Johannes 12, 34-36

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Johannes 12, 34-36

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Letzter
Sonntag nach Epiphanias, 4. Februar 2001

Predigt über Johannes 12, 34-36, verfaßt von Heinz
Janssen


Predigttext:

34 Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz
gehört, daß der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann:
Der Menschensohn muß erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?

35 Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine
Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis
nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo
er hingeht.

36 Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des
Lichtes werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.

Liebe Gemeinde!

Mit dem letzten Sonntag nach Epiphanias endet nach der Ordnung des
Kirchenjahres die weihnachtliche Festzeit der Erscheinung, der „Epiphanie“
Gottes. „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen“. (Titus
2,11).

Zu den starken Symbolen in dieser festlichen Zeit gehört das
Licht. Wir zünden Kerzen an. In alle Dunkelheit dringt ein heller Schein.
„Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht
überfalle“, rief Jesus jener Volksmenge damals in Jerusalem während
des Pesachfestes zu.

Vor meinen Augen steht mir wieder die Kohlezeichnung des Arztes,
Theolo-gen und Künstlers Dr.Kurt Reuber (1905-1946). Sie entstand im
Kriegsjahre 1942 in Stalingrad und stellt auf der Rückseite einer
Russlandkarte Maria mit dem Kind dar. Wie ein Rahmen umgeben die Zeichnung die
vom Künstler eigenhändig geschriebenen Worte: „Weihnachten 1942 im
Kessel Festung Stalingrad LICHT LEBEN LIEBE“. Was für ein Lichtblick in
dunklen Stun-den der Angst! Der Liederdichter Arno Pötzsch schrieb dazu in
seinem Buch „Die Madonna von Stalingrad“ (1953): „Lichtlos die Nacht, die
Herzen haß-erregt…Und einer wagt’s und glaubt für sie an Gott,
reißt ihre Blicke hin zu diesem Kind, weil Gott die Welt will in dem Kind
erneuern“.

I. Zur Lebensgestaltung im Licht und zum Glauben an das Licht ruft
Jesus auf: „Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis
nicht über-falle“. Aber stehen nicht die einen Menschen im Dunkeln und die
anderen im Licht, ganz unabhäng davon, wie sie leben und was sie glauben?
Haben nicht wenige überhaupt eine Chance, ihr leben im Licht zu gestalten?
Denken wir an die Menschen in den Erdbebengebieten von El Salvador und Indien:
auf einen Schlag ist es dunkel um sie geworden, als die Häuser über
ihnen einstürzten. Die Finsternis hat sie buchstäblich
überfallen. Und die Überlebenden, die aus dem Dunkel lebendig wieder
ans Tageslicht kamen – können sie so recht froh werden, wenn ihre
Angehörigen und viele andere im Dunkeln bleiben und es für sie keine
Rettung mehr gibt?

Um so stärker wird die Sehnsucht nach einem Licht, das
aufleuchtet, wo es nur noch dunkel ist und Menschen nicht mehr wissen, wohin
sie gehen, gerade auch in ihrem Ohnmachtsempfinden. Sie sehnen sich nach einem
Licht, das kein Irrlicht ist, sondern wärmt, Geborgensein spüren
lässt und das Vertrauen auf Gott stärkt.

„Ich bin das Licht der Welt“, hören wir Jesus an einer
anderen Stelle im Jo-hannesevangelium sagen, und in unserem heutigen
Predigttext antwortet er jenen, die ihn damals in Jerusalem umgaben: „Es ist
das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht
habt…“. Jesu Worte sind ein einladender Ruf zur Gestaltung des Lebens, sich –
solange es noch Tag ist – auf den Weg zu machen, und ein Ruf zum Glauben an das
Licht. Jesus selbst ist das Licht. Er stellt sich jedoch mit seinem Ruf zum
Glauben nicht selbst ins Licht, sondern Gott, der ihn gesandt hat: „Wer an mich
glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat (Joh
12,44).

