Johannes 19, 17-36

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Johannes 19, 17-36

Predigt zu Johannes 19, 17-36, verfasst von Prof. Dr. Robert Schelander


Liebe Gemeinde,

„Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie“, so hören
wir es in Filmen, wenn jemand die Nachricht vom Tod eines Angehörigen überbracht
wird. Oft ist es die Polizei, die an der Tür klingelt und dann – mehr
oder weniger schonungsvoll – die Nachricht überbringt: „Ich
habe eine schlechte Nachricht für Sie.“

Diejenigen, die diese Todesnachricht überbringen sind Menschen,
die viel mit Tod zu tun haben. Sie werden in den Fernsehserien zum Tatort
gerufen und dort mit dem Tod und manchmal auch mit dem Sterben von Menschen
konfrontiert. Sie zeigen dabei nicht viele Emotionen. Wir als Zuschauer
wissen, dass dies für die Kommissarin eine alltägliche Situation
ist. Selten, wenn es ein besonders grässlicher Todesfall passiert
ist, dann können auch Emotionen gezeigt werden, aber den eigentlichen
Platz haben Gefühle bei der Überbringung der Nachricht. Wir
haben den Eindruck, dass es für den routinierten Krimikommissar
eine größere Belastung ist, vom Tod zu berichten, als diesem
Tod am Tatort – im wahrsten Sinne des Wortes – ins Auge zu
sehen.

So wird jedenfalls im Fernsehen vom Tod berichtet. Von fiktiven Tod
und Sterben. In Nachrichtensendungen und Dokumentationen wird auch von
realem Sterben berichtet, manchmal auch Bilder gezeigt.

Selten – Gott sei Dank – werden uns wirkliche Todesnachrichten überbracht.
Manchmal wenig überraschend, wenn man von einer längeren schweren
Krankheit weiß und doch betrifft mich das Endgültige dieser
schlechten Nachricht immer wieder. Umso mehr, wenn die Nachricht überraschend
kommt, wenn ich mit diesem Tod nicht gerechnet habe. In solchen Situationen
ringen wir nach Worten und fragen nach, wie es passiert sei? Und es wird
uns erzählt, wer dabei war, wie jemand gestorben ist und was der
Sterbende eventuell noch gesagt hat.

Auch in unserem heutigen Predigttext wird uns die Nachricht von einem
Sterben und einem Tod überbracht. Diese Nachricht ist nicht neu
oder überraschend. Wir haben sie wahrscheinlich schon oft gehört.
Wir können daher diese Nachricht auch nicht so hören, wie sie
beim ersten Mal gehört wurde. Hat man damals mit Jesu Tod gerechnet?
Viele seiner Jünger und Anhänger werden von seiner Verhaftung
erfahren haben. Ob sie auch Näheres über die Verhöre und
die Verurteilung wussten? Die Hinrichtung selbst war öffentlich
und so werden jene, die nicht unmittelbar dabei waren, auf Nachrichten
gewartet haben und ihnen wurde als erstes vom Sterben des Jesus von Nazareth
erzählt. Diese Nachrichten wurden aufgeschrieben und wurden so zu
einem jener Texte, die wir in den Evangelien heute lesen. Sie erzählen
mit leichten Akzentverschiebungen vom Sterben und Tod Jesu. Wie überbringt
das Johannesevangelium uns die Nachricht?

Es erscheinen auf den ersten Blick wie zufällige Ereignisse, die
uns hier berichtet werden:

Zum Beispiel: Jesus redet zu zwei ihm nahestehenden Personen, seiner
Mutter und einem seiner Jünger. Offenbar will er für die Zeit
nach seinem Tod sorgen. Immer wieder wird uns berichtet von Sterbenden,
die noch ihre Angelegenheiten regeln.

Jesus wird, knapp bevor der Tod eintritt, ein Essigschwamm gegen das
Durstgefühl gereicht. Johannes erzählt uns sogar welches Holz
dafür verwendet wurde. Von einem letzten Satz Jesu wird berichtet: „Es
ist vollbracht.“ Auch dies kennen wir aus anderen Berichten des
Sterbens: Manche letzte Worte sind berühmt geworden.

