Predigt zu Mt 7,24-27

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Predigt zu Mt 7,24-27

Aufrecht und im Gleichgewicht | 9.Sonntag nach Trinitatis| 2.08.2021 | Predigt zu Mt 7,24-27 | verfasst von Wolfgang Vögele|

Friedensgruß

Der Predigttext für den 9.Sonntag nach Trinitatis steht am Ende der Bergpredigt, Mt 7,24-27:

[Jesus sagt:] „Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“

Liebe Schwestern und Brüder,

mit diesem Gleichnis über Balance, Vertrauen und Bauingenieurstechnik beendet Jesus von Nazareth die Bergpredigt. Ich habe keine Geschichte, kein Gespräch, keinen Paukenschlag zum Finale gehört, eher einen weisen Traktat über Bodenkunde und Technik, eine Fibel über Bauen, Wohnen und Glauben. Jesus denkt sich in einen klugen Häuslebauer hinein, der den Naturgewalten trotzt. Über Kehrwochen, Pergolas  und Thujahecken schweigt er sich aus. Der kluge Häuslebauer ist ein Typ zum Weiterphantasieren, so wie durch Popsongs und Werbespots Surfer auf brechenden Wellen reiten und die Träume der Zuhörer gefangennehmen.

Der Surfer trägt gelbe Shorts und spiegelnde Sonnenbrille, sein blondes Haar steht strohig ab, die Sonne hat seine Haut dunkel gebräunt und läßt sie ledrig wirken. Er schwimmt hinter die Brandung und wartet paddelnd so lange, bis die richtige, seine Welle anläuft. Wenn sie kommt, springt er auf das Board, und dann gleitet er oben am Wassertunnel in Richtung Strand, bis der Wellenkamm in Gischtwolken zerstäubt. Der Surfer weiß sehr genau, wie respektvoll er mit der Gewalt der Dünung umgehen muß. Er kann abwarten, seine Fähigkeiten einschätzen. Leichtsinn würde ihn in Gefahr bringen. Er arbeitet mit den Wellen, nicht gegen sie; er erkennt die Windböen von weitem und sieht schon aus den Augenwinkeln die drohende Wetterfront. Nur mit Wissen, Geduld und Respekt kann er ins schwerelose Gleiten kommen. Dafür braucht es Erfahrung, Übung und Konzentration. Der Surfer muß in jeder Hinsicht die Balance halten. Wenn er es besser weiß als das Meer, dann stürzt er in dasselbe hinein.

Die Beach Boys haben es schon immer gesungen: „If everybody had an ocean/ Across the USA/ Then everybody’d be surfin’/ Like Californ-i-a“. Dieses selbstverliebte Surfen ist zum Bild für einen Lebenstraum geworden: locker, lässig, unangestrengt, immer an der Sonne, respektvoll gegenüber der Natur, bereit sich überraschen zu lassen, die Balance haltend. Irgendwie halten sich Surferboys und -girls zwischen Wellengang, Himmel und Windstößen immer aufrecht. Mit solchen Surfertypen kann man Werbung machen, genauso wie mit dem beinahe vergessenen Marlboro-Mann, der Cowboyhut, Reitstiefel und Sporen trägt, tagsüber hart arbeitet und abends bei Kaffee, dicken Bohnen und einem T-Bone-Steak den Sonnenuntergang hinter den sieben Bergen genießt. Leider ist der Marlboro-Mann mittlerweile an Lungenkrebs gestorben. Trotzdem: Typen wie der gut gelaunte Surfer vermitteln ein Lebensgefühl und sind schnell und einfach zu begreifen. Über dem schönen Bild von Meeresrauschen, Sandstrand, Brandung und Gischt geht leicht verloren, wie viel Training, Stürze, Verletzungen nötig waren, um sich so viel Erfahrung und Lässigkeit zu erarbeiten.

Auch die beiden Häuslebauer, von denen Jesus auf dem Berg gepredigt hat, vermitteln ein Lebensgefühl. Auch sie sind schnell und einfach zu begreifen. Und wie die Wellen für den Surfer und seine Erfahrung entscheidend sind, so müssen die Häuslebauer schon vor Baubeginn auf Wasserfluten, Regengüsse, Sandhaufen und Felsenformationen aufpassen.

Den ersten Unterschied machen Regen und Wasser. Wer ein Haus bauen will, muß große Aufmerksamkeit auf die Standortwahl legen. Jeder von uns war schockiert von den Bildern, bei denen vor zwei Wochen nach starken Regenfällen Lieferwagen und Gartengeräte in den Schlammmassen und Stromschnellen reißender Flüsse trieben. An der Ahr, der Erft und der Mosel kam es zu einer Wetterkatastrophe, mit der niemand so richtig rechnen konnte. Kleine, eingefriedete Bächlein verwandelten sich plötzlich in reißende Ströme; Stauseen liefen so voll, daß Dämme und Wehre zu brechen drohten. Keller und Erdgeschoßwohnungen waren binnen Minuten mit brackigem Wasser verschmutzt. Es war nicht einmal Zeit, ein paar Sandsäcke zu füllen und damit Kellerfenster notdürftig zu schützen.  Brücken und Straßen wurden unterspült und mußten gesperrt werden oder stürzten ein.