Der Evangelist Johannes nimmt uns hinein in einen Streit um das
rechte Bibelverständnis und im Zusammenhang damit um Jesus, den Anspruch
seiner göttlichen Berufung, in der er die Menschen in das Licht, zu Gott,
führen wollte. Der Streit um Jesus und das rechte Bibelverständnis
trieb aber nicht nur die damaligen johanneischen Gemeinden um, sondern
konfrontiert bis heute unsere christliche Kirche mit der Frage: „Wer ist und
wer war Jesus Christus?“ (D.Bonhoeffer).

II 1. Lassen wir uns jetzt einstimmen in die Auseinandersetzung um
Jesus und die Bibel anhand von drei (fiktiven) Stimmen, die im Sinne eines
christlich-jüdischen Dialogs um die (Glaubens- und Lebens-)Wahrheit
ringen.

Eine Stimme aus dem Volk (ein/e Sprecher/-in): Ist dieser
Jesus nicht einer der vielen Wanderpredi-ger, die durch das Land ziehen und
mehr Verwirrung stiften als Klärung und Hilfe bringen? Dieser Prediger hat
eine Schar Anhänger und Anhängerinnen um sich versammelt, die ihn
begleiten. Predigen, lehren – dies ist doch damals wie heute eine Sache der
Gelehrten! Man muss schon studiert haben, um die Legitimation zur Theologie,
der Lehre und Rede von Gott, zu haben. Wenn ich mir das religiöse Angebot
anschaue, bin ich auch froh um diese Regelung. Sie schützt mich vor
Scharlatanen, Fanatikern und dubiosen Heilsversprechen. Dass jede/r Christ/-in
seine/ihre Glaubenserfah-rung, sein/ihr Bibelverständnis mitteilen darf
und soll, halte ich für eine gute Tradition unserer christlichen Kirche.
Das Priestertum aller Gläubigen, für das Martin Luther sich
einsetzte, hat einen sehr hohen Stellenwert bei uns, es gehört zur
„christlichen Lehre“, ist fest verbunden mit ihr. Damals in den jüdischen
Gemeinden war es ähnlich. Die Bibel Israels, die wir Christen mit den
Juden gemeinsam haben, war eine Grundlage, mit der sich die Schriftge-lehrten
intensiv auseinandersetzten – sicher genauso bemüht um die richtige
Auslegung und um die Wahrheit wie unsere Gelehrten und Forscher heute. Und nun
dieser Auftritt des Wanderpredigers Jesus.Wanderprediger gab es viele damals.
Heute gibt es sie unter anderem Namen: Sie leiten z.B. Seminare, in denen
Glück und Erfolg im Leben versprochen werden. Dies kann harmlos sein und
niemandem schaden, kann aber auch in Sekten führen, in Abhängig-keit
und Unfreiheit, in krankmachenden Wahn. Da ist Vorsicht geboten! Die
Schriftgelehrten damals passten auf und stellten fest: vor diesem
Wanderpredi-ger Jesus muss man auf der Hut sein. Ich habe Verständnis
für sie.

II 2. Eine andere Stimme (die Stimme eines Pharisäers bzw.
Schriftgelehrten oder Hohenpriesters) kommt zu Wort:

