Jesaja 52, 7-10

Jesaja 52, 7-10

 


4.
Advent, 23. Dezember 2001
Predigt über Jesaja 52, 7-10, verfaßt von Christian Zippert

(7) Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten,
die da Frieden verkünden, Gutes predigen, Heil verkündigen,
die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!
(8) Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander;
denn alle Augen werden es sehen, wenn der Herr nach Zion zurückkehrt.
(9) Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems;
denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.
(10) Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker,
dass aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes.“

Wie schön, eine gute Nachricht zu bekommen! Wir haben uns Sorgen
um einen Menschen gemacht, an dem uns viel liegt. Wir hören, dass
es ihm gut geht. Wir haben Schmerzen und fürchten, es ist etwas Bösartiges.
Wir hören, dass es so schlimm nicht ist. Wir haben uns Mühe
gegeben mit einer Aufgabe und zweifeln an unserem Erfolg. Wir hören,
dass sie gelungen ist. Wie schön ist das! Unglaublich schön!

So auch die Nachricht, um die es Jesaja geht: Israel sitzt in der Verbannung,
fern der Heimat in Babylon. Fern auch von Gott, im Elend, fast hoffnungslos.
Die Männer haben Arbeit, die Familien ihr Auskommen. Das Leben geht
weiter, wie man so sagt. Aber da ist keine Freude am Leben, kein lohnendes
Ziel vor Augen. Alle Mühe scheint sinnlos. Und Gott schweigt.

Aber einer sieht mehr als die anderen. Er hat Hoffnung. Und mit seiner
Hoffnung will er sie anstecken. Er glaubt an Gott, an seine Liebe zu Israel.
Und diesen Glauben will er mitteilen. Er spricht von der Heimkehr nach
Jerusalem, als sei sie schon im Gang: Ein Bote eilt dem Zug des Volkes
voraus. Er verkündet Frieden. Er sagt zu Zion: Dein Gott ist König.
Die Wächter der zerstörten Stadt sehen ihn kommen. Sie hören,
was er sagt und brechen in Jubel aus. Und der Jubel zieht immer weitere
Kreise. Die in den Trümmern Zurückgebliebenen, ja, die Trümmer
selbst, sagt der Prophet, stimmen mit ein. Und schließlich alle
Menschen auf Erden, weil sie sehen: Gott hat sich über sein Volk
erbarmt.

Ob die Verbannten in Babylon ihm geglaubt haben? Gewiss nicht alle, vielleicht
nicht einmal viele. Wie konnten sie auch? Was ihnen vor Augen war, sprach
gegen ihn. Und doch hat er Recht behalten mit seiner Hoffnung: Im Jahr
538 erlaubte der König der Perser, Kyros, die Heimkehr. Dabei ging
es freilich viel bescheidener zu als gedacht und erträumt. Und die
Freude über die Heimkehr wich bald der Ernüchterung, der Enttäuschung.
Und nicht lang danach neuer Not, neuem Elend, neuer Unterdrückung.

Den Persern folgten die Griechen, den Griechen die Römer. Aber die
Hoffnung war nicht zu unterdrücken. Das Wort des Propheten hielt
sie wach, bis es sich von neuem erfüllte: Unter der Herrschaft der
Römer, zur Zeit des Kaisers Augustus, wird er geboren; zur Zeit seines
Nachfolgers Tiberius erhebt er die Stimme: Ein neuer Bote, der „Frieden
verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündet“. Jesus tritt
auf – zunächst auf den Bergen Galiläas, dann auch in Jerusalem,
der „Hochgebauten“ Stadt, die bald für Jahrhunderte in
Schutt und Asche sinken sollte.

Er sagt: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen.
Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15). Mit Worten
und Taten macht er anschaulich, was „Reich Gottes“ bedeutet:
„Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube
hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt, und
selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“ (Matthäus 11,5f.).
Wieder sind es wenige, die glauben. Und viele, sehr viele, die „sich
ärgern“, die Anstoß nehmen. Sie wollen ihn nicht hören,
bringen ihn zum Schweigen. Er stirbt am Kreuz mit den Worten: „Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46).
Eine große Hoffnung wird mit ihm begraben, scheint es.

So scheint es auch denen, die bis zuletzt an ihn geglaubt hatten. Sie
sitzen hinter verschlossenen Türen und denken: Es ist aus. Da tritt
er ein – durch die verschlossenen Türen – und sagt: „Friede
sei mit euch.“ Mit den Augen des Herzens sehen sie: Der Gestorbene
lebt. Unfassliche Freude! Noch einmal hören sie: „Friede sei
mit euch.“ Und dann: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende
ich euch!“ (Johannes 20,21). Sie hören es und handeln danach.
Erstaunlich rasch hat ihre Botschaft „aller Welt Enden“ erreicht.
Und der in Jerusalem aufgebrochene Jubel hat um sich gegriffen – über
alle Grenzen hinweg. Überall in der Welt haben Menschen in Jesus
den „Christus“, den „König“ erkannt. Und dadurch
im Elend Trost gefunden, einen Weg aus der Gefangenschaft in die Freiheit
entdeckt. Bis heute ist diese Bewegung in Gang.

Irgendwann, irgendwo hat das Wort der in Jesus Christus begründeten
Hoffnung auch uns erreicht. Und wenn es uns einmal ergriffen hat, dann
lässt es uns nicht wieder los. Auch wenn es in Zeiten der Angst und
der Resignation seine Macht zu verlieren scheint. Es gibt sie ja immer
wieder, diese Zeiten – aus persönlichen und aus politischen Gründen.
Dann gehen wir unserer Arbeit nach wie die Verbannten in Babylon – ohne
Hoffnung auf Auswege. Dann sitzen wir wie die Jünger im kleinen Kreis
hinter verschlossenen Türen und fragen uns: Wer sind wir, dass wir
gegen das grenzenlose Elend in der Welt oder auch nur in unserer nächsten
Umgebung angehen könnten?

Wie gut, wenn uns in solcher Lage ein Wort anspricht und in Bewegung
bringt. Wie die Verbannten in Babylon das Wort des Propheten Jesaja: „Wie
lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die
da Frieden verkündigen ..“ Wie die Jünger in Jerusalem
das Wort des Auferstandenen: „Friede sei mit euch. Wie mich der Vater
gesandt hat, so sende ich euch.“ Es ist schön, eine gute Nachricht
zu bekommen; es ist auch schön, eine gute Nachricht zu überbringen!

Wie das aussehen könnte? Wir versuchen, einem Menschen, der sich
verlassen fühlt, zu zeigen, dass wir ihn verstehen und in seiner
Eigenart annehmen. Wir versuchen, einem Menschen, der mit einer Aufgabe
nicht zurechtkommt, praktisch zu helfen und sagen ihm damit ohne Worte:
Du bist nicht allein! und: Du schaffst es! Wir versuchen, einem Menschen,
der trauert, wenigstens anzudeuten, dass wir auch angesichts des Todes
an die Liebe Gottes glauben können. Die Weihnachtsfeiertage, die
letzten Tage des alten Jahres und die ersten Tage des neuen Jahres werden
uns manche Gelegenheit geben für solche Versuche. Gott wird sie segnen.

 

Bischof em. Prof. Dr. Christian Zippert
Marburg-Michelbach
Telefon: (06420) 821873
Telefax: (06420) 821875

 

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