Jeremia 1,4-10

Jeremia 1,4-10

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


9. Sonntag nach
Trinitatis

20.8.2000
Jeremia 1,4-10

Klaus Stolz


Liebe Gemeinde,
über meinen ehemaligen Hausarzt habe ich
öfters den Satz gehört: Das ist wirklich ein geborener Arzt. Und dem
konnte ich gut zustimmen: Ein geborener Arzt war er, weil jeder seiner
Patienten merkte: Er übt diesen Beruf nicht nur als Beruf aus; anderen zu
helfen und sie zu heilen das war seine Berufung. Nicht immer muss sich das ja
so glücklich zusammenfügen, dass der Broterwerb – der Beruf – und die
Berufung – das, was man gerne tut und wofür man besonders geeignet ist –
in eins fällt. Manchmal fällt es ja auch uns selbst schwer, so
einfach zu sagen: Da liegen meine Stärken, weil so manche Begabung und so
manches Talent vielleicht noch im Verborgenen schlummern.

Unser heutiger Abschnitt zur Predigt erzählt von Beruf und
Berufung eines Mannes, der – hätte er es sich aussuchen können – wohl
alles andere geworden wäre als ein Prophet. In den ersten Versen seines
Buches aber hat Jeremia aufgeschrieben, warum er dennoch diesen Beruf ergriffen
hat, ja ergreifen musste. Hören wir auf Jeremia 1, 4-10:

Und des Herrn Wort geschah zu mir:
Ich kannte dich, ehe ich
dich im Mutterleib bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter
geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.

Ich aber sprach: Ach Herr, Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin
zu jung.
Der Herr sprach aber zu mir: Sage nicht: ich bin zu jung, sondern
du sollst gehen, wohin ich dich sende und predigen alles, was ich dir gebiete.

Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich
erretten, spricht der Herr.
Und der Herr streckte seine Hand aus und
rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe ich lege meine Worte in
deinen Mund.
Siehe, ich setze dich heute über Völker und
Königreiche, daß du ausreißen und einreißen,
zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Gott kennt mich

Eine ganz überraschende Erfahrung lese ich aus diesen Zeilen
heraus: Gott kennt mich, besser sogar als ich selbst und andere mich kennen.
Gott kennt mich. Er hat einen Blick für mich, und Gott weiß von
Fähigkeiten und Begabungen, die noch ganz tief schlummern in mir und die
ich selbst vielleicht noch nicht entdeckt habe. Ein schöner Gedanke ist
das für mich, dass Gott an mir nicht nur sieht, woher ich komme, wie ich
jetzt bin und was ich aus meinem Leben gemacht habe. Gott sieht offenbar tiefer
und weiter. Gott sieht auch, was noch aus mir werden kann, wozu ich begabt bin,
welche verborgenen Schätze in mir liegen.

Wir sind doch keine Propheten – mag man nun vielleicht einwenden.
Ja, aber vielleicht werden wir zu welchen, weil Gott ja auch heute Menschen
braucht, die ganz alltäglich seinen Standpunkt vertreten. Ich bin doch
nichts besonderes – mag man nun vielleicht einwenden. Ja, aber vielleicht werde
ich heute auf eine Besonderheit aufmerksam, die Gott mir anvertraut hat. Jeder
und jede von uns ist ein Original. Ein Original, mit dem sich der Künstler
Gott viel Mühe gemacht hat. So wie sich freilich auf einem Gemälde
Schmutz ablagert, der die ursprünglich schönen Farben und Konturen
verdunkeln kann, kann auch in unserem Leben so manches verdunkelt und
verschüttet werden. Sind es da nicht immer wieder auch Gottes gute Worte,
die uns wie Jeremia rufen und ansprechen? Auch und gerade du bist ein von Gott
geliebtes Original. Ist nicht jeder Gottesdienst für uns so etwas wie eine
kleine Berufung: Gott kennt dich. Viel Gutes hat er auch in dich gelegt.

Gott braucht mich

Jeremia selbst hielt sich für den Beruf des Propheten
zunächst für ungeeignet: „Ach Herr, ich tauge nicht zu predigen. Ach
Herr, ich bin zu jung.“ Gerade seine Bedenken bringen mir diesen Jeremia
menschlich nahe, denn seine Zweifel sind oft auch meine Zweifel. Kann ich das
wirklich, Gottes Wort weitersagen in unserer Zeit? Fehlen mir nicht oft die
guten Ideen, die zündenden Beispiele, die originellen Formulierungen
für meine Predigten ? Bin ich wirklich geeignet im Dienst für Gott?
Gott antwortet dem Jeremia auf seine Einwände unmissverständlich:
„Tu, was ich dir sage.“

Was auf den ersten Blick hart und kompromisslos klingt, ist
letztlich doch eine große Entlastung, die auch mir gut tut. Denn ich
höre aus der Antwort Gottes: Sein Bote soll ich sein, nicht weniger, aber
eben auch nicht mehr.