Wir Juden haben unsere Heiligen Schriften, die Tora, ihre
Weisungen bestim-men unser religiöses und gesellschaftliches Leben. Unsere
Orientierung in Glauben und Ethik finden wir in den Geboten Gottes. Durch die
Erfahrung der Gegenwart Gottes im Laufe der Geschichte unseres Volkes, nicht
zuletzt durch die Verkündigung der Propheten kamen wir immer wieder zur
Besinnung, kehrten um zu Gott und fanden den richtigen Weg. Auf den Schutz
Gottes waren wir immer angewiesen, und Gott hat uns auch versprochen, uns nicht
im Stich zu lassen, auch wenn wir oft ganz andere Wege gingen, die nicht im
Ein-klang mit seinen Geboten standen. Einen Retter, einen König – den
Messias – hat er uns angekündigt, einen Messias, ‚dessen Macht ewig ist
und nicht ver-geht‘. Auf diesen Messias, seinen Christus, warten wir. Bis er
kommt, wollen wir uns von der Tora mit den Geboten Gottes leiten und unsere
Hoffnung stär-ken lassen, um Irrwege und Irrlehren zu vermeiden. Ja,
dieser Jesus stiftet nur Verwirrung. Mit welcher Anmaßung trat er im
Tempel auf! Den Tempel reini-gen wollte er, wie ein Wahnsinniger gebärdete
er sich. ‚Seines Vaters Haus‘ nannte er den Tempel und stellt sich zugleich auf
eine Stufe mit dem in den Heiligen Schriften verheißenen ‚Messias‘ und
‚Menschensohn‘. Wer darf das von sich behaupten? Auch die besondere Gabe des
Heilens scheint er zu haben, und er bringt sie mit Religion, mit Gott, in
Verbindung – so kann jemand leicht das Volk verführen. Hier ein
Heilungswunder, dort eine Massen-speisung und geschickte Rhetorik – und die
Menschen glauben alles, was man ihnen sagt. Er gewinnt immer mehr
Anhänger/-innen, und ich halte ihn durch-aus nicht für harmlos. Gott
habe ihn als König und Retter gesandt -ausgerechnet ihn, den simplen
Wanderprediger und Wunderheiler? Will er der Messias sein, der Kö-nig, der
von Gott kommt, um sein Volk zu retten? Sind seine Streitmacht etwa diese
hergelaufene bunte Schar von Frauen und Männern, die mit ihm ziehen, die
sog. Jünger? Da traue ich doch Gott mehr zu. Gott sucht sich als seine
Boten andere Menschen aus, wirklich mächtige wie Mose, Könige, die
Helden sind wie David – lichtvolle Gestalten, zu denen ich aufschauen kann.
Auch die-ser Jesus bringt sich mit Licht in Verbindung, er sei ‚das Licht der
Welt‘, wer ihm nachfolge, werde nicht im Dunklen tappen, sondern das Licht des
Lebens haben. Gottes Geboten sollen wir folgen, das ist der Weg des Glaubens,
die wahrhaftige Glaubenspraxis. Wie kann jemand seriös lehren, der so
eigenwillig mit der Tora umgeht. ‚Wir haben aus dem Gesetz gehört,
daß der Christus in Ewigkeit bleibt‘. Wieso kann dieser Jesus dann sagen:
„Der Menschensohn muß erhöht werden“?- „Wer ist dieser
Menschensohn?‘ – Mein Urteil über diesen Wanderpredigern: klug,
einfallsreich und sehr geschickt verführt er unser Volk zu einem
Irrglauben, in dem sich Lehren aus der Heiligen Schrift mit seinen eigenen
Ideen vermischen. Da mache ich nicht mit! Und doch kann ich nicht vorbei an
seiner Person. Irgendetwas an ihm berührt mich.