Wer ein Haus bauen wollte zu Jesu Zeiten, mußte wie heute Erd- und Wetterkunde im Blick haben. Wo entlang könnte das Wasser nach einer Sturzflut ablaufen? Wo ist der Boden so sandig, daß er die Fundamente eines Lehmhauses nicht trägt? Heute steht vor dem Bauantrag ein ganzer Wust von zu beachtenden Vorschriften, Anträgen und Genehmigungen. Jede mögliche Gefahr soll durch Formulare, Vorschriften und bürokratische Verwaltung ausgeschlossen werden. Aber Starkregen und Sturzfluten durchlaufen kein Antragsverfahren, sie halten sich nicht an die Bürokratie. Geographie und Meteorologie können Katastrophen nicht mit Bestimmtheit vorhersagen.

Im übrigen: Auch in der Bibel kannten die Häuslebauer schon die Vorzüge, am Wasser zu wohnen. In Psalm 1 heißt es im schönen Bild: Wer sich an die Gesetze Gottes halte, der sei „wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, /der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht.“ (Ps 1,3) Aber ein Baum schlägt auch andere Wurzeln und gewinnt bessere Standhaftigkeit als das ein Einfamilienhaus mit Keller, Fundament und Bausparvertrag tut.

Neben dem Verlauf von Wasserlinien ist der Untergrund zu beachten: Es lohnt sich, einmal nachzugraben. Häuslebauer sollten vermeiden, auf Sand zu bauen. Das ist biblisch-sprichwörtlich geworden. Sand, der nicht fest aneinander klebt, kann leicht ins Rutschen kommen. Sand und Wasser zusammen bilden eine feuchte Mischung, die mit großen Mengen von Schlamm jeder Immobilie gefährlich werden kann. Immobilien, Häuser sind, wenn sie einmal errichtet sind, der Lehm getrocknet, der Dachstuhl verbaut und die Ziegel verlegt, nicht mehr zu bewegen. Die Menschen Israels wußten zwar, daß sie mit leichten Zelten schneller den Ort wechseln konnten. Jedes Jahr am Laubhüttenfest errichten sie bis heute Zelte aus Laub und wohnten für eine Woche darin, um sich an den Auszug aus Ägypten zu erinnern. Aber auch die israelischen Migranten aus Ägypten wollten einmal im gelobten Land ankommen, seßhaft werden. Und das hieß: Sie wollten sich dort Häuser bauen, eine Heimat finden.

Dem Hausbau haftet etwas Behagliches an, ein Streben nach Sicherheit. Man denkt an Menschen, die ihr Hab und Gut zusammenhalten und vor Risiken und Abenteuern des Lebens verschont werden wollen. Surfer müssen balancieren, um sich auf dem Brett zu halten. Häuslebauer haben den sicheren Boden ihres unterkellerten Fundamentes bereits gefunden und sich einen kleinen Platz zum Wohnen mit Thuja, Terrasse, Carport und Grillplatz eingezäunt.

Moment, liebe Brüder und Schwestern. Sie können nun sagen: Erzählt der Jesus der Bergpredigt wirklich von vorausschauenden Häuslebauern, die Baugenehmigungen einholen, Bodengutachten erstellen lassen und sich in die kleine Welt von Massivholz-Eßtisch, Partykeller und Tiefkühltruhe zurückziehen, um den schlechten Nachrichten über abgeholzte Regenwälder, verschleierte Lieferketten und brennende Flüchtlingslager in Syrien zu entgehen?

Vernunft und Plan stehen gegen Sorglosigkeit und Leichtgläubigkeit. So malt Jesus in Schwarz und Weiß. Klar ist, was dabei herauskommt: Klug und vernünftig sollen sich Zimmermänner und Gemüsebäuerinnen in Bauen und Leben stürzen, Gefahren vorausschauen, Risiken vermeiden, nicht einfach drauflos planen, dann klappt es auch mit Dachstuhl, Fundament und Lehmmauern.

