Predigtreihe zum Vater-Unser

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Predigtreihe zum Vater-Unser

 


Predigtreihe zum Vater-Unser
von Klaus Bäumlin

„Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den
Menschen ein Wohlgefallen.“
Nydeggpredigt an Weihnachten, 25. Dezember 2001

Liebe Gemeinde, an den vergangenen Sonntagen habe ich hier in der Nydeggkirche
das Unservater-Gebet mit seinen sechs Bitten auszulegen versucht. Wenn
wir das Unservater beten, beschliessen wir es mit den Worten: „Denn
dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“
Reich, Kraft, Herrlichkeit, Ewigkeit – was für grosse Worte! Wenn
sie in Ihrer Bibel, im 6. Kapitel des Matthäusevangeliums, das Unservater
nachlesen, finden Sie diese Worte nicht, oder höchstens in Klammern
oder kleingedruckt in einer Fussnote. Die älteste und zuverlässigste
Abschrift des griechischen Neuen Testaments kennen diese Satz nicht. Er
gehört nicht zum ursprünglichen Gebet, das Jesus seine Jünger
lehrte.

Das Unservater ist schon in sehr früher Zeit bei den gottesdienstlichen
Zusammenkünften der Christen und Christinnen gebetet worden. Dabei
übernahmen sie einen im Judentum verbreiteten Brauch, gemeinsame
Gebete mit einem hymnischen Lobpreis zu beschliessen. Beispiele finden
sich schon im Alten Testament (z.B. 1. Chronik 29,10). Diesem Vorbild
folgend, fügten die Christen auch dem Unservater-Gebet einen solchen
hymnischen Zusatz hinzu, eben die grossen Worte: „Denn dein ist das
Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Spätere
Abschreiben der biblischen Texte waren dann offenbar der Meinung, dieser
Zusatz sei ein originaler Bestandteil des Gebets und haben ihn in ihrer
Abschrift hinzugefügt – und so ist er zu uns gekommen, und wir beschliessen
das Unservater, wie jene Christen der frühen Zeit, mit diesen Worten.

Ich stell mir vor, dass diese Worte für die Christen und Christinnen
damals eine grosse Ermutigung bedeuteten. Sie waren eine verschwindend
kleine, oftmals verachtete, bedrängte, manchmal gar verfolgte Minderheit
im grossen Römischen Reich, dessen Kaiser für sich göttliche
Ehrerbietung verlangten. Nein, nicht dem Kaiser, nicht den Mächtigen
dieser Welt gehören das Reich, die Kraft und die Ehre, und schon
gar nicht in Ewigkeit. Die Herren der Welt, so gross sie sich gebärden
und sich aufführen, als gehöre ihnen die ganze Erde – sie kommen
und vergehen. Das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit gehören
in Ewigkeit, und also in alle Zukunft, unserem Gott, unserem Vater im
Himmel, dessen Kinder wir sind.

Reich, Kraft, Herrlichkeit, Ewigkeit, grosse Worte. Da wird der Mund
ziemlich voll genommen. Tönt das nicht etwas zu sehr triumphalistisch,
zu pathetisch? Passen sie überhaupt zu den schlichten, menschennahen,
erdennahen Worten des Unservaters? Machen sie uns nicht misstrauisch?
Erinnern sie uns nicht an die pathetischen – und meistens auch nicht ehrlich
gemeinten – hohlen Phrasen, mit denen Untertanen ihren Potentaten huldigen
mussten? Sehen wir zu.

*

Ich möchte jetzt aber nicht auf alle diese grossen Wörter eingehen.
Ich beschränke mich auf ein einziges: auf das Wort „Herrlichkeit“.
„doxa“ heißt es im Griechischen; man kann es auch mit
„Ehre“ übersetzen. Im Neuen Testament ist es seinerseits
die Übersetzung eines hebräischen Wortes (kavod) aus dem Alten
Testament, dessen erste Bedeutung eigentlich „Gewicht“ heißt.
Gott die Ehre geben heißt also: Ihm in unserem Leben und in unserer
Welt das Gewicht, die Bedeutung geben, die ihm zukommt.

