Predigt zu Matthäus 28,16-20

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Predigt zu Matthäus 28,16-20

Auf der Brücke des Lebens | 6. Sonntag nach Trinitatis | 11.07.2021 | Predigt zu Matth. 28,16-20 | verfasst von Klaus Wollenweber |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde, vor wenigen Wochen las ich in einer Kirchenzeitung:

„4 Tauffeste und 45 Taufen. … Unter den 45 Menschen, die sich taufen lassen werden, sind Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene, sowie Ortsansässige und Zugewanderte aus dem Iran und aus Nigeria. … Die Taufen werden teils in den jeweiligen Gewässern, teils am Ufer an traditionellen Taufschalen stattfinden. … Dabei symbolisiert das Wasser die reinigende Kraft Gottes.“ Hinzugefügt war noch: „… natürlich weiter unter Einhaltung der Corona-Regeln.“

Zum Sakrament der Taufe gehört der biblische Taufbefehl aus dem letzten Kapitel des Matthäus-Evangeliums; dies ist der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext (Matth. 28, 16-20 nach der NGÜ):

16 Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus für die Begegnung mit ihnen bestimmt hatte.

17 Bei seinem Anblick warfen sie sich vor ihm nieder; allerdings hatten einige noch Zweifel.

18 Jesus trat auf sie zu und sagte: »Mir ist alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben.

19 Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes

20 und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin jeden Tag bei euch, bis zum Ende der Welt.«

Liebe Gemeinde,

mit der Taufe beginnt der Lebensweg Gottes mit dem Täufling. Auch wenn im sog. Taufbefehl Jesu nichts von Altersangaben oder Altersbegrenzung gesagt ist, gibt es zwischen christlichen Kirchen und Gemeinschaften unterschiedliche Regelungen: Meist geht es um die Säuglings- oder Kindertaufe. Diese wird von einigen Gemeinschaften radikal abgelehnt. Denn sie erklären: Erst muss ein Mensch bekehrt sein, den Glauben an Jesus Christus bewusst in sich aufgenommen haben und in der Nachfolge Christi leben wollen, dann kann man sich taufen lassen; und zwar am besten durch eigenes völliges Untertauchen im Wasser als sichtbares Zeichen für das Untergehen, Sterben des alten Menschen und durch das Wiederauftauchen für das Neugeborenwerden zu neuem Leben, das Jesus Christus gehört.

Andere weisen darauf hin, dass Jesus sich gerade Kindern zugewandt und betont hat, dass diesen das Reich Gottes gehört. Außerdem heißt es in biblischen Taufgeschichten, dass „er und sein Haus“ sich taufen ließen. Dazu gehörten sicher auch Kinder; sie waren gewiss nicht ausgeschlossen! So wie in dem oben zitierten Zeitungsartikel betont wird: „Kinder und Erwachsene“.

Ich habe selbst Erwachsene im Taufunterricht gehabt und anschließend getauft. Zugleich jedoch denke ich, dass an einer Säuglings- oder Kindertaufe unmittelbarer sichtbar wird, dass bei einer Taufe der dreieinige Gott als der Handelnde im Mittelpunkt steht. Der kleine Täufling hat noch keine eigenständige Tat vollbracht, mit der er sich etwa eine gnädige Zuwendung Gottes „verdienen“ oder „erkaufen“ könnte. Gott schenkt dem Täufling seine ewige Zuneigung „ohn` all mein Verdienst und Würdigkeit“, wie es Martin Luther bekannt hat. Taufe ist kein Werk des bekehrten Menschen, kein Dankeschön des Menschen für das Gottesgeschenk des Glaubens. Nein! Gott allein handelt. Er nimmt den Täufling als sein geliebtes Kind an, nennt ihn bei Namen und ist und bleibt lebenslang an seiner Seite.

Auch wenn ich als Getaufter in meiner Lebensgeschichte mit Krisen durch ein finsteres, tiefes Tal gegangen bin und gehe oder gerade oben auf dem Gipfel meines Lebens mit einem ungeheuren, glücklichen Weitblick wandere, – immer begleitet den Getauften und die Getaufte der lebendige Gott. Selbst wenn ich mich von Gott abwende und nichts mehr mit dem christlichen Glauben anfangen kann oder zu tun haben will, auch dann gilt die einmal gegebene Zusage Gottes in der Taufe: Du gehörst zu dem lebendigen Gott; seine Liebe gehört dir. Eine Taufe ist nicht rückgängig zu machen! Auch nicht zu wiederholen!