Das Sterben des Jesus von Nazareth gleicht in so vielem dem Sterben
von Menschen, wie es auch heute noch geschieht. Es ist ein gewaltsames,
grausames Sterben gewesen. Aber im Bericht des Johannes merken wir wenig
von Erschütterung und Schmerz darüber. Es scheint, als gäbe
es nichts überraschendes in diesem Sterben – alles sei vorherbestimmt.
Selbst in solchen Nebensächlichkeiten, wie dem Teilen den Kleides
zeigt sich noch der geordnete, vorherbestimmte Ablauf. Man gewinnt den
Eindruck eines ruhigen, fast beschaulichen Szene. Die Dramatik des Sterbens
fehlt.

In den Medien wird meist dramatisch gestorben. Ich stelle mir vor, wie
ein heutiger Berichterstatter von Jesu Tod berichtet hätte … Welche
Bilder gezeigt würden … Ich bin mir sicher, da wäre mehr
Dramatik drinnen: Verzweifelte Angehörige, mit dem Tod kämpfende
Opfer, gierige Soldaten, Massen von Zuschauern, die sich drängen,
die begeistert sind, die trauern und weinen … Nein, mit dieser Kreuzigungsreportage
hätte Johannes in heutigen Redaktionen keine Chance gehabt. Und
es ist ja auch gut so, dass wir diese Art der Berichterstattung hier
nicht finden. Johannes möchte mit seinem Bericht von Jesu Tod keine
schnellen Emotionen wecken.

Aber zeigt Johannes nicht zuwenig Gefühl, Betroffenheit? Manche
spüren in diesem Bericht von Jesu Tod eine zu große Abgeklärtheit,
Distanziertheit. Von Erschütterung ist kaum etwas zu bemerken, selbst
bei Jesus wird mehr das Fügen und Dulden betont als das Leiden und
die Not. Unserer Haltung zu Leiden und Tod ist ja zumeist: Widerspruch
und Auflehnung. Davon ist hier aber wenig zu spüren. Johannes berichtet
uns im Gegenteil von einem Vollbringen und Erfüllen. Manche meinen
Johannes spricht zu sehr vom Heil. . Wichtig ist ihm der „Gehorsam
bis zum Tod“, damit Jesus seine Aufgabe erfüllt und am Ende
sagen kann: Es ist vollbracht. Leid und Not, der grausame Tod, spielen
kaum eine Rolle.

Was möchte Johannes mit seiner Nachricht vom Tod Jesu sagen?

Die
schlechte Nachricht, die er uns mitteilt, steht in einem Buch, das wir
gute Nachricht nennen. Unser Predigttext beinhaltet einen harten
Widerspruch, indem er sagt: In diesem Leiden und Tod ist Gott zu erkennen.
Diese gute Nachricht ist wohl bei Johannes am deutlichsten Ausgesprochen:
die gute Nachricht vom Sterben Jesu. Doch halt … kann man das so einfach
sagen: Die gute Nachricht von Sterben. Ist nicht jede Nachricht vom Sterben
und Tod eine schlechte Nachricht? Etwas in mir sträubt sich gegen
diesen Satz. Stimme ich damit diesem Leiden und Sterben zu? Werde ich
damit selbst zum Täter? Wir begreifen doch die Notwendigkeit dieses
Todes so wenig, wie wir den Sinn irgendeines Sterbens verstehen.

Johannes will deutlich machen: Jesus ist für uns gestorben. Was
kann dass heißen?

Wo ist Gott? Vielleicht ist dies eine erste Antwort darauf, warum Jesus
gestorben ist. Gott ist den Menschen nahe gekommen, in dem er geboren
wurde, gelebt hat mitten unter uns, er teilt unser Leben, er teilt auch
unser Sterben. Seitdem gibt es keine Macht mehr, die uns von ihm trennen
kann.

Zu dieser ersten Antwort gehört: Gott ist da, wo Leid und Not ist.
So einfach und schlicht lautet die Botschaft. Aber sie ist nicht leicht
zu verstehen. Am unmittelbarsten zu verstehen ist diese Antwort, wer
selbst von Not und Leid betroffen ist. Jesus wird Bruder im Leiden.

Manche Menschen haben diesen Gedanken weitergedacht: am Karfreitag stirbt
Gott. Das schlimmste, was uns passieren kann, dass Gott nicht mehr ist.
Niemand da ist der die Welt und unsere Leben in Händen hält.
Das lässt Gott zu. Ein widersprüchlicher Gedanke: Gott lässt
sich selbst sterben, aber dieses Gedankenexperiment will zeigen, dass
es keine tiefste Gottverlassenheit gibt, in der wir nicht auch von ihm
getragen sind. Wo Gott nicht bei uns ist. Freilich, dies ist nicht immer
leicht zu glauben und noch schwieriger anzunehmen.