Das gleiche Wort haben wir schon in einem andern Zusammenhang gehört
und gesungen: im Zuruf der Engel, der himmlischen Heerscharen an die Hirten
in Bethlehem. Auch sie haben einen hymnischen Lobpreis angestimmt: „Ehre
sei Gott in der Höhe! Und Friede auf Erden unter den Menschen seines
Wohlgefallens.“ (Luk. 2,14) Die Ehre Gottes hat etwas zu tun mit
dem Frieden auf der Erde. Und der Friede auf Erden hängt zusammen
mit Gewicht, das wir Menschen Gott geben. Und die Ehre Gottes hat auch
etwas zu tun mit dem Kind, dessen Geburt der Engel den Hirten ansagt.
Ich möchte versuchen, liebe Gemeinde, Ihnen etwas über diese
Zusammenhänge zu sagen.

*

„Zur Ehre Gottes“! Was alles haben Menschen, aufrichtig oder
angeblich, zur Ehre Gottes gesagt und getan! Johann Sebastian Bach hat
manchmal über die Partitur seiner Werke die Buchstaben S.D.G. geschrieben:
Soli Deo gloria – Gott allein die Ehre! Und er, der mit Worten so sparsam
umging, hat einmal geschrieben, der wahre Sinn und Zweck der Musik sei
die Ehre Gottes und die Recreation des Gemüts, also das Aufatmen
und Aufleben bedrängter Seelen und Herzen. Bach hat etwas davon gewusst,
dass Menschen nicht klein und schwach, sondern frei und stark werden,
wenn sie Gott die Ehre geben. Wo Gott im Denken und Leben der Menschen
Gewicht bekommt, da kommt der Friede in die Herzen der Menschen, und breitet
sich dann auch aus zwischen den Menschen, in der Familie und Nachbarschaft
und wird zum Frieden auf Erden. Sie verstehen, liebe Gemeinde, weshalb
wir im Gottesdienst Musik singen und spielen. Sie dient nicht nur der
Verschönerung. Sie soll der Ehre Gottes und der Recreation unseres
Gemüts und so dem Frieden auf Erden dienen – ganz im Sinne des alten
Bach.

Aber wie ganz anders kann es zugehen, wenn Menschen angeblich etwas im
Namen und zur Ehre Gottes tun! Ad majorem Dei gloriam, zur höheren
Ehre Gottes, haben christliche Kreuzritter muslimische Völker überfallen
und hingemordet. Zur höheren Ehre Gottes wurden Andersdenkende, Andersgläubige
als Ketzer, als Hexen verfolgt und verbrannt. Zur höheren Ehre Gottes
haben christliche Konqistadoren andere Völker mit Gewalt kolonisiert
und zum Christentum gezwungen. Dabei ging es ihnen vor allem um die eigene
Ehre, die eigene Macht, den eigenen Reichtum. Und wenn es auch heute wieder
zu schweren Konflikten kommt zwischen Gläubigen verschiedener Religionen,
so nicht zuletzt deshalb, weil es Christen, Juden und Muslime gibt, die
meinen, der alleinigen Ehre Gottes könne man bedenkenlos Menschenleben
opfern, für die Ehre Gottes müsse man kämpfen: mit Parolen
und mit Waffen, mit Terror und Krieg. Wen wundert’s, wenn Gott für
kritische, aufgeklärte Menschen das Gewicht und das Gesicht verliert!

