Von der Herrlichkeit auf Erden

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Von der Herrlichkeit auf Erden

Predigt zu Joh 17:20-26 | verfasst von Ralf Reuter

Im Anfang einer neuen Zeit begegnen wir uns heute. Wir, die wir hier als Jünger und Nachfolgende der zweiten Generation und aller folgenden Generationen versammelt sind. Er, der als lebendiges Angesicht Gottes über die Erde in Galiläa ging, in dem die Menschen die Gnade und die Wahrheit Gottes erfahren haben, er wirkt jetzt über der ganzen Welt. Und wir leben von dem, was er uns gegeben hat und weiterhin gibt. Zweitausend Jahre geht das schon so, und es ist doch immer wieder neu zu entdecken.

Es ist, um in einem Beispiel zu reden, wie mit dem Hören auf die Glocken. Ich habe sie in der Zeit der geschlossenen Kirchen neu entdeckt. Jeden Sonntag haben wir sie trotzdem geläutet, von 9.50 Uhr bis 10 Uhr. Dann begann der Gottesdienst zuhause, den Text dazu hatten wir versandt und zugemailt. So wartete ich mit dem Text in der Hand und hörte dem Geläut der Glocken zu. Erst die kleinste Glocke, mit dem hohen Ton, dann die zweite, vom Tagesgeläut vertraute, und zuletzt die dritte Glocke, die den tiefen Klang anschlägt.

Können Sie 10 Minuten lang nur den Glocken zuhören? Ich habe das wieder gelernt in diesen Zeiten. Kein Handy, keine Zeitung, kein Kaffee, keine Gespräche, einfach nur zuhören. Mir ist das auf Anhieb nicht gelungen. Zehn Minuten wollen trainiert werden. Nach 10 Wochen ohne Kirche kann ich es. Mit jedem weiteren Sonntag eine Minute mehr. Das Hören des Rufes Gottes ist ja gleichzeitig auch ein inneres Horchen.  Der äußere Klang der Glocken führt innerlich zu einer Art Läuterung. Sie tut gut, sie wirkt sich wohltuend auf meine Mitmenschen aus.

In dem Gebet zu Gott spricht Jesus davon, was er uns hinterlassen hat. Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, sagt er, und weiter, damit die Liebe in ihnen sei. Die Herrlichkeit gegeben, nehmen wir uns zehn Minuten, dem göttlichen Klang dieser Worte zu lauschen. Nie habe ich ein so spannendes Gebet vernommen. Wenn das stimmt, dann ist uns die volle Präsenz Gottes gegeben. Dann ist das Leben hier auf Erden reich, so arm wir auch sein mögen. Dann ist es mit der Fülle Gottes gesegnet. Nicht erst nach den Erdentagen, schon hier und jetzt.

Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hat, auf das sie eins seien, wie wir eins sind. Diese Worte des Gebetes erzählt uns das Johannesevangelium. Im 17. Kapitel, nach den Begegnungen und Worten Jesu, der als das lebendige Wort Gottes zur Welt kam. Als das Licht, als der gute Hirte, als das Brot des Lebens. Über ihn ist Gott zu erkennen, im Vertrauen auf ihn die Liebe Gottes zu erfahren. Über ihn kommt uns die Gnade und Wahrheit zu. Durch ihn wohnt die Liebe in unserem Herzen. Plötzlich geht der Himmel auf uns über, schüttet sich in unserem Herzen aus.

Ich glaube, es braucht tatsächlich eine spirituelle Fitness, um dieses für sich zu realisieren. Es braucht die Konzentration auf den Glauben, auf diese göttliche Kraft, die dieser auffahrende Christus den Seinen hinterlässt. Sie muss ja im Leben entdeckt werden. Mitten im Lärm der Zeit, in den täglichen Anforderungen und Zumutungen. Vielleicht ist es so wie bei den Glocken, die sich über der Welt ausbreiten mit ihrem Klang und zu einem neuen Hören führen. Nicht als Besitz, eher als Geschenk, als Möglichkeit. Als das Erkennen eines neuen Vertrauens, einer getragenen Existenz.

In den Bedrängungen dieser Tage wäre es das erstmalige Beantragen von Hartz IV von Mitarbeitenden der Gastronomie oder von Künstlern, die plötzlich kein Engagement mehr bekommen und ohne Einkommen dastehen. Hingehen und dies übergangsweise in Anspruch nehmen. Nicht vom Selbstwertgefühl her einknicken, sondern das in der vollen Souveränität des Menschseins machen. Dies kann wohl nur der Glaube bewirken. Der Glaube an diesen Jesus, der die ganze Liebe Gottes immer wieder in unser Herz ausschüttet. Mit dem wir durchs Kreuz gehen können und dabei zugleich schon von der Auferstehung her leben.