„Mir ist alle Vollmacht gegeben“ – so tritt Jesus den Jüngern damals und uns hörenden Menschen heute entgegen. Er allein hat die Vollmacht zur Entsendung: „Gehet hin in alle Welt!“  Er hat die Vollmacht zu geben und zu nehmen, zu entsenden und zurückzunehmen. Diese Feststellung steht ohne Wenn und Aber am Anfang des Taufbefehls Jesu an seine Jünger. Und am Ende steht die einmalig ermutigende Zusage: „Und siehe! Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“  „Siehe!“ – ja, das können Sie und ich mit eigenen Augen sehen, – mit den Augen des Herzens sicher noch intensiver. Dann ist Sehen wie spüren, erleben: „Ich bin bei euch alle Tage“ – im Wort, im Hören, im Hinhören, im Lehren und im Handeln. Unsere Alltagsroutine verdeckt häufig diese frohe Botschaft, dass Gott uns begleitet. Wir denken eher: Gott ist unsichtbar. Denn wir machen hin und wieder die Erfahrung von Sackgassen, Irrwegen und Talfahrten in unserem Leben. Wir kennen mühsame, holprige Wege, auch wenn wir uns auf der Zielgeraden befinden. Sie und ich, wir erleben Bewegung in der eigenen Lebensgeschichte mit Gott. Wir spüren und erfahren keinen Stillstand.

In dem Taufbefehl heißt es unüberhörbar: „Gehet hin in alle Welt!“ Wir haben entsprechend keinen „Still-steh-Glauben“, sondern einen „Hin-geh-Glauben“. Unsere Bewegung ist davon geprägt, dass Jesus Christus selbst in der Taufe die Brücke zwischen Gott und uns gebaut hat, die Brücke über den garstigen Graben der Verlassenheit, der Einsamkeit, der Verzweiflung und der Schuldigkeit. Dieser Brückenbau ist kein Selbstzweck gewesen, sondern eine Einladung zur Lebensorientierung. Wir können die Brücke betreten und auf andere Menschen zugehen. Die Getauften treibt es gleichsam auf den anderen Menschen zu, auch wenn dieser oder diese noch zögerlich nach Gott fragen.

Die Aufforderung zu Gehen ist so herausfordernd, wie man es gar nicht so recht beschreiben kann. Wir können nur mühsam übertragen: Geh in diese Welt der Technik, des ökonomischen Denkens und der Finanzen, der Individualisierung und des digitalen Karrierehandelns. Geh! Das ist genau das Gegenteil zu dem Rückzug aus der realen Welt in eine eigene heile Welt des Inneren. Der getaufte Mensch geht befreit und frohgemut hinaus in das pulsierende Leben. Geh! Bleib auch nicht bei deinem Standpunkt stehen! Bewegt euch real und in Gedanken! Bleibt dynamisch Mitdenkende. Kein Mensch auf der Brücke über dem Graben ist ausgeschlossen; zum Betreten der Brücke sind alle eingeladen – gleich welcher Herkunft und Hautfarbe. Ladet sie ein, die Konfessionellen und die Konfessionslosen, die Andersfarbigen und Andersdenkenden, die Armen und die Reichen. Auch die Corona-Distanz-Regeln können uns an dieser Bewegung nicht hindern, aufeinander zu zugehen. Jedem Menschen will Gott sagen: Ich nenne dich bei Namen; du gehörst zu Gott; du kannst dies in dem gemeinsamen Gebet spüren. Das gibt Mut und Gewissheit.

Mich hat diese Glaubensaussage noch auf eine andere Betonung des Taufbefehls aufmerksam gemacht: „Als die Jünger auf dem Berg, den Jesus für die Begegnung mit ihnen bestimmt hatte, Jesus sahen, warfen sie sich vor ihm nieder; allerdings hatten einige noch Zweifel.“ Das Leben als Getaufter auf der zur Bewegung bestimmten Brücke Jesu Christi bedeutet zugleich Faszination und Zweifel, Aufbruch und Verunsicherung. Ja, den Zweifel und das Zweifeln gibt es bei den engsten Vertrauten Jesu. Wie eine zweite Seite gehört der Zweifel zum Geh-hin-Glaube; er hat unterschiedliche Erscheinungsformen: Vom kritischen Nachfragen bis zum Leugnen von Bekenntnisaussagen. Zweifel und Zweifeln sind weder Sünde noch etwas Böses. Sie gehören zum Glauben des Getauften an Jesus Christus, der uns selbst die Weite der Glaubensmöglichkeiten vor Augen geführt hat. „Einige aber zweifelten“ – das sind unüberhörbar die Einleitungsworte zum Taufbefehl. Es sind für uns Lebensäußerungen getaufter Menschen, die in Bewegung sind mit dem unerforschlichen Gott. Die befreiende Botschaft Jesu macht uns stark, uns mit unserer beschädigten, unsicheren Umwelt auseinanderzusetzen. Dazu gehören Sie und ich; wir werden zu dieser Herausforderung ermutigt; denn wir sind die von Gott seit der Taufe geliebten Menschen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen

Lied EG 200  Ich bin getauft auf deinen Namen

Bischof em. Klaus Wollenweber

Bonn

E-Mail: Klaus.Wollenweber@posteo.de

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Keuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der Ev. Kirche der Union (EKU) Berlin ( heute: Union Ev. Kirchen (UEK) in Hannover ); ab 1995 Bischof der „Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz“ mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße  (heute: „Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) ); seit 2005 im Ruhestand wohnhaft in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.

 

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