II 3. Eine dritte Stimme (eine Jesusanhängerin heute):
Ich bin eine Christin, Angehörige einer Kirche, die sich heute auf Jesus,
den Messias, den Christus Gottes, beruft. Mit der Person Jesus habe ich es
manchmal leichter und nicht selten genau so schwer wie Ihr damals. An Gott
glauben – ja, das fällt mir nicht so schwer. Seine Nähe spüre
ich immer mal wieder in meinem Leben. An Jesus zu glauben, fordert mich mehr
heraus, auch heute in unserer Zeit scheint er sich jedem Bild, das wir uns von
ihm machen, zu entziehen. Ich kann mir gut vor-stellen, wie Ihr Euch schwer
getan habt mit seinem Anspruch, seiner radikalen Lehre, die den Menschen
über die göttlichen Gesetze gestellt hat. Das Gesetz war nach seiner
Überzeugung für den Menschen da und nicht der Mensch für das
Gesetz. Er hat die Liebe über alles gesetzt und dazu ermutigt, sogar dem
eigenen Feind mit Liebe zu begegnen. Bis heute hat er unaufhaltsam die Au-gen,
Ohren und Herzen der Menschen für die Botschaft Gottes geöffnet. Ja,
er war so etwas wie ‚lebendiges Wasser‘, ‚Lebensbrot‘, das von Gott kommt. Bis
heute fordert uns seine Person, die nicht den Beifall suchte, zur
persönlichen Stellungnahme heraus, und seine unkonventionellen Worte
zwingen uns zum Nachdenken, konfrontieren uns mit der ethischen Frage, woran
wir uns in unserem Leben orientieren wollen. Dabei gilt es, täglich neu in
unseren ver-schiedenen Lebenssituationen nachzufragen, wer dieser
‚Menschensohn‘ für uns ist. Ich erinnere an eine jüdische Tradition,
die betont: ‚Die Bibel hat 70 – das heißt unendlich viele – Gesichter‘.
Das ist eine Einladung, die verschiede-nen Auslegungen der biblischen Botschaft
ohne Polemik zu hören und einander – Christen und Juden, auch im Dialog
mit anderen Religionen – anzuhören, ja voneinander zu lernen und einander
ins Licht zu führen? So bleiben wir -Juden und Christen – und alle, die
das Licht und das Leben suchen – offen für das in der Bibel angesagte
Kommen Gottes in seinem Christus. Es hat das Näher-kommen von Christen und
Juden leider nicht gefördert, wenn sich unsere Kirche als „das neue
Israel“ ausgab. Da gefällt mir das Bild vom Weinstock (Johannes 15)
besser. Zu den Ranken am Weinstock Gottes zu gehören, ist das nicht genug
und sogar ganz viel?

III. Liebe Gemeinde! Wie schmerzlich musss damals im 1.Jahrhundert
nach Christus die Trennung in den jungen christlichen Gemeinden gewesen sein,
und wie sehr haben wir bis heute an den Folgen zu tragen. Die glühende
Er-wartung eines rettenden Messias und die biblische Verheißung, „dass
der Christus in Ewigkeit bleibt“ traten damals in den johanneischen Gemeinden
in einen spannungsvollen Widerspruch zu dem dunklen Leidensweg Jesu und seinem
unverständlichen Tod am Kreuz. Ein leidender und sogar sterbender Messias?
Die herkömmlichen religiösen Begriffe und Denkgewohnheiten gerieten
in der Auseinandersetzung mit Jesus und seiner Botschaft ins Wanken. Geht es
uns heute anders? Wer will aber wirklich ausschließen – um einen Gedanken
eines jüdischen Theologen aufzugreifen, dass der Messias, auf den die
Juden, unsere „älteren Schwestern und Brüder“ warten, sich als der
erweist, auf den wir Christen hoffen? Dieser Gedanke kann uns in unseren
christlichen Gemeinden anregen, uns auf die jüdischen Wurzeln unseres
Glaubens noch stärker zu besinnen und entschiedener zu vertreten. Oder
scheuen wir die Auseinandersetzung, ziehen wir uns zurück auf unsere
gewohnten persönlichen Überzeugungen, Lebens- und
Glaubensanschauungen? Hüten wir „nur“ unser Licht oder tragen
wir es in die Welt hinaus?

Jesu Ruf ergeht auch noch heute: ‚Macht euch auf den Weg, glaubt
an das Licht, solange ihr es habt‘. Amen.

Literatur: Meine exegetischen, theologischen und
homiletischen Entschei-dungen habe ich dargelegt in: Deutsches Pfarrerblatt.
Zeitschrift für Pfarrer-innen und Pfarrer, 100.Jg., 2000, S.694-696 (mit
Literaturhinweisen).

Liedvorschläge: EG 72 O Jesu Christe, wahres
Licht, EG 251,7 Herz und Herz vereint zusammen, EG 409 Gott liebt diese Welt,
EG 416 O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, EG 171 Bewahre uns
Gott

Heinz Janssen, Pfarrer an der Providenz-Kirche zu Heidelberg
und Lehrbeauftragter für AT an der J.W.Goethe-Universität zu
Frankfurt/M.
Evang. Pfarramt Providenz Karl-Ludwig-Str.8a 69117 Heidelberg

E-Mail: providenz@aol.com


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