Lukas 16, 19-31

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Lukas 16, 19-31

Liebe Gemeinde – Neulich ist sie mir wieder in
die Hände gefallen, diese französische Kaffeetasse, die ich
vor langer Zeit geschenkt bekommen habe. Mit den Freunden, die sie seinerzeit
liebevoll für mich und meine Wohnung ausgesucht haben, habe ich
heute leider kaum noch Kontakt. Und zu welchem Anlaß sie das gute
Stück mitbrachten, weiß ich auch nicht mehr. Eine große
Tasse aus braunem Steingut.

Ich verwende sie kaum noch, denn in der neuen Wohnung passt sie gar
nicht mehr zu unserer Küche und zu unserem Geschirr. Aber Gegenstände
wie sie gibt es wohl in jedem Haushalt. Sie sind vielleicht übriggeblieben.
Oder waren ein Urlaubsmitbringsel, bei dessen Kauf man dachte, es würde
die Einrichtung wunderbar ergänzen, und dann kommt man nach Hause
und stellt fest, dass die Farbe doch eine Nuance anders ist als gedacht,
oder die Bedienung schwierig – die Kanne tropft, der Becher hat
einen Sprung… – wie auch immer.

Und doch heben wir solche Dinge auf, bewahren sie, schieben sie vielleicht
in eine hintere Ecke des Schranks oder des Regals für den Tag, an
dem sie womöglich doch benötigt werden könnten. Bis sie
einem irgendwann zufällig wieder in die Hände fallen.

Mit der Geschichte, die dem heutigen Sonntag als Evangelium beigegeben
ist, verhält es sich fast ein wenig so wie mit diesen Gegenständen.
Zwar steht sie im Neuen Testament, ist auch vielen von uns sehr vertraut,
aber so ganz passt sie nicht dazu. Manche Ausleger nennen sie eine „vorchristliche“ Geschichte.
Sie hat Ähnlichkeiten mit vielem, was wir sonst in der Bibel lesen,
nennt bekannte Namen, erinnert an das, was wir gelernt haben, was wir
hoffen oder gar befürchten. Und doch weicht sie ein wenig ab, um
Nuancen nur, aber genug, dass wir sie gerne manchmal ein wenig nach hinten
schieben würden in dem geistigen Regal der biblischen Bücher
und Geschichten, das wir alle im Kopf und im Herzen haben. Heute aber
fällt sie uns wieder einmal in die Hände, und wir müssen
uns fragen, wie wir mit ihr verfahren wollen. Lk 16,19-31 lesen (Damit
den PredigthörerInnen von Anfang an bewusst ist, dass hier kein „Tatsachenbericht“,
sondern ein Gleichnis vorgelesen wird, rate ich dazu, V.14.15a voranzustellen.)

Da ist vieles in dieser Geschichte, was uns bekannt vorkommt: oft hat
Jesus in Gleichnissen geredet, wenn er den Leuten sagen wollte, wie Gott
ist, wie er sich zu den Menschen verhält und was es mit dem kommenden
Gottesreich auf sich hat. Aber von Gott hören wir hier nichts, nur
von Abraham, der hier das Sagen hat im Totenreich. Ungewöhnlich
auch das: Der Bettler hat einen Namen! Er heißt „Lazarus“,
das bedeutet: „Gott hilft“ – der Reiche aber bleibt
anonym. Das sind wir nicht gewohnt. Bei uns sind es die Armen, die namenlos
sterben in den Elendsvierteln großer Städte oder auf der Flucht
vor einem Krieg. Auch bei uns haben die Gräber, die das Sozialamt
bezahlt, keine Namen. Die Reichen und Mächtigen aber kennt man wohl,
die haben sich „einen Namen gemacht“ oder tragen schon immer
einen großen Namen, können womöglich nicht einmal etwas
dafür, weil sie Geld und Titel geerbt haben.

Umso mehr mag man die Geschichte ungerecht finden, denn sie selbst gibt
uns keinen Anlaß, den Reichen für besonders geizig oder hartherzig
zu halten. Womöglich hat er seine Steuern und Abgaben bezahlt, auch
den Zehnten gegeben und Almosen gespendet. Daß die Bettler vor
der Türe bekamen, was „von der Reichen Tisch fiel“,
war übliche Praxis, auf die sich die Frau aus Syrophönizien
Jesus gegenüber beruft (Mk 7,28). Daß sie es mit den Hunden
teilen mussten, die als unreine Tiere galten, ist eine andere Sache.
Aber für die bibelkundigen Pharisäer, denen Jesus diese Geschichte
erzählt, sind diese Bilder Hinweise auf alttestamentliche Zitate.
Sie kennen „Mose und die Propheten“, sie erinnern sich bestimmt
an die Reden der Propheten Amos und Micha, an Sozialkritik und den Vorwurf
der Heuchelei hinter der frommen Fassade, und ihnen gilt Abrahams Vorwurf
deshalb ganz besonders.