*

Die Engel aber verkünden die Ehre Gottes über der Geburt des
Jesuskindes. Gott verbindet seine Ehre mit dem Schicksal eines Menschen.
Und Jesus, dieser Mensch, wenn er gross sein wird, gibt Gott die Ehre,
indem er das Brot teilt mit den Hungrigen, indem er sprachlosen Menschen
die Sprache wieder gibt, indem er Blinden die Augen öffnet, indem
er Niedergedrückte und am Leben Verhinderte aufrichtet, sie auf eigenen
Füssen gehen heißt, ihnen Lebenskraft zuspricht und ihre Seele
aufleben lässt; indem er sie anspricht und ernst nimmt als Kinder
des Vaters im Himmel und ihnen so eine unverletzbare Menschenwürde
zuspricht. Unbekannte, kleine Leute, Menschen am Rande damals wie heute,
bekommen Rang, Namen und Würde. Ihnen allen begegnet in dem Kind
und dann in den Worten und Taten des Jesus von Nazareth Gottes Wohlgefallen
und Freude an den Menschen. Sie erfahren Gottes rettende, heilende, befreiende
Nähe, die ihre Seele aufleben lässt. In der Begegnung mit Jesus
verstehen sie, dass sie bei Gott etwas gelten. So bekommt Gott in ihrem
Leben „Gewicht“, so bekommt er sein schönes, menschenfreundliches
Gesicht. Und Jesus gibt Gott die Ehre, indem er auf jede irdische Macht
und Gewalt verzichtet, lieber zu den Opfern gehört als zu den Tätern
des Unrechts. Gott legt seine ganze Ehre, sein ganzes Gewicht in ein Menschenkind,
dessen Weg in einem armseligen Futtertrog beginnt und am Kreuz endet –
nein, dessen Weg aus dem Tod ins Leben führt.

So beginnt der Friede auf Erden. Er beginnt, wo ein Mensch, wo Menschen
nicht länger nach oben drängen, sich nicht mehr um Macht und
Einfluss streiten. Er beginnt, wo Menschen miteinander das Brot und noch
einiges mehr teilen. Er beginnt, wo immer Menschen einander als Gottes
geliebte Kinder ansehen. Wo das geschieht, da bekommt Gott Gewicht im
Leben und Zusammenleben der Menschen. Seine Ehre und der Friede auf Erden
– es sind die zwei Seiten einer Medaille – und es ist eine Medaille aus
unvergänglichem Gold: „Seht, das Gold, da ihr sollt euer Herz
laben“, heißt es in einem alten Weihnachtslied.

*

„Den Menschen ein Wohlgefallen“. Wohlgefallen – was für
ein schönes Wort! Noch schöner tönt es in Griechisch: eudokia.
„Eu“ wie im euangelion, im Evangelium, „eu“ – gut
und schön! Gott hat Freude an uns Menschen – unbegreiflich, unverdient,
trotz allem! Er findet uns schön, trotz allem. Er will uns als seine
Freunde, Freundinnen.

Freunde vertrauen einander. Sie trauen einander etwas zu. Sie erwarten
etwas von einander. Sie können sich auf einander verlassen. Sie geben
einander Gewicht. Sie finden einander schön. Sie helfen einander.
Sie sind für einander da. So, liebe Gemeinde, haben wir miteinander
das Unservater-Gebet kennen gelernt: Der Vater im Himmel und seine Kinder
auf der Erden machen miteinander gemeinsame Sache. Sie stimmen überein.

Und wenn wir das Unservater wie die ersten Christen beschliessen mit
dem Lobpreis: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit“, dann haben im Licht von Weihnachten, von Karfreitag,
Ostern und Pfingsten die Worte Reich und Kraft und Herrlichkeit einen
neuen Klang bekommen. Sie sind zu Worten, zu Perspektiven des Friedens
geworden: zu Lebensworten, die uns anstiften und inspirieren für
den Frieden. Sie werden zu Musik, zu einer schönen Musik, die die
Ehre Gottes verkündet und unsre Seele aufleben lässt.

Abendmahl

Ausnahmsweise füge ich für die Leser/innen der Nydeggpredigten
die Liturgie des Abendmahls hinzu. Ich bin im Verlauf der letzten Jahre
davon weggekommen, das Abendmahl zu erklären. Statt dessen habe ich
versucht, der ganzen Abendmahlsliturgie die Form eines Gebets mit Anrufung
Gottes, Dank über Brot und Wein und Fürbitte zu geben.

Der Friede Gottes sei mit euch!

Wir grüssen Dich, Gott, wir segnen Dich, Du, unsere Hoffnung. Licht
und Leben, Du unsre Freude! In Jesus, Deinem Sohn, schenkst Du uns Deinen
Frieden. Er ist in die Welt gekommen: der Bote Deines namens, der Bürger
Deiner Treue, das Kind der Verheissung, der Mensch der Zukunft, der Anfang
einer neuen Geschichte: Deiner Geschichte mit uns, der Anfang einer neuen
Schöpfung.

