Jesaja 9, 1-6

Jesaja 9, 1-6

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Heilig Abend,
Christvesper

24. Dezember 1999
Jesaja 9, 1-6

Elisabet Mester


Predigttext Jesaja 9,1-6:
Das Volk, das im Finstern wandelt,
sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern
Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die
Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man fröhlich ist, wenn man Beute
austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer
Schulter und den Stecken des Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn
jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut
geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind
geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter;
und er heißt Wunder-Rat, Ewig-Vater, Gott-Held, Friede-Fürst; auf
daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem
Thron Davids und in seinem Königreich, daß er’s stärke und
stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches
wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

Liebe Gemeinde,

es ist schön, etwas geschenkt zu bekommen. Besonders
schön ist es, genau das zu bekommen, was auf dem Wunschzettel ganz oben
gestanden hat. Manchmal ist es auch wundervoll, eine Überraschung als
Geschenk zu kriegen. Am besten ist es allerdings, wenn wir das geschenkt
bekommen, was unser innigster Wunsch gewesen ist – und es ist dennoch eine
Überraschung. Weil wir uns nicht zu sagen getraut hatten, daß es
gerade dies war, was wir gern haben wollten. Oder vielleicht, weil wir es nicht
einmal selbst so genau gewußt hatten, was unser Herzenswunsch denn war.
Und dann ist es da: Das Geschenk. Genau das Richtige. Anders hätte es gar
nicht sein dürfen, nicht sein können. Da ist die Freude groß.

Wenn ein Kind geboren wird, liebe Gemeinde, dann ist es für
diejenigen, die es erwarten, oft genauso. Man kann sich vorher nicht richtig
vorstellen, wie das Kind sein wird. Ein Bild vom Ultraschallgerät – nun
gut, das kann beruhigen. Alles ist dran. Das Kind bewegt sich. Aber wie es sein
wird – wie es lachen und gucken, wie es sich der Welt nähern und uns
kennenlernen – wie es sein Wesen entfalten und was es uns bringen wird – das
wissen wir nicht. Wir spüren es erst, wenn wir das neugeborene Kind zum
ersten Mal in den Armen halten. Sein Atem, sein Mund, sein Blick – wir schauen
das Kind an und können nicht mehr aufhören, es anzusehen. Genauso
sollte es sein. Es hätte gar nicht anders sein dürfen. Das ist das
Kind, auf das wir gewartet hatten. Ein wunderbares Kind. Ein großes
Wunder für uns. Eine große Freude.

Wir haben uns auf dieses Kind vorbereitet. Wir haben alles
bereitgestellt, was das Kind benötigen wird. Wir haben in uns
hineingehorcht und versucht, etwas von dem Wesen dieses neuen Erdenbürgers
zu erahnen, um ihm den Namen zu geben, der zu ihm paßt. Aber oftmals
wählen die Eltern nach der Geburt ihres Kindes noch einen anderen Namen
als den, den sie eigentlich vorgesehen hatten. Wenn wir das Kind erst in den
Armen halten, spüren wir besser, wie es heißen soll. Wir geben ihm
eine Anrede, die zu ihm paßt, die es gern tragen wird, die wir gerne
rufen mögen. Unser Name ist nicht „Schall und Rauch“. Er verbindet sich
mit uns, mit unserem Wesen, prägt uns und läßt uns eins sein
mit uns selbst.

Wir haben aus dem Jesajabuch von der Geburt eines Kindes
gehört, das vier Namen bekommen soll, und zwar vier Doppel-Namen. Das ist
ansich schon eine ungewöhnlich Sache. Aber die Namen, die hier genannt
werden, sind so femdartig und so neu, daß wir sie kaum fassen
können. „Wunder-Rat“, „Ewig-Vater“, „Gott-Held“ und „Friede-Fürst“
soll das Kind heißen.