Wo ist Gott? Gott ist auf der Seite jener, die unschuldig in Not und
Verderben sich befinden. Er ist mitten unter ihnen. Hier beginnt diese
Spannung fruchtbar zu werden. Leiden, Schmerzen und Tod begegnen Kraft,
Hilfe und Trost. Das Scheitern von Menschen begegnet Gottes Hilfe.

Ich denke, dies will Johannes uns mit dieser Nachricht, die dann doch
nicht nur eine schlechte Nachricht ist, sagen.

Aber noch ein zweites beinhaltet diese Nachricht: In diesem Tod erwächst
allen Menschen Heil. Ja gerade in dem Sterben dieses Einen steckt auch
Erlösung.

Wir finden hier eine größere Spannung, als die Dramatik der
modernen Todesberichterstattung in den Medien sie uns vermittelt. Dieser
Tod des Einen – sein Ende – ist der Anfang für viele.
Dieser Tod, sein Leiden und seine Not, bedeuten Leben und Fülle
und Heil.

Diese zweite Wahrheit von Jesu Leiden und Tod ist wohl noch schwerer
zu verstehen als die erste. Mir hilft dabei folgender Gedanke:

Seit Karfreitag hat die Welt ein neues Symbol: das Kreuz. Wir finden
es überall in unserer Welt. Manchmal groß und pompös,
oft aber auch klein und unauffällig. Wenn einzelne Menschen dieses
Symbol tragen, so stellen sie eine Verbindung her zu diesem Jesus. Ob
sie dabei auch an sein Sterben denken? Das Kreuz und die Kreuzigung gehören
aber zusammen. Uns alle verbindet etwas mit diesem Jesus, auch wir müssen
den Tod erleiden. Was er aber ist, das bittere Ende, das endgültige
Scheitern oder das getroste Hoffen auf Gottes Liebe, das entscheidet
sich auch in jenem Symbol, das seine Wurzel in jenem Bericht von Jesu
Sterben und Tod hat.

Noch zwei Gedanken:

In der letzten Zeit sind die verschiedensten Bilder von Sterben und
Tod über Fernsehen und Medien gesendet worden. Versuchen wir zu
trennen zwischen fiktiven und realen Sterben, auch wenn beides uns häufig über
die Medien berichtet wird. Der Predigttext berichtet vom Tod Jesu. Vermutlich
später, als die Nachricht von Jesu Tod anderen Generationen weitergesagt
wurde, wurde auch ein weiterer Satz hinzugefügt: Dass das, was erzählt
wird, auch wahr sei. Es ist tatsächlich geschehen und keine Fiktion.
Vielleicht ist dieser Satz gerade für uns heute, wo so viel gestorben
wird, wichtig. Nicht immer fällt es leicht zwischen wirklichem und
fiktiven Sterben zu unterscheiden. Wir wissen, dass wir nicht allen Bildern
trauen können. Immer deutlicher wird, wie man mit Bildern manipulieren
kann: Gerade auch mit Bildern des Leides und des Todes. Bleiben wir aufmerksam
und verschließen dennoch nicht unsere Augen und nicht unser Herz.
Bleiben wir aufmerksam aber auch auf Sterben in unserem Alltag, das im
Gegensatz dazu oft unbemerkt bleibt. Sterbende brauchen Menschen die
sie begleiten, die für sie da sind.

Angesprochen hat mich am Predigttext auch, wie Jesus sich um seine Hinterbliebenen
sorgt. Er spricht seine Mutter und seinen Lieblingsjünger an und
verweist sie aneinander. Dies ist deine Mutter, dies ist dein Sohn. Jesus
stiftet hier Beziehung. Normalerweise sind wir durch Geburt verwandt,
hier werden es die beiden durch einen Tod. Der Tod hat keine Macht, Beziehungen
zu zerstören, sondern im Gegenteil: Christus gibt helfende Kraft
Beziehungen aufzubauen. Wir sind aufeinander angewiesen, miteinander
verwandt. Mit Blick auf Jesu Kreuz gilt dies wohl aber nicht nur für
diese beiden Menschen, sondern darüber hinaus für uns alle.
Noch eine gute Nachricht in der Schlechten.

Amen


Prof. Dr. Robert Schelander, Wien
E-Mail: Robert.schelander@univie.ac.at

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