Er ist arm geworden für uns, damit wir durch ihn reich würden.
Sein Leben hat er hingegeben für unsere Befreiung. In der Nacht vor
seiner Hinrichtung, als er mit seinen Jüngern zusammen war und mit
ihnen das Passahmahl hielt, nahm er Brot, segnete es, brach es und gab
es ihnen mit den Worten: Nehmt, das ist mein Leib. Und er nahm einen Becher
mit Wein, dankte dafür, reichte ihn seinen Freunden, und alle tranken
daraus. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das vergossen
wird für viele.

Deshalb, Gott, weil sein Weg in die Tiefe führt, in die Krippe und
ans Kreuz, weil er sich an Deine Treue gehalten und Dich angerufen hat
in Angst und Tod, deshalb hast Du, Gott des Lebens, ihm Antwort gegeben
und ihn auferweckt aus dem Tod, seinen Namen uns zur Rettung und zum Frieden
gegeben. In seinem Namen teilen wir heute das Brot und trinken den Wein
– so wie er es tat mit seinen Freunden.

Wie aber, Gott, wie könnten wir das tun, ohne an diesem Tisch zu
denken an die, denen Jesus, Dein Sohn, besonders nahe ist: an die Menschen,
die hungern nach Brot und Gerechtigkeit, nach Anerkennung und lebensfreude;
an die, die unter Gewalt leiden und aus ihrer Heimat vertrieben werden;
an die Kinder, die ohne Geborgenheit und Liebe aufwachsen; an die, die
in der Weihnachtszeit Einsamkeit und Trauer schmerzlich erfahren; an die,
denen das zu Ende gehende Jahr Leid und Sorgen, Armut und Krankheit gebracht
hat; an die, die dem neuen Jahr mit Kummer und Angst entgegensehen. Du
vergisst sie nicht, und so wollen auch wir sie nicht vergessen. Ach Gott,
unsere Erde sehnt sich, wir sehnen uns danach, dass der Friede, den Deine
Engel den Hirten verkündeten, in Erfüllung geht, Deine Gnade
jede Schuld tilgt, Dein Leben jeden Tod verschlingt.

Mit der Christenheit auf der ganzen Erde, verbunden mit den Müttern
und Vätern, die vor uns lebten und auf Dich vertrauten, verbunden
mit denen, die nach uns kommen und auf Dich hoffen werden, bitten wir
Dich im Namen Jesu:

Unser Vater im Himmel!
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem
Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Gott des lebens, sende Deinen Geist auf uns. Sei uns nahe, wenn wir Brot
und Wein miteinander essen und trinken.

Wir brechen das Brot, wir teilen es miteinander. Unsere Erde- Deine Erde,
Gott des Friedens. Wie gut, dass Du bei uns bist!

Wir nehmen den Becher. Wir trinken alle daraus. Dein Leben – unser Leben,
Gott des lebens. Wie schön, dass Du da bist!

Nach der Austeilung:

Wir danken Dir, Gott für Brot und Wein, für Dein Wort, Deine
Freundschaft, für jede Gemeinschaft, die Du uns schenkst, für
jedes Zeichen der Liebe, das wir sehen, für jeden kleinen Sieg der
Gerechtigkeit, für jeden Frieden, der aufblüht auf der Erde,
für jede Freude auf einem Menschengesicht, für den Samen der
Hoffnung, der in uns ist, für alles Gute, Schöne und Wahre.
Besonders danken wir Dir für Jesus. Er ist für uns Weg geworden,
Wahrheit und Leben, Licht und Zukunft. Mit Deinem Geist erfülle uns.
Lass Deine Freundlichkeit uns begleiten. Lass sie unser Leben bestimmen,
damit auch andere sie erfahren. Lass auferstehen die neue Schöpfung
in der Kraft Deiner Liebe.

Gott DER EWIGE segne dich und behüte dich.
Gott DER LEBENDIGE lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei
dir gnädig.
Gott DER GEGENWÄRTIGE wende dir zu sein Angesicht und gebe dir Frieden.
Amen.

 

 

 

 

Klaus Bäumlin
Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Nydegg in Bern.
E-Mail: klaus.baeumlin@mydiax.ch

 

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