Wir haben schon gemerkt: das ist kein gewöhnliches Kind. Es
ist das langersehnte Gotteskind, das die göttliche Macht auf die Erde
bringt. „Wunder-Rat“ ist sein erster Titel. Damit ist nicht gemeint, daß
es seinen Eltern wunderbare Ratschläge gibt, sondern, daß es Wunder
wirkt nach Gottes Rat. Das Kind Gottes wird auf der Erde wunderbare Dinge tun,
so daß die Menschen verstehen werden, wie gut Gott es mit ihnen meint.

„Gott-Held“, so wird das messianische Kind auch genannt. Diese
zweite Anrede ist so etwas wie der Nachname des Kindes; sein Familienname. Es
heißt nach Gott selbst, denn es gehört zu ihm. Von ihm kommt es her;
zu ihm führt es hin. In Gottes Namen will es für die Menschen sorgen,
will für sie dasein, sie zuverlässig behüten und
beschützen.

Deshalb wird das göttliche Kind auch „Ewig-Vater“ genannt.
Wie ein guter Vater seine Kinder liebt und sich nach ihnen sehnt, so nimmt der
Messias in großer Treue die Menschen an, zu denen er geschickt ist. Wie
ein liebender Vater nimmt er sich seiner Kinder an und kümmert sich um
sie: sie sollen es gut haben.

„Friede-Fürst“, so wird er deshalb auch genannt. Er will
dafür sorgen, daß sie sicher leben können, daß sie im
Einklang mit der Schöpfung ihr Dasein gestalten und sich wohlfühlen.
Im Gleichschritt marschieren und grölend singen aus heiseren Kehlen, das
paßt nicht zum Reich des Messias. Befehle brüllen, Rekruten
demütigen, Nachtmärsche mit schwerem Gepäck und ein Drill aufs
Gehorchen – das ist ihm zuwider. Und einen heiligen Zorn empfindet der Sohn
Gottes gegen ein System des Brandschatzens und Mordens, des Ausraubens und
Plünderns ganzer Länder. „Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn
dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom
Feuer verzehrt.“ Die göttliche Kraft hat uns Menschen vielgestaltig
geschaffen, ganz verschieden voneinander, und gerade deshalb so schön.

Uniformen, die uns in ein Schema pressen sollen;
Kommandostrukturen, die uns unsere Eigenheiten nehmen sollen, die passen nicht
in den Plan der göttlichen Weisheit. Sie machen die Menschen unmenschlich,
diese Stiefel, die im Gleichschritt übers Pflaster dröhnen, und diese
Uniformmäntel, in denen sich die, die sie tragen, nicht voneinander
unterscheiden. Sie machen die Menschen grausam. Deshalb geschieht es, daß
diese Mäntel durch Blut geschleift werden, wir sehen das bis heute. Bis
heute auch wünscht sich der Menschensohn, daß sie verbrannt werden,
diese Zeichen unmenschlicher Einförmigkeit. Bis heute sehnt er sich nach
einem Freudenfeuer, in dem die Springerstiefel mit den Ledermänteln
verbrennen, samt ihren Hoheitszeichen und all dem anderen Kriegsgerät, das
so viel Leid über die von ihm geliebten Menschen bringt.

Und um das Feuer herum sollen die tanzen, die sich so sehr
gewünscht hatten, frei zu werden von der Herrschaft der Waffen, von
Befehlen und Kasernenhofgebrüll, von einem Leben, in dem die Söhne
und die Väter eingezogen werden können und dann fort sind, vielleicht
für immer, preisgegeben einer Unmenschlichkeit, die die Frauen, die Alten
und die und Kinder von der Gegenseite auch gezeigt bekommen. Es soll ein Ende
sein damit, und ein großes Aufatmen soll durch die Lungen und die Herzen
derer ziehen, die um das Feuer herum tanzen, wenn die grausame Herrschaft der
Waffen ihre Macht verliert. Der Jubel der Befreiten klingt weit hinaus in alle
Welt, und er hat eine große Kraft. Das Feuer, in dem die
Kriegsmaschinerie brennt, es wärmt die Hände und die Wangen derer,
die sich die Menschlichkeit bewahrt und sich so sehr danach gesehnt haben,
daß sie wieder Einzug hält dort, wo sie wohnen.