Über Lazarus erfahren wir ebenfalls wenig. Wir wissen nicht, ob
und wie viel er gebetet haben mag, ob er Gott sein Leiden klagt und um
Barmherzigkeit bittet. Nein, in diesem Gleichnis geht es ganz simpel
zu: Der Reiche kommt nach seinem Tod in die Hölle, der Arme aber
direkt in Abrahams Schoß, der eine, weil er reich gewesen ist,
der andere, weil er auf Erden gelitten hat. Ganz einfach. Und ganz unabwendbar.

Und genau da passt die Geschichte nicht zu den Gleichnissen, die wir
sonst von Jesus kennen. Da weicht sie ab, erinnert mehr an die Predigt
Johannes des Täufers und an viele moralische Geschichten, die sich
die Leute so erzählen seit uralten Zeiten. Ein ägyptisches
Märchen, so sagt man, habe dem Evangelisten Lukas als Vorlage gedient,
und er habe es verwendet, weil es zum Thema passt, zur Rede Jesu über
den rechten Umgang mit Geld und Reichtum. Aber passt es zu dem, der es
erzählt? Paßt der Hinweis darauf, dass mit Mose und den Propheten,
also mit den Anweisungen des Alten Testaments, doch alles gesagt sei?
Stimmt es, dass die Kluft zwischen denen oben und denen unten unüberwindlich
sei? Oder steht nicht gerade Jesus dafür, dass alles anders werden
kann, als unsere Erfahrung es uns lehrt??

Wie gesagt: Diese Geschichte gehört zu unserem Schatz an biblischem
Wissen. Sie gehört dazu, auch wenn sie nicht so ganz dazu passen
mag, wie meine französische Kaffeetasse zu meinem Hausrat gehört,
auch wenn sie etwas anders aussieht als das übrige Geschirr. Und
manchmal ist sie ganz nützlich: Dann hole ich sie hervor aus dem
hinteren Winkel im Regal, etwa für einen stilechten Café au
lait, für den sie sich eignet wie keine zweite. Dann brauche ich
sie. – So, wie unsere Geschichte vom Reichen Mann und Armen Lazarus
immer wieder einmal hervorgeholt und erzählt wird, so, wie sie gebraucht
und missbraucht worden ist, immer wieder in den letzten 2000 Jahren.

Die Zeiten sind ja noch gar nicht so lange her, dass auch bei uns Menschen
wie Lazarus krank, verkrüppelt und hilflos am Straßenrand
lagen – und die Angst ist begründet, dass das bald wieder
so werden könnte. Wer früher in Armut lebte, am Rand des Existenzminimums,
der hat sich das als Trost gefallen lassen müssen: „Es gibt
eine Gerechtigkeit, einen Ausgleich, die Waage kommt ins Lot, der Reiche
wird auch noch erleben müssen, was du erlitten hast. Geht es dir
auf Erden schlecht, so wirst du einen reichen Lohn im Himmel haben!“ Da
ist mit der Aussicht auf das künftige Ergehen gedroht und gelockt
worden – in vielen Kirchen des Mittelalters ist das dargestellt
und manch Andachtsbildchen hat die Phantasien genährt.

Ein übles Spiel, liebe Gemeinde, besonders in Kolonialzeiten, besonders
in feudalen Systemen! Schämen muß man sich heute noch, dass
die Kirche da mitgemacht und diesen Glauben unterstützt hat, anstatt
sich zu wehren und einzusetzen für die Gerechtigkeit. Da ist diese
Geschichte benutzt und missbraucht worden, so lange, bis die Leute sich
endlich mehr um ihre Gegenwart kümmerten als um die ungewisse Zukunft
in der Ewigkeit. Wer die Hoffnung auf die Auferstehung nicht teilt, der
hat auch keine Angst vor Hölle und Gericht. Für den ist so
eine Geschichte, die den Armen vertröstet und den Reichen nicht
wirklich erschreckt, tatsächlich Opium für das Volk, auf das
man gut verzichten kann.