Gottes Boten sind wir, die Pfarrerinnen und Pfarrer im besonderen,
aber wir als Christinnen und Christen überhaupt. Gottes Boten sind wir –
nicht weniger, aber eben auch nicht mehr,

Gott braucht auch heute in unserer Kirche und in unserer Zeit
keine Superchristen. Gott braucht keine religiösen Hochleistungssportler
und keine geistlichen Supergenies. Auch mit meinem manchmal armseligen Glauben
kann Gott etwas anfangen. Auch wenn ich selbst mit vielen Fragen nicht im
Reinen bin, Gott hat für mich trotzdem einen Plan und eine Aufgabe. Auch
wenn ich vielleicht zögere wie Jeremia. Auch mich hat Gott als Christen
von Anfang an „ausgesondert“: Gott hat mich – denken wir an unsere Taufe – von
Anfang an aufgenommen in seine Familie. Ich konnte und ich musste da
zunächst gar nichts dazutun. Von Anfang an bin ich Gott damit wichtig und
wertvoll,

In dem 25-jährigen Priestersohn, der sich nicht ins
Rampenlicht drängte, der lieber nicht auffiel, erkannte Gott seinen
Propheten. Er sollte dort von Gott erzählen, wo die Menschen Gott
vergessen haben. Er sollte sich da einmischen in Gottes Namen, wo man Gott
lieber ausklammern wollte, bei politischen Entscheidungen zum Beispiel – und
wir fragen zurecht, ob das heute soviel anders ist. Jeremia musste seinen
Zeitgenossen auch so manche unbequeme Wahrheit im Namen Gottes sagen, weil
Gottes Willen eben nicht immer zum Zeitgeist passte und passt. In Jeremia
erkannte Gott den richtigen Mann für diese Aufgabe. In mir erkennt Gott
den Pfarrer, der seinen Dienst in der Kirche tut; in mir erkennt Gott die
Kirchenvorsteherin, die mitentscheidet für die Gemeinde; in mir erkennt
Gott den Jugendlichen, der neue Ideen mitbringt und kritische Fragen stellt.
Auch und gerade mich ruft Gott, weil er mich braucht. Höre ich sein Rufen?
Merke ich, wo ich gebraucht werde?

Mehr Zivilcourage fordern viele Verantwortliche zurecht in den
vergangenen Wochen angesichts von abscheulichen und sinnlosen Gewalttaten.
Für uns Christen sollte diese Forderung eigentlich nichts Neues sein: Wer
von seiner unverwechselbaren Würde weiß, die Gott ihm schenkt, kann
nicht mit ansehen, wie die Würde anderer Menschen in den Schmutz getreten
wird. Als Christen haben wir eine besondere Verantwortung, Vorurteile zu
„zerstören“, dumme und gefährliche Parolen – von wem auch immer –
„auszureissen“ und stattdessen Menschlichkeit und gegenseitige Achtung zu
„pflanzen“. Als Christen ist es unser Beruf und unsere Berufung, wie der
Prophet damals Unrecht beim Namen zu nennen, auch wenn es uns Überwindung
kostet und manchmal vielleicht selbst in Schwierigkeiten bringt.

Gott schützt mich.

Von Jeremia wissen wir ja auch, dass sein Leben durch die Berufung
zum Propheten nicht leichter wurde. Mit Spott musste er fertig werden, die
eigenen Verwandten trachteten ihm nach dem Leben, Konflikte mit staatlichen
Machtträgern und der Tempelpolizei blieben nicht aus. Um so wertvoller ist
ihm darum wohl der Zuspruch Gottes von Anfang an gewesen: „Fürchte dich
nicht, denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr.“

So wie wir in jedem Gottesdienst von Gott gerufen und berufen
werden, steht nicht ohne Grund am Ende auch für uns im Segen Gottes
Zuspruch bereit: Fürchte dich nicht, wenn du nun weitergehst in den
Sonntag und die neue Woche. Fürchte dich nicht vor dem, was auf dich
einstürmt, was dich bedrängen und bedrücken kann. Ich, dein
Gott, der dich kennt – ich, dein Gott der dich braucht – ich, dein Gott, stehe
dir zur Seite.

Amen

Pfarrer Klaus Stolz
Dr.-Martin-Luther-Ring 2
92685
Floß
Tel.: 09603-8394, Fax: 09603-91248

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