Viele Beispiele können genannt werden. Die Unternehmen, die mit Kurzarbeit Entlassungen verhindern wollen, Unternehmer und Mitarbeiter, die kämpfen. Gradwanderungen in der Liebe zu alten und sterbenden Menschen, sie doch vorsichtig weiter zu betreuen. Der ehrlichen Wissenschaft treu bleiben, in den öffentlichen Anfeindungen, von Menschen, die Wahrheit und Kritik nicht ertragen. Oder ganz einfach wieder neu lernen, auch in der Krise ruhig zu bleiben. Die Realität aushalten und sich ihr stellen. Keine Überreaktionen, aber auch nicht im Schweigen versinken.

Man kann sich auch erinnern an Martin Luther, der in der Nacht vor dem Auftritt vor dem Kaiser in Worms lange und tief betet wie einst Christus zu Gott. Wir denken auch an die Gebete von Dietrich Bonhoeffer in der Haft. Auch an sein von guten Mächten. Christus hat uns beten gelehrt, und nimmt uns darin mit zu Gott. Nie als Vertröstung, immer als ganz realistische Lebensbewältigung. Nirgends als im Gebet kommt die Herrlichkeit Gottes so vollmächtig zu uns auf Erden.

Es macht Sinn, sich dem Wort Gottes auszusetzen. Mindestens am Sonntag, in der Kirche oder zuhause. Sich hier wieder neu zu üben und einzulesen in die göttlichen Geschichten und Worte des Evangeliums. Innere Einkehr zu halten, die einen wieder ins Lot bringt. Wieder neu zu lernen, sich nicht immer nur über die eigenen Erfolge zu definieren, und auch nicht mehr über Urlaubsreisen. Der verordnete Stillstand der letzten Tage hat auch viele Menschen entlarvt, die besessen waren von Steigerungsraten aller Art.

Die Herrlichkeit des Glaubens lehrt neu, aus der göttlichen Fülle zu leben, ohne die ganze weltliche Fülle zu haben. Da spielt es keine Rolle, wer oder was wir gerade sind. Immer strahlt diese Herrlichkeit ins Leben und wirkt. Sie erst ermöglicht echte Erfolge. Wer etwas unbedingt erreichen will, erreicht es selten. Wer sich dagegen in eine Haltung des Tätigseins hineinziehen lässt, dem gelingt es besser. Vor allem auch der Blick für die anderen. Die egoistische Perspektive weitet sich. Und neue Chancen tuen sich auf. Der Geist des Herrn wirkt.

Das öffnet auch einen neuen Blick auf die Schönheiten des Lebens. Es ist nicht nur die jetzt erblühte Natur. Es ist nicht nur der wie nie wahrgenommene blaue Himmel über uns. Es sind vor allem die Menschen jeglichen Alters, von kleinen Kindern bis hin zu Greisen, die uns in ihrer Würde begegnen. Immer gehört zur Schönheit auch der Schmerz der Vergänglichkeit der Erdentage, immer auch das Leiden der Kreaturen. Und doch, mit den Augen von Jesus sehen wir in ihnen das Göttliche.  Sehen, wie Gott sie liebt, wie Jesus sie anblickt. So kann es auch uns möglich werden, zu lieben.

Vielleicht passen dazu die Bilder vom geduldigen Reifen eines guten Weines. Von den zarten Knospen und Trieben, die es zu schützen gilt. Oder vom Stehen zu den Falten und Prägungen eines Baumes mit seinen Jahresringen und knorrigen Ästen.  Oder auch das Geborgensein in der Ewigkeit für all die, die vor der Zeit abberufen werden. Wir stehen jedenfalls miteinander im Licht der göttlichen Sonne und gehen immer dem Licht entgegen. So vieles Zeitbedingte unserer Tage wird davor relativ, verliert ihre Dominanz. Die Herrlichkeit zieht in uns ein. Es tut gut, macht den Kopf frei und den Horizont klar.

Christi Himmelfahrt hat uns heute in den tiefen Klang des göttlichen Zwiegesprächs hineingezogen und eine neue Zeit eingeläutet. Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan, spricht Jesus über uns, und werde ihn weiter kundtun. Er spricht über unsere Zukunft. Damit die Liebe, mir der du, Gott, mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen. So gehen wir weiter hinein in dieses besondere Jahr 2020. Es ist unser Jahr, unsere geschenkte Zeit. Wir entdecken die göttliche Präsenz in uns, und erzählen allen anderen von dieser Herrlichkeit auf Erden.

 

Pastor Ralf Reuter

Göttingen

E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

Ralf Reuter, Pastor für Unternehmensleitungen und Führungskräfte der Wirtschaft, Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, und zugleich Pastor der Friedenskirche Göttinen

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