Da sieht das Volk, das im Finstern wandelt, ein großes
Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Das Friedenslicht, das Gott in unsere Welt hineinscheinen läßt, das
brennt hell wie ein Feuer. Auch wir, die wir lange nach der Zeit des Propheten
Jesaja leben, wollen mit an diesem Feuer stehen und uns dort wärmen.
Daß es endlich Friede werde auf dieser Erde, daß es ein für
allemal vorbei sei mit dem Krieg, das ist unsere glühendste Sehnsucht in
der Weihnachtszeit.

Die Friedensvision des Propheten, sie hat nicht aufgehört,
seit er davon schrieb, daß Gott das drückende Joch von den Schultern
seiner Menschen nehmen und sie freimachen will. „Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er
heißt Wunder-Rat, Ewig-Vater, Gott-Held, Friede-Fürst; auf daß
seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende.“ Ihm gelten die
Kerzen, die wir anzünden, dem Kind, das uns geboren wurde. Es ist
wahrhaftig geboren worden.

Heute hören wir wieder die wunderbare Geschichte davon, wie
Gottes Liebe zu uns auf die Welt kam in der Gestalt eines kleinen Kindes. Und
wir spüren auf der einen Seite die große Macht der göttlichen
Liebe: in dem neugeborenen Kind, das arm war und in einem Futtertrog schlafen
mußte, in diesem Menschensohn empfangen wir das größte
Weihnachtsgeschenk, das es geben kann. Es stand nicht auf unseren
Wunschzetteln. Vielleicht hatten wir gar nicht gewußt, wie sehr wir uns
danach sehnten, wie dringend wir diese Gottesgabe brauchten: den Frieden. Unser
Geschenk. Genau das Richtige. Anders hätte es gar nicht sein dürfen,
nicht sein können. Da ist die Freude groß. Wir spüren den
himmlischen Frieden in diesen Tagen stärker als sonst während des
ganzen Jahres. Und wir empfinden auch in dieser Weihnachtszeit wieder einen
Schmerz darüber, daß das ersehnte Friedensreich noch nicht in unsere
Welt gekommen ist.

Das, was wir in unseren Herzen tragen, dieses Weihnachtslicht,
dieses göttliche Licht, es will hinaus in die Welt und will hell scheinen
über denen, die noch immer wohnen im finstern Lande. Dieses Drängen
können wir spüren in uns, aber nicht das Drängen allein. Wir
spüren auch, daß wir es nicht aus eigener Kraft zur Welt bringen
müssen, das Friedenslicht, das Gotteskind. Es kommt von Gott und nicht von
uns. Und Gott wird für sein Kind schon sorgen, daß es groß
wird und hinausgehen kann aus der Krippe und dem Stall, daß es zum Volk
gehen kann, das im Finstern wandelt, um dort dien Jubel laut und die Freude
groß werdenm zu lassen.

Was Gott angefangen hat, das wird zum guten Ende kommen, Gott sei
Dank. Daß wir mitwirken dürfen an diesem großen Werk des
Friedens und der Gerechtigkeit, darüber sind wir froh in der
Weihnachtszeit. Gern geben wir weiter von der Liebe, die wir empfangen haben,
und auch von den Gütern, auf daß seine Herrschaft groß werde
und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich,
daß er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von
nun an bis in Ewigkeit.

Amen.

Elisabet Mester, Burgdofer Straße 12, 30989 Gehrden-Leveste

(ab 1. 1. 2000: Heimchenstraße 5, 30625 Hannover), Tel. 05108 – 2323,
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