zu bewahren
und vor allem auch sich zu bewahren.

Der Garten Eden ist diesem Menschen so angemessen, dass uns erzählt
wird, der erste Mensch sei aus der Erde dieses Gartens von Gott selbst
gemacht, und die bleibende Verbindung mit Gott sei über dessen Atem
geschehen. Gott habe dem Menschen seinen Atem gegeben, damit dieser nun
selbst ein- und ausatmen und damit leben könne in einem Garten von
einer Erde, von der er selbst genommen ist.

Der Mensch lebt, doch der Garten Eden ist ihm verschlossen und nur noch
erinnerbar in Gärten, die viele Menschen sich anlegen wie ihre wahre
Heimat. Aber die Sehnsucht nach dem Garten Eden, der verlorenen Heimat,
bleibt in allen Gärten und davor und dahinter die gleiche.

Der Ort, wo das Atmen wie ein Geschenk erfahren wird, muß immer
wieder gesucht werden und kann nur so selten für Sekunden gefunden
werden.

Die Atemwende bleibt ein sicheres Zeichen dafür, dass ich zum Leben
notwendig etwas brauche, was mir von außen zukommen muß, so
wie in diesem Garten Gott war, der dem Menschen von seinem Atem gegeben
hat.

Den dänischen Pfarrgarten gibt es wohl immer noch, und gewiß
wird in ihm schon wieder an einer neuen Familiengeschichte geschrieben.

 

 

 

 

 

 

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
05521/2429
e-mail: friedrichseven@compuserve.de

 

 

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