Und trotzdem ist es eine nützliche Geschichte. Dann nämlich,
wenn wir uns mit ihrer Hilfe unserer eigenen Situation bewusst werden,
und zwar nicht der jenseitigen, sondern der im Hier und Jetzt. Die wenigsten
von uns schwelgen im Luxus. Aber gemessen am Lebensstandard anderer Länder
sind wir reich an Geld, an Freiheit und an Zeit. Die merkwürdige
Debatte darüber, ob der Wirtschaftsminister religiöse Feiertage „klauen“ dürfe,
wird am lautesten wohl von denen geführt, die nicht nur ihre Kirchensteuer
einzusparen verstehen. Es ist durchaus angebracht, uns immer wieder selbst
zu prüfen, wie wir es denn halten mit dem Mammon, dem Geld und Reichtum,
an den einer leicht sein Herz und im wahrsten Sinne des Wortes auch die
Seele verlieren kann. Wir tun gut daran, uns zu erinnern, dass zwischen
dem sinkenden Wohlstand, den wir spüren und der riesigen Armut anderer
Welten liegen – und dass uns das zum Handeln auffordert, damit
etwas sichtbar wird von unserem Glauben und von Gottes Reich – jetzt
schon und nicht erst in Abrahams Schoß!

Hilfreich kann diese Geschichte sein, weil sie uns an Jesu Worte erinnert,
dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in
den Himmel komme – und an das „Selig sind die Armen“,
das bei Lukas eben nicht abgemildert zu „Selig die Armen im Geiste…“.

Sinnvoll ist es, wenn diese Geschichte uns den Auftrag Jesu ins Gedächtnis
ruft, für Gerechtigkeit zu sorgen, notwendig sogar, dass sie uns
die Worte der alttestamentlichen Propheten einschärft: „Es
ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert,
nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig
sein vor deinem Gott.“ Wichtig ist es auch, über die Zusammenhänge
zwischen Armut und Reichtum nachzudenken, gerade in unserer Region, wo
Fabriken geschlossen und Produktionsstandorte verlagert werden in Billiglohnländer – und
wo immer mehr Familien auf solch billig produzierte Waren angewiesen
sind, um nicht zu verarmen: Dann kauft man die Kinderkleidung eben beim
Lebensmitteldiscounter, der sie nicht mehr auf der Schwäbischen
Alb herstellen lässt, sondern in Asien – und dort Arbeitsplätze
schafft, die dem Hunger wehren, während hier bei uns die Verdienstmöglichkeiten
weniger werden. – Da werden wir mitschuldig an einem System, dass
wir nicht gewollt und nicht gemacht haben, und kommen doch nicht wieder
heraus. Es sei denn, wir verlassen uns nicht mehr auf uns und unsere
eigenen Möglichkeiten, sondern wenden uns an den, der wirklich helfen
kann, und das ist eben nicht der Vater Abraham der frommen Legende, sondern
Jesus selbst.

Sie merken schon, liebe Gemeinde, da öffnen sich Fragen, die sind
komplizierter als es das schlichte Schwarz-Weiß unseres Gleichnisses
ahnen ließe. Aber das gehört mit dazu, wenn wir tun, was der
Reiche in unserer Geschichte unterließ und was seine eigentliche
Sünde darstellt. Nicht dass er reich war, hat ihn ins Verderben
gerissen. Sondern dass er nichts gesehen hat von seiner Welt. Den Bettler
Lazarus hat er nicht wahrgenommen, als der noch vor seiner Tür saß.
Erst in Abrahams Schoß erkennt er ihn. Das ist das wirklich Wichtige
an dieser eigentümlich fremden und doch so vertrauten biblischen
Geschichte: Daß sie uns die Augen öffnet und mit den Augen
den Geldbeutel und das Herz. Dafür ist es gut, sie ab und an hervorzuholen
aus dem Schatz der biblischen Geschichten.

Als mir neulich meine Kaffeetasse wieder in die Hände fiel, war
das ein guter Anlaß, die lange eingeschlafenen Kontakte zu den
Freunden von damals wieder aufzunehmen. Wie schön war es, wieder
mit ihnen zu reden, von ihnen zu hören und ein wenig in Erinnerungen
zu schwelgen. Wie gut, dass sie mir wieder eingefallen sind durch diese
kleine „Merkhilfe“ aus braunem Steingut! Ich werde sie weiter
bewahren, auch wenn sie nicht 100%ig zu den anderen Gegenständen
in unserem Haushalt passt und die meiste Zeit nur irgendwo im Wege ist.
Es kommt der Tag, an dem sie wichtig und nützlich wird. – Und so
will ich es auch mit den Geschichten halten, die sich nicht recht einfügen
wollen in die Botschaft Jesu, obwohl sie in der Bibel stehen. Ich will
mich nicht von ihnen ängstigen oder einschüchtern lassen. Aber
ich will sie als Merkhilfe nehmen, als mahnende Beispiele eines verfehlten
Umgangs mit dem, was uns anvertraut ist, an Gütern und an Menschen.
Dafür sind sie erzählt und weitergetragen worden, dafür
haben die biblischen Autoren sie aufgeschrieben. Und dafür wollen
wir sie weiter bewahren. Amen.

Pfarrerin Gerlinde Feine Rohrgasse 4 D-72131 Ofterdingen
E-Mail: gerlinde.feine@cityinfonetz.de

 

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