Jesaja 51,9-16

Jesaja 51,9-16

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


4. Sonntag
nach Epiphanias, 28. Januar 2001

Predigt über Jesaja 51,9-16, verfaßt von Heinz
Janssen


9 Der HERR greift ein mit Macht und Trost
Wach auf,
wach auf, zieh Macht an, du Arm des HERRN! Wach auf, wie vor alters zu Anbeginn
der Welt! Warst du es nicht, der Rahab zerhauen und den Drachen durchbohrt hat?

10 Warst du es nicht, der das Meer austrocknete, die Wasser der
großen Tiefe, der den Grund des Meeres zum Wege machte, daß die
Erlösten hindurchgingen?
11 So werden die Erlösten des HERRN
heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem
Haupte sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen
wird von ihnen fliehen.
12 Ich, ich bin euer Tröster! Wer bist du
denn, daß du dich vor Menschen gefürchtet hast, die doch sterben,
und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen,
13 und hast des HERRN
vergessen, der dich gemacht hat, der den Himmel ausgebreitet und die Erde
gegründet hat, und hast dich ständig gefürchtet den ganzen Tag
vor dem Grimm des Bedrängers, als er sich vornahm, dich zu verderben? Wo
ist nun der Grimm des Bedrängers?
14 Der Gefangene wird eilends
losgegeben, daß er nicht sterbe und begraben werde und daß er
keinen Mangel an Brot habe.
15 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der das
Meer erregt, daß seine Wellen wüten – sein Name heißt HERR
Zebaoth -;
16 ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt und habe dich unter
dem Schatten meiner Hände geborgen, auf daß ich den Himmel von neuem
ausbreite und die Erde gründe und zu Zion spreche: Du bist mein Volk.

Die in der Predigt zitierten kursiv geschriebenen Bibeltexte
können von einer anderen Stimme übernommen werden, um den
Zuspruchcharakter der Botschaft des „Evangelisten des Alten Testaments“ (Jesaja
40-55) hervorzuheben.

Liebe Gemeinde!

„Gott greift ein mit Macht und Trost“, so lautet die
Überschrift über den Predigttext in der Bibelübersetzung von
Martin Luther. Der heutige 4.Sonntag nach Epiphanias hat Gottes überlegene
Macht über die Naturmächte zum Thema, was auch das Sonntagsevangelium
von der Stillung des Sturmes durch Jesus veranschaulichen will. Als der Sturm
gestillt war, sprach Jesus: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch
keinen Glauben?“ (Markus 4,40) Wie die Geschichte von der Sturmstillung,
so ruft uns auch der Predigttext zum Vertrauen auf Gottes Macht – damit alle
Furcht weicht. I. Wir hören diesen prophetischen Text aus dem Buch Jesaja
einen Tag nach dem 56.Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager von
Auschwitz. Aus der israelitisch-jüdischen Glaubenstradition stammt der
Text, aus der Hebräischen Bibel, dem Ersten Testament, wie viele heute
betonen. Wie kann man nach Auschwitz von Gott und seiner Macht reden? – Und da
sind auch die fast täglichen Meldungen von Katastrophen und
Zerstörungen, die uns mit der Frage nach der Gerechtigkeit konfrontieren,
und immer gegenwärtig sind nicht zuletzt die persönlichen Nöte,
die Lebensschicksale jedes einzelnen Menschen.

Ob auf der Welt Dinge geschehen, die Gott weder verursacht hat
noch zu verhindern vermag? Auch als Christen stehen wir – wie damals das
jüdische Volk – vor so schrecklichen Katastrophen fassungslos.

„Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm des
HERRN!“
– Mit einem Hilferuf an den „Arm Gottes“ beginnt der
prophetische Text. Vielleicht haben wir es vorhin beim Hören schon
gespürt, wie dieser Text aus der Tiefe, aus der Bedrängnis
menschlicher Existenz, kommt. „Arm Gottes“, das ist in der
Hebräischen Bibel ein Bild für Stärke, Kraft und Macht Gottes.

Die Israeliten haben es schon als Kinder gelernt, wie das mit den
Anfängen ihrer Geschichte: Gott hat sich am Anfang mächtig erwiesen,
als er die Israeliten aus ägyptischer Knechtschaft befreit hat und sie
heil durch das Meer in die Freiheit führte. „Wach auf, wach auf,
zieh Macht an, du Arm des HERRN!“
Die so um Hilfe riefen, waren
gefangene Judäer in Babylon, im 6.Jahrhundert vor Christus. Ihre
Gefangenschaft brachten sie in Verbindung mit der einstigen
„Gefangenschaft“ ihrer Väter und Mütter in Ägypten.
Ihre Hoffnung auf Befreiung mit der einstigen Rettungs- und Befreiungstat
Gottes am Schilfmeer: „Warst du es nicht,… der den Grund des Meeres
zum Wege machte, daß die Erlösten hindurchgingen?“ / „So
werden die Erlösten des HERRN heimkehren und nach Zion kommen mit
Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freude werden
sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen“

(V.10f.).

II. Mit ihrer Empfindung, Gott aufwecken zu müssen, verband
sich offensichtlich das Gefühl, Gott schlafe und kümmere sich nicht
um die Not seines Volkes – ganz im Gegensatz zu der Wahrnehmung des betenden
Menschen von Psalm 121: „Siehe, der Hüter Israels schläft
noch schlummert nicht…“

Wie oft hat Israel jenem Gefühl des Von – Gott –
Verlassenseins in den Gottes-diensten, an den Wasserflüssen Babylons
Ausdruck verliehen, seine Verzagt-heit vor Gott gebracht, seine Klagen
über die hereingebrochene Katastrophe, über den Verlust und die
Verwüstung des Landes, die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, dem
Symbol für Hoffnung und Nähe Gottes.