Die Predigt Jesu schließt mit der Gegenüberstellung von klugem und törichtem Hausbauer. Die Reaktion der Menge wird uns in diesem Ausschnitt vorenthalten, sie sei deshalb nachgetragen: Das Volk war über Jesu Lehre entsetzt (Mt 7,28). Denn das ist die Pointe des Gleichnisses. Die Klugheit des Häuslebauers, den Jesus meint, ist nicht die Klugheit der Vernunft und der planenden Vorausschau. Gefahrenlagen lassen sich nicht immer durch gesetzliche Bestimmungen und gesunden Menschenverstandes abfedern. Jesus zielt auf die Klugheit seiner Bergpredigt, die weit über das Selbstverständliche hinausreicht. Das Selbstverständliche ist das Naheliegende und Vernünftige. Wer die Gewitterwolken heranziehen sieht, der hängt besser die Wäsche ab und schließt die Fenster. Nach vier Wochen Trockenheit zünden sich vernünftige Spaziergänger zwischen trockenen Ästen und Gebüschen des Waldes keine Zigarette an. Noch vernünftiger ist es, überhaupt nicht zu rauchen.

Die Bergpredigt ist eine flammende Rede, gewidmet der Frage, wieso die Menschen allein mit vernünftigem Kalkül in ihrem Leben nicht auskommen. Was ist darüber hinaus nötig?  Darüber hinaus sind – in kurzer Zusammenfassung – nötig: die Anerkennung der Schwachen, das Gebet und das ungewöhnliche, überraschende und enthusiastische Handeln über alles Normale und Selbstverständliche hinaus.

Am Anfang der Bergpredigt stehen die Seligpreisungen: Menschen sind keine Leistungsmaschinen, die bei Gott Tugenden und gute Taten abliefern müssen wie der Bäcker am Morgen Brötchen und Brezel. Das ist die erste Botschaft der Bergpredigt: Gott erkennt die Menschen an, alle Menschen, die Schwachen im Geiste, die Armen, die Friedensstifter, die Barmherzigen.

Bei aller Vernunft kommen die Glaubenden zweitens nicht ohne das Gebet aus. Und das ist zu lernen am Maßstab des Vaterunsers, mit der entscheidenden Bitte: Dein Wille geschehe! Darüber wäre noch viel zu sagen, ich will hier nur darauf hinweisen, um gleich am Schluß nochmals auf die Häuslebauer zu kommen.

Das dritte, was Jesus mit der Bergpredigt erreichen will, ist die Einübung in etwas, was ich verblüffendes Handeln nennen würde. Wer in Streit gerät mit anderen Glaubenden, soll zuerst diesen Streit klären, bevor er wieder einen Gottesdienst feiert. Wer gekränkt wird, soll sich nicht mit Rachegedanken beschäftigen. Wer geohrfeigt wird, soll nicht zurückschlagen. Frieden läßt sich nur durch ein überraschendes Handeln herstellen, das die Gegner verblüfft und zum Nachdenken bringt. Auch das könnte man noch viel weiter ausführen.

Der kluge Häuslebauer aus dem Gleichnis, mit dem Jesus denn Sinn der Bergpredigt auf den Punkt bringt, dieser kluge Häuslebauer ist kein Spießer, der sich in die beschaulichen vier Wände des Eigenheims zurückzieht und im Lehnstuhl in der Tageszeitung von den Gewaltexzessen der bösen, fernen Welt liest und sich dabei am offenen Herdfeuer wärmt. Der kluge Häuslebauer, egal ob aus Stuttgart, San Diego oder Jericho, plant mit einem wohlüberlegten Standplatz ohne sandigen Untergrund. Er sorgt dafür, daß der Bau unerwarteten Wetterkatastrophen möglichst standhalten kann.

Der kluge Häuslebauer Jesu besitzt aber auch die Eigenschaft eines Surfers, der mit Gottesgewißheit und Glauben auf den Wellen des Lebens balanciert und sich auch von einem Sturz in die Gischt nicht in diesem Vertrauen beirren läßt. Haus und Wohnung sind nicht uneinnehmbare Burgen und Schlösser, hinter deren Mauern sich die spießigen Häuslebauern vor Krankheiten und Katastrophen in Sicherheit bringen können. Dem ist nicht so. Häuser können höchstens Laubhütten sein, in denen Mieter, Hausbesitzer und Obdachlose vorübergehend Unterschlupf finden.

Jesus wirbt für ein Leben im Offenen, Freien, Ungewissen, eher an der frischen Luft als im Mief geschlossener Räume. Dafür brauchen sie Stützen, die Häuslebauer, die Surfer und die Glaubenden: zuerst das Gebet, dann das Gottvertrauen und schließlich die Solidarität der Gemeinde. All das bringt uns getröstet und begnadet, vor allem aber aufrecht und ausbalanciert durchs Leben. Amen.

PD Dr. Wolfgang Vögele

Karlsruhe

wolfgangvoegele1@googlemail.com

Wolfgang Vögele, geboren 1962. Privatdozent für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Er schreibt über Theologie, Gemeinde und Predigt in seinem Blog „Glauben und Verstehen“ (www.wolfgangvoegele.wordpress.com).

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