So konkret ist dieser Bibeltext, so in das Leben verflochten,
gerade nicht über dem Alltag unseres Lebens schwebend! Voller Sehnsucht,
aber auch schon in der Gefahr zu resignieren, blicken die Geschlagenen
zurück auf Gottes frühere Macht – auf Gottes Schöpfung, wie er
das Chaos bändigte. Mit kräftigen Bildern unter Einbeziehung
babylonischer Schöpfungsmythen, wird Gott an seine einstige
Überlegenheit erinnert: „Warst du es nicht, der Rahab – Symbol
für das Chaos – zerhauen und den Drachen – Symbol für das
Böse – durchbohrt hat?“ Sie denken daran, wie Gott hilfreich
in die Geschichte seines Volkes eingegriffen hat – damals am Meer, als die in
Ägypten Geschundenen den Boden der Freiheit betreten durften.

„An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn
wir an Zion gedachten…“
, heißt es in Psalm 137. Kennen wir
nicht alle mehr oder weniger solche Gefühle des Verzagtseins und des
Rückblicks auf bessere Zeiten? Bedenken wir, wie unsere
„älteren“ Schwestern und Brüder damals in babylonischer
Gefangenschaft saßen und weinten. Ihre Situation, ihr Trauern und
Seufzen, ging an Gott nicht vorüber. Gott vergewissert sein Volk:
„Ich, ich bin euer Tröster…“ Indem der Prophet das Ich
Gottes so betont, will er die Aufmerksamkeit des niedergeschlagenen Volkes
dorthin weisen, von woher ihm wirklich geholfen werden kann: auf Gott.

Der israelitisch-jüdische Gottesname bedeutet nach einer
schönen Umschreibung des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber:
Gott ist für euch, ist für euch da. – Wenn es uns z.B. in der
Konfirmandenzeit oder in der Arbeit der anderen kirchlichen Gruppen nur
gelingt, dies zu „buchstabieren“: Gott ist für uns, ist für
uns da! Im vielstimmigen Chor der Heilszusagen Gottes klingt der Cantus firmus
hindurch: dass die Mutlosen ermutigt werden und für die Gefangenen bald
die Zeit der Befreiung anbricht, ein nach der Befreiungsnacht in Ägypten
zweiter, ein neuer Exodus. „Die Wüste wird blühen…“,
heißt es in einem neueren Lied. (Hier kann der Kantor/die
Kantorin das Lied intonieren, vielleicht auch mit der Gemeinde
singen.)

III. Wege werden sich auftun… – Gott ermutigt in dem alten
Prophetenwort zur Furchtlosigkeit: „Wer bist du denn, daß du dich
vor Menschen gefürchtet hast, die doch sterben, und vor Menschenkindern,
die wie Gras vergehen und hast Gott vergessen, der dich geschaffen hat…Wo ist
nun der Grimm des Bedrängers? Der Gefangene wird eilends losgegeben.“

Nicht alle haben damals auf die Trostbotschaft gehört – das
ist heute nicht anders. Aber jenen, die sie hörten und sie auch heute zu
Herzen nehmen, gab und gibt sie Kraft – gerade angesichts vieler
Bedrängnisse – Kraft und Hoffnung zum Weitergehen. Gott kommt auch noch
heute vielfältig, oft unscheinbar zu uns in unsere Not und spricht:
„Ich, ich bin euer Tröster…“ – Was bringt dieser
Zuspruch bei uns zum Klingen – bei Kindern, Jugendlichen, Erwachse-nen? Auf
welche persönlichen Notsituationen fühlen wir uns angesprochen? – Ich
bin dankbar für diese Botschaft. Wir wollen die Menschen gerade in diesen
Tagen nicht vergessen, denen wir sie verdanken.

Gott tröstet – das bedeutet im biblischen Sinn: Gott richtet
auf. Das hebräische Wort bezeichnet auch ein heftiges Atmen und tiefes
Seufzen. So sehr ist es diesem Gott darum zu tun, uns aufzurichten, jeden
einzelnen Menschen, seine Geschöpfe, sein Volk und seine Gemeinde. Gott
hat dafür seine Boten, seine Engel. Vielleicht meldet sich „dein Engel“
mit einem unverhofften Brief, einem Telefonanruf, einer e-Mail und nimmt im
richtigen Augenblick Verbindung mit dir auf.

Da kann der Zuspruch Gottes plötzlich ganz konkret werden:
„Ich, ich bin euer Tröster“, spricht Gott. Diesen
„Trost des Evangeliums“, den wir schon aus dem Alten Testament
hören und in den sich Jesus hineingestellt hat, meint auch der einladende
Wochenspruch (Psalm 66,5): „Kommt her und sehet an die Werke Gottes, der so
wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern“. Amen.

Liedvorschläge: Gott gab uns Atem (EG 432), Laudate omnes
gentes (EG 181.6), Singet dem Herrn ein neues Lied (EG 287)

Heinz Janssen, Pfarrer an der Providenz-Kirche zu Heidelberg
und Lehrbeauftragter für AT (Universität Frankfurt/M.)
Evang.
Pfarramt Providenz
Karl-Ludwig-Str.8a
69117 Heidelberg
e-mail: providenz